Deutschlands Wirtschaft erholt sich kaum, der Kanzler steht unter Druck, auch in der eigenen Partei. Der britische „Guardian“ greift das Thema auf.
„Rückfall in alte Muster“Englische Presse hat dringenden Rat für Merz im Kampf gegen die AfD

Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) bei einer Veranstaltung in Frankfurt. Die britische Presse hat sich ausführlich mit der wirtschaftlichen Situation Deutschlands beschäftigt.
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Die Londoner Tageszeitung „Guardian“ beschäftigt sich zu Wochenbeginn mit der politischen und wirtschaftlichen Lage in Deutschland. In einem Leitartikel greifen die Autoren den Beginn der Amtszeit von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) auf und schildern die inzwischen eingetretene Ernüchterung. „Europas Wirtschaftsmacht kämpft weiterhin“, lautet die Überschrift des Textes.
Die Entscheidung für ein Sondervermögen über 500 Milliarden Euro für die deutsche Infrastruktur noch vor Merz' Amtsantritt habe auch Optimismus an den Finanzmärkten in ganz Europa ausgelöst, heißt es. Die sei ein „historisches Abkommen“ gewesen, das Hoffnung gemacht habe, den „geopolitischen Gegenwind aus den USA und China abzumildern“. Doch diese Euphorie sei inzwischen verflogen, denn es stehe nach wie vor schlecht um die deutsche Wirtschaft. Die weltpolitische Lage untergrabe das exportorientierte Modell Deutschlands. Zuletzt sei die Wachstumsprognose für 2026 auf unter ein Prozent gesenkt worden.
Zwar sei Geduld gefragt, denn „von der Aufhebung der deutschen Schuldenbremse konnte nie erwartet werden, dass damit in langen Jahren angehäufte Probleme sofort gelöst werden“. Die Erneuerung der maroden Verkehrssysteme beispielsweise brauche Zeit, heißt es. „Aber in ganz Europa ist Geduld eine Tugend, die Mangelware ist bei Wählern, die das Gefühl haben, dass ihr Lebensstandard seit der Finanzkrise von 2008 stagniert oder sich sogar verschlechtert hat“, so der „Guardian“ weiter.
„The Guardian“ rät Merz zu Investitionen – um Rechte nicht zu stärken
Bundeskanzler Friedrich Merz stehe nun unter Druck von Kritikern, die hofften, die Wettbewerbsfähigkeit des Landes durch eine Drosselung der Sozialausgaben stärken zu können. „Für einen Kanzler, der einst im Aufsichtsrat von Black Rock saß und sich als Finanzfalke einen Namen gemacht hat, wäre das eine Art Rückfall in alte Muster“, kritisieren die Autoren dieses Szenario und nehmen damit Bezug auf die aktuelle Auseinandersetzung innerhalb der Union über das Rentenniveau.
Die SPD würde die Revolte von vor allem jungen CDU-Abgeordneten gegen den Renten-Kompromiss wohl verhindern. Generell sollte Merz aber versuchen, den „Lockrufen aus bekannten rechten Kreisen“ zu widerstehen, rät der „Guardian“. Es sei Aufgabe der Stunde, ein „angeschlagenes Gesellschaftsmodell wiederzubeleben und Investitionen anzukurbeln“.
Es sei also keine gute Option, durch Kürzungen die „gescheiterten Wirtschaftsdoktrinen vergangener Zeiten“ wieder hervorzuholen. Dies stärke allein die Rechtspopulisten, deren „Aufstieg in den Jahren der Sparmaßnahmen nach der Finanzkrise begann“. Deutschlands wichtigste Volkswirtschaft könne sich einen solchen Rückschritt nicht leisten. Vor Merz lägen nun herausfordernde sechs Monate.
Abschiebungen: „The Guardian“ berichtet über Syrien-Disput in der Union
Der „Guardian“ beschäftigt sich häufiger mit politischen Themen aus Deutschland. Zuletzt ging es Anfang November um Abschiebungen von Syrern aus Deutschland in ihre Heimat. Außenminister Wadephul hatte sich nach einem Besuch in der Hauptstadt Damaskus bestürzt gezeigt über den Zustand des Landes, das auch nach dem Sturz von Assad und dem Ende des Krieges in weiten Teilen zerstört ist. Er hatte gesagt, Rückführungen seien „zum jetzigen Zeitpunkt nur sehr eingeschränkt möglich“, da in Syrien „sehr viel an Infrastruktur“ zerstört sei.
Daraufhin war ihm heftiger Gegenwind aus seiner eigenen Partei entgegengeschlagen, und auch Merz hatte einige Tage später bekräftigt, an der von der Union ausgerufenen Migrationswende festzuhalten.
Der „Guardian“ betonte, Deutschland habe mehr Geflüchtete aus Syrien als jedes andere Land in der EU aufgenommen. Allerdings verwies die Autorin auch darauf, dass die deutsche Debatte über Syrien-Rückkehrer aus ihrer Sicht zu kurz greife. Die meisten Politiker wollten demnach nicht darüber sprechen, wie die Auswirkungen seien, wenn Hunderttausende gut integrierte Syrer Deutschland verließen. Diese seien angesichts der alternden Bevölkerung am Arbeitsmarkt dringend erforderlich. Mehr als 7.000 syrische Ärzte seien im Gesundheitssektor beschäftigt, häufig in unterversorgten ländlichen Regionen.
Der „Guardian“ betonte die Bedeutung des Themas Migration angesichts von fünf Landtagswahlen 2026 in Deutschland. Die Union stehe in einem harten Wettbewerb mit der AfD, die laut Umfragen erstmals Ministerpräsidenten stellen könnte. (mit dpa)



