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Keine Belege für rituelle GewaltUntersuchung entlastet verstorbene katholische Geistliche von Vorwürfen  – Kritiker monieren Vorgehen

3 min
ARCHIV - 25.01.2024, Niedersachsen, Hannover: Dunkle Wolken ziehen über das Kreuz auf einer evangelischen Kirche in der Region Hannover hinweg.

Eine Studie im Auftrag der Bistümer Köln, Münster und Essen untersucht schwerste Missbrauchsvorwürfe gegen verstorbene Bischöfe.

Eine Untersuchung im Auftrag der Bistümer Köln, Essen und Münster erklärt Vorwürfe ritueller Gewalt für komplett haltlos.

Das Schweigen brechen. Als 2010 der systematische sexuelle Missbrauch von Schülern am Berliner Canisius-Kolleg der Jesuiten bekannt wurde und die Ordensverantwortlichen die Geschehnisse einräumten, löste das eine Welle von Enthüllungen aus. Der Satz „Wir glauben euch“ wirkte hier buchstäblich erlösend und befreiend. Er gilt heute als Grundannahme, wenn Betroffene sich an kirchliche Anlaufstellen wenden.

Die Bistümer Köln, Münster und Essen schlagen jetzt in einigen wenigen Fällen den entgegengesetzten Weg ein: Durch die Kölner Anwaltskanzlei Feigen-Graf haben sie schwerste Vorwürfe sogenannter „ritueller Gewalt“ prüfen lassen, die etwa ein Dutzend Personen 2022 bis 2025 gegen verstorbene Kardinäle und Bischöfe aus den drei Diözesen sowie aus Paderborn und Hildesheim erhoben. Diese sollen den Schilderungen zufolge Teil eines Täternetzwerks gewesen sein. Den verstorbenen Geistlichen werden haarsträubendste Untaten zugeschrieben.

Ergebnis der Studie könnte kaum eindeutiger sein

Das Ergebnis der von den Strafrechtlern Matthias Sartorius und Niklas Kindhäuser verfassten Studie könnte kaum eindeutiger sein: An sämtlichen Vorwürfen sei „nichts dran – weder vorn noch hinten und auch nicht in der Mitte“, sagt Sartorius. Es fehle jeder auch nur ansatzweise belastbare Beleg. Die Anschuldigungen – sie machen etwa ein bis zwei Prozent der bei den Bistümern einschlägigen Missbrauchsfälle aus – beruhten auf Eigen- oder Fremdsuggestion im therapeutischen Kontext.

Die Befunde der Anwälte werden durch Gutachten der Rechtspsychologinnen Silvia Gubi-Kelm (Kiel) und Petra Wolf (Itzehoe) bestätigt: In den vorliegenden Fällen sei „nicht von genuinen Erinnerungen an rituellen sexuellen Missbrauch auszugehen“, sondern von „Scheinerinnerungen“.

„Kennen wir damit wirklich schon die ganze Geschichte?“

Tatsächlich wirkten einzelne Tatvorwürfe hanebüchen und kaum glaubhaft, sagt der Kölner Staatsrechtler Stephan Rixen, Mitglied der unabhängigen Aufarbeitungskommission des Bundes. „Aber kennen wir damit wirklich schon die ganze Geschichte der Betroffenen? Kennen wir den Kontext?“

Rixen moniert, dass die Gutachterinnen lediglich die Gesprächsvermerke der Anwälte beurteilt hätten. „Das ist unseriöse Aussagepsychologie nach dem Stille Post-Prinzip.“

Die Betroffenen selbst seien subjektiv von der Stichhaltigkeit ihrer Darlegungen überzeugt, betonen die Autoren der Studie. Keinem würden unlautere Absichten oder Lügen unterstellt. Gleichwohl sollen im Bericht erwähnte Betroffenen bei einer Vorab-Präsentation mit Unverständnis und Wut auf die Ausführungen der Studie reagiert haben.

Diese Studie hebt ausdrücklich hervor, dass bei sexualisierter Gewalt – gerade im kirchlichen Kontext – mit rituellen Anteilen zu rechnen sei, ebenso wie mit hochmanipulativem Täterverhalten. Beides sei unstreitig. Seine große Befürchtung, so Rixen, sei, „dass der Bericht ein allgemeines Misstrauen gegenüber der Glaubwürdigkeit von Opfern und ihren Berichten schürt. Das wäre wirklich das Schlimmste.“

Die Leiterin der Münsteraner Interventionsstelle, Christel Plenter, legt Wert darauf, dass den Betroffenen auch künftig Gehör geschenkt werde. Bereits gezahlte Entschädigungsleistungen in den betreffenden Fällen wird die Kirche nach Plenters Worten aber nicht zurückfordern, um den Betroffenen keine zusätzliche Last aufzubürden.


Eine mit Blick auf die Betroffenen anonymisierte, in Teilen geschwärzte Fassung des Untersuchungsberichts steht online (pdf-Datei, ca. 80 MB)