Köln ein „Querdenker“-SchwerpunktNRW-Innenministerium warnt vor aggressiver Stimmung

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Gegner der Corona-Maßnahmen bei einer Demonstration in Düsseldorf am vergangenen Samstag

Düsseldorf – „Wir sind im Krieg“ steht auf den Plakaten, oder „Diktatur“ und „Impfzwang – Nein Danke“. Die Corona-Demonstrationen nehmen in Nordrhein-Westfalen deutlich zu, warnt das NRW-Innenministerium: „Tendenz weiterhin steigend.“ Zudem werde die Stimmung immer aggressiver. Viele Proteste, getarnt als angeblicher „Spaziergang“, würden vorab nicht mehr bei den Ordnungsbehörden angemeldet. Wie blicken die Sicherheitsbehörden auf die Demos? Fünf Antworten zu den aktuellen Entwicklungen:

1. Wie viele so genannte Corona-Spaziergänge gibt es in NRW?

Seit Januar 2022 hat es in Nordrhein-Westfalen nach Angaben des NRW-Innenministeriums einige hundert Versammlungen zum Thema „Corona“ gegeben, einige davon seien im Vorfeld auch als „Spaziergang“ angekündigt worden oder hätten unangemeldet stattgefunden. Seit Anfang Dezember 2021 sei ein deutlicher Zuwachs der Proteste zu verzeichnen, teilte der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz mit. „Spätestens seit Ende Dezember 2021“ seien die Teilnehmerzahlen deutlich gestiegen und hätten die zuvor angemeldeten beziehungsweise erwarteten Zahlen zum Teil erheblich überschritten.

„Die Versammlungen finden nahezu landesweit statt, allerdings gibt es regionale Schwerpunkte wie beispielsweise Aachen, Bielefeld, Düsseldorf, Köln, Paderborn, Recklinghausen und Wuppertal“, ergänzt das Innenministerium.

Die Zuständigkeit für die Anmeldung der Proteste liege dezentral bei den 47 Kreispolizeibehörden. Zentral erfasst würden die Veranstaltungen erst seit dem 11. Dezember vergangen Jahres. Von diesem Tag an bis zum 7. Januar hätten die Kreispolizeibehörden dem Innenministerium 722 Corona-Versammlungen gemeldet. Darin enthalten seien 40 Gegendemonstrationen.

2. Wie verhalten sich die Teilnehmer?

„Im Gegensatz zu vereinzelten Versammlungen im restlichen Bundesgebiet verlaufen die Demonstrationen in Nordrhein-Westfalen bislang weitgehend friedlich“, teilte das Innenministerium mit. Gleichwohl stelle die Polizei fest, „dass einzelne Teilnehmer zuletzt zunehmend emotionalisiert und unkooperativ sind. Die Stimmung wird insgesamt aggressiver“.

Die Polizei werde oft als Teil einer angeblichen „Corona-Diktatur“ angesehen. Sowohl bei den vielen nicht angemeldeten Versammlungen als auch bei den zunehmend zahlreicheren Gegenveranstaltungen, werden anlassbezogene Straftaten registriert.

Der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz beobachtet ebenfalls aggressivere Tendenzen. Zwar würden die meisten Demonstrationen bisher noch friedlich verlaufen, jedoch steige die Radikalisierung „und die Stimmung wird in Teilen des Impfgegner-Milieus zunehmend verbalaggressiver, was zukünftig in strafbares Verhalten bis hin zu Gewalttaten münden könnte“. Polizei und Verfassungsschutz würden die Entwicklung deshalb „aufmerksam beobachten“, heißt es aus dem Ministerium.

3. Wie blickt der NRW-Verfassungsschutz derzeit auf die Proteste?

Man habe die Protestbewegungen gegen die Corona-Schutzmaßnahmen und die entsprechenden Verschwörungsmythen seit März 2020 „intensiv im Blick“, heißt es vom nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz. Teile der Protestbewegungen hätten sich „weiter radikalisiert, grenzen sich nach wie vor nicht vom Rechtsextremismus ab und zeigen zunehmend demokratiefeindliche Tendenzen“.

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Dabei verfolge die Szene allerdings „kein deckungsgleiches gemeinsames ideologisches Weltbild“: „Bei den Demonstrationsteilnehmern handelt es sich vielmehr um eine überaus heterogene Gruppierung von Corona-Leugnern, Impfverweigerern, Verschwörungsmythikern, Esoterikern, vereinzelt bekannten rechtsextremistischen Personen bis hin zu Personen aus der bürgerlichen Mitte mit widersprüchlichen und ideologisch schwer greifbaren Argumentationsmustern“, so der Verfassungsschutz.

Insgesamt ergebe sich das Bild eines „zersplitterten, fragmentierten und in sich nicht geschlossenen Corona-Protestmilieus mit einer teils widersprüchlichen politischen oder gesellschaftlichen Agenda“. Über Messenger-Dienste vernetzten sich zahlreiche lokale Gruppen in den einzelnen Städten. Gemeinsam werde dann versucht, „regionale Mobilsierungen voranzutreiben“.

4. Wie wird es in NRW weitergehen?

Die Zahl und Emotionalität der Proteste werde naturgemäß „stark von der Entwicklung der medizinischen Coronalage abhängen und den damit einhergehenden Entscheidungen durch die Politik“, so das Innenministerium. Nach jetziger Bewertung müsse jedoch davon ausgegangen werden, „dass es in den nächsten Wochen einen anhaltend hohen Zulauf für angemeldete und unangemeldete Protestveranstaltungen geben wird“.

Zudem müsse damit gerechnet werden, „dass auch die Radikalisierungstendenzen von Einzelpersonen oder Kleinstgruppen weiter anhalten“. Vor allem auch die „Kleinteiligkeit der Aktionen macht dies zu einen Riesenherausforderung für die Polizei“, sagt Michael Mertens, Vorsitzender der „Gewerkschaft der Polizei“ in NRW.

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Michael Mertens, Landesvorsitzender der GdP NRW

„Wir sind aktuell noch lange nicht da, wie sie Stimmung in Sachsen ist. Wir müssen aber aufpassen, dass wir da nicht hinkommen.“ Deshalb appelliere er an die Politiker, „in der Pandemie die Sprache klar zu halten, die Regeln nachvollziehbar zu gestalten und einen Weg raus aus den Beschränkungen aufzuzeigen.“

5. Warum können die Versammlungen nicht aufgelöst werden?

„Spaziergang“ sei kein polizeilich definierter Begriff, erläutert der GdP-Vorsitzende Michael Mertens. Tatsächlich handele es sich bei den Aktionen um „Zusammentreffen im Sinne des Versammlungsgesetzes, sodass diese auch der versammlungsrechtlichen Anmeldepflicht unterliegen“. Es sei zwar zu beobachten, dass die Proteste immer häufiger nicht angemeldet werden. „Ein solch formaler Verstoß für sich genommen reicht aber nicht aus, die Treffen aufzulösen“, so Mertens.

Vielmehr bedürfe es „im Sinne Verhältnismäßigkeit darüber hinaus weiterer Umstände, aufgrund derer eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit anzunehmen ist“, beispielsweise wenn ein Umzug mit mehreren hundert Teilnehmer direkt durch eine belebte Einkaufsstraße ziehen will. Die Auflösung einer solchen Versammlung „dürfe aber nur als allerletztes Mittel eingesetzt werden, wenn sonst nichts mehr geht“, so Mertens: „Vorher muss die Ordnungsbehörde versuchen, zu vermitteln und zu überzeugen.“

Die Bewertung im Einzelfall obliege immer den örtlichen Behörden, heißt es aus dem Innenministerium. Eine generelle Weisung des Ministeriums gebe es nicht. Ein Verstoß gegen die Anmeldepflicht für Versammlungen stelle zwar eine strafbare Handlung dar und werde von den Kreispolizeibehörden von Amts wegen zur Anzeige gebracht. „Ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, wer Versammlungsleiter ist, wird die Strafanzeige gegen Unbekannt erstattet.“ Die bloße Teilnahme an einem der Spaziergänge aber stelle keine strafbare Handlung dar.

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