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VerfassungsschutzJurist Ogorek: AfD-Gutachten taugt für ein Verbotsverfahren

5 min
11.06.2025, Bremen, Bremerhaven: Protestierende mit Plakaten und Luftballons fordern ein AfD-Verbot. Zur Innenministerkonferenz in Bremerhaven hat die Kampagne «Menschenwürde verteidigen – AfD-Verbot Jetzt!» zusammen mit dem Bündnis «Bremerhaven bleibt bunt» eine Protestkundgebung angekündigt. Die Innenminister der Bundesländer sollen dazu aufgefordert werden, die Einleitung des Verbotsverfahrens gegen die AfD zu unterstützen und gegenüber der Ministerpräsidentenkonferenz eine entsprechende Empfehlung auszusprechen. Foto: Sina Schuldt/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Auf einer Demo gegen die AfD zeigen Teilnehmende einen Luftballon mit der Aufschrift „AfD Verbot jetzt“.

Der Kölner Staatsrechtler Markus Ogorek reagiert mit einer Studie auf Behauptungen unter anderem von Innenminister Alexander Dobrindt (CSU), das umstrittene Gutachten des Verfassungsschutzes zur Einstufung der AfD als „gesichert rechtsextremistisch“ wäre für ein Parteiverbotsverfahren unbrauchbar. 

Herr Professor Ogorek, Sie haben geprüft, ob der Verfassungsschutz bei der Einstufung der AfD als „gesichert rechtsextremistisch“ vergleichbare Kriterien festgelegt und angewandt hat zu jenen, die bei einem Verbotsverfahren zum Tragen kämen. Was ist das Ergebnis?

Das Bundesinnenministerium und andere Stimmen aus der Politik haben behauptet, das Gutachten des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) sei für einen Gang nach Karlsruhe quasi unbrauchbar. Richtig ist eher das Gegenteil: Die Belegsammlung könnte vor dem Verfassungsgericht sehr wohl Verwendung finden.

Warum?

Weil es eine große Parallelität gibt zwischen dem, was vom Verfassungsschutz geprüft wurde, und dem, was in Karlsruhe verhandelt würde. Das gilt sowohl für die Maßstäbe als auch für einschlägige Äußerungen aus der AfD.

Professor Dr. Markus Ogorek

Professor Dr. Markus Ogorek

Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) und andere Kritiker sagen, der Verfassungsschutz habe sich „nur“ mit Verstößen der AfD gegen das Menschenwürde-Prinzip im Grundgesetz befasst, nicht aber mit einer Infragestellung von Demokratie und Rechtsstaat.

Tatsächlich reichen die durch das BfV zusammengetragenen Belege nicht aus, um der AfD-Bundespartei hinreichend viele Angriffe auf das Demokratieprinzip oder die Rechtsstaatlichkeit gesichert nachzuweisen. Aber das ist auch gar nicht erforderlich.

Warum nicht?

Weder im Verfassungsschutzrecht noch für ein Parteiverbot muss ein Angriff auf alle drei genannten Merkmale der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vorliegen. Das Verfassungsgericht hat es im zweiten NPD-Verbotsverfahren wiederholt: Menschenwürdeverstöße allein reichen aus.

Es gehört zur Strategie der AfD, mit doppeldeutigen Formulierungen die Analyse zu erschweren.
Professor Markus Ogorek

Und die sind nach Ansicht des Verfassungsschutzes gegeben.

Mein Team und ich haben 829 Belege aus dem BfV-Gutachten ausgewertet. Das sind praktisch alle relevanten Funde der Behörde. Bei knapp zwei Dritteln sind wir zu der Einschätzung gelangt, dass sie auch in einem späteren Parteiverbotsverfahren einschlägig wären oder zumindest von Bedeutung sein könnten.

Über 250 Belege im Gutachten halten Sie hingegen für nicht einschlägig. Auch keine geringe Zahl.

Manche der vermeintlichen Treffer sind zwar radikal, aber nicht zwingend extremistisch. Trotzdem wäre es voreilig, den Stab über den Verfassungsschutz zu brechen. Es gehört gerade zur Strategie der AfD, mit doppeldeutigen Formulierungen die Analyse zu erschweren. Hinzu kommt: Auch bei uns herrschte nicht immer sofort Einigkeit darüber, ob ein Beleg relevant ist oder nicht. Wenn man das berücksichtigt, kann sich die vom BfV erreichte Quote durchaus sehen lassen.

Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zum „Fall Compact“ mahnt zur Vorsicht und zur Sorgfalt.
Professor Markus Ogorek

Ein Beispiel für die beschriebenen Doppeldeutigkeiten?

Nehmen Sie einen AfD-Funktionär wie Björn Höcke, der als Geschichtslehrer immer wieder NS-Vokabeln in den Mund nimmt. Wenn eine solche Person von „Remigration“ spricht, wissen seine Anhänger, dass damit auch deutsche Staatsbürger mit Migrationshintergrund gemeint sein können, die aus dem Land gedrängt werden sollen. Offiziell würde die Partei dies von sich weisen, aber es hält sie nicht davon ab, den Begriff weiterhin im Munde zu führen.

Im Fall des Magazins „Compact“ ist das Bundesverwaltungsgericht zum Ergebnis gelangt, das Verbot durch die frühere Innenministerin Nancy Faeser (SPD) sei nicht gerechtfertigt – eben, weil die angeführten verfassungsfeindlichen Aussagen in ihrer Breite nicht hinreichend waren.

Diese Entscheidung mahnt in der Tat zur Vorsicht und zur Sorgfalt. Deshalb setzt sich unsere Untersuchung auf mehreren Seiten damit auseinander. Im Ergebnis ist der Richterspruch aber kein schlagender Einwand gegen die Bedeutung des BfV-Gutachtens. Das Bundesverwaltungsgericht hat im Fall „Compact“ die vielen verfassungsfeindlichen Äußerungen nur aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nicht als „prägend“ angesehen. Hier hat die hohe Bedeutung der Pressefreiheit eingewirkt. Das Bundesverfassungsgericht hingegen hat mehrfach betont, dass es eine solche Abwägung im Verbotsverfahren nicht gibt. Das BfV bewegt sich mit seinem Gutachten nach unserer Einschätzung auf dem Pfad, den Karlsruhe vorgezeichnet hat.

Menschen werden teilweise mit invasiven Tierarten verglichen.
Professor Markus Ogorek

Was bedeutet das konkret?

Die Forderung einer „Remigration“ deutscher Staatsbürger ist nach der Karlsruher Rechtsprechung unvereinbar mit der Menschenwürde. Gleiches gilt für die Bezeichnung „Passdeutsche“, wenn Staatsangehörige damit zu Bürgern zweiter Klasse degradiert werden. Solche Belege lassen sich im BfV-Gutachten durchaus finden. Auch werden aus der AfD heraus Ausländern oder Migranten pauschal negative Eigenschaften zugeschrieben: Sie werden unisono als Vergewaltiger, Messerstecher und Invasoren dargestellt und damit entmenschlicht. Ich erspare mir die Wiederholung vieler dieser Ausdrücke – nur ein Beispiel, um deutlich zu machen, worum es geht: Menschen, die AfD-Akteure nicht für „autochthon“ halten, werden von ihnen teilweise mit invasiven Tierarten verglichen, die „das heimische Ökosystem stören“.

Vereinfacht gesagt: Deutschland den Deutschen…

… und zwar nur bestimmten Deutschen, obwohl das Verfassungsgericht mehrfach betont hat, dass alle deutschen Staatsangehörigen ohne Wenn und Aber zum Staatsvolk gehören und dass das Grundgesetz ein anderes Volk nicht kennt.

Ich sehe keinen Automatismus.
Professor Markus Ogorek

Wenn dem so ist, hält die Einstufung der AfD als „gesichert rechtsextremistisch“ nach Ihrer Ansicht dann auch unzweifelhaft vor den Gerichten?

Die Hochstufung wird zunächst durch das Verwaltungsgericht in Köln geprüft, weil das BfV hier seinen Sitz hat. Danach geht es weiter zum Oberverwaltungsgericht (OVG) in Münster. Beide Instanzen haben bereits im Rahmen der „Verdachtsfall“-Einstufung bestätigt, dass die von mir erwähnten Aussagen extremistisch sind. Die Frage wird nun sein: Genügen die nun durch den Verfassungsschutz zusammengestellten Belege, um eben nicht nur den Verdacht zu hegen, sondern mit Gewissheit davon auszugehen, dass solche Entgleisungen in der AfD dominieren? Ich halte das für eher wahrscheinlich.

Spätestens wenn die Hochstufung bestätigt würde, müsste daraus dann nicht denklogisch ein Verbotsverfahren folgen?

Das wird gelegentlich behauptet. Ich sehe diesen Automatismus aus zwei Gründen nicht. Wir haben in unserer Untersuchung zwar dargestellt, dass die rechtlichen Maßstäbe zwischen Einstufung und Parteiverbot vergleichbar sind. Gleichwohl dürfte die Prüfschärfe der Karlsruher Richter wegen der weiterreichenden Folgen eines Verbots noch strenger ausfallen als die des Verfassungsschutzes.

Es gibt für ein Parteiverbot kein rechtliches Kriterium im Sinne eines „too big to ban“ - zu groß für ein Verbot.
Professor Markus Ogorek

Das zweite Argument gegen einen Automatismus?

Die Einleitung eines Verbotsverfahrens ist eine politische Entscheidung. Keiner der Antragsberechtigten – also Bundestag, Bundesrat oder Bundesregierung – kann und darf durch ein behördliches Gutachten gezwungen werden, einen solchen Antrag zu stellen. Bezogen auf die Bundestagsabgeordneten verstieße die Annahme einer Rechtspflicht beispielsweise gegen das freie Mandat, da Abgeordnete nur ihrem Gewissen unterworfen sind.

Zur politischen Abwägung gehört auch die Frage, ob das Verbot einer Partei sinnvoll ist, die im Bundestag die größte Oppositionsfraktion stellt.

Das Verfassungsgericht hat in seiner zweiten NPD-Entscheidung 2017 betont: Parteien, die zu klein oder zu schwach sind, um die Demokratie ernsthaft zu gefährden, hat der liberale Rechtsstaat auszuhalten. Es gibt umgekehrt aber kein rechtliches Kriterium im Sinne eines „too big to ban“ – zu groß für ein Verbot. Auch hier sind wir klar im Bereich einer politischen Abwägung. Deswegen spricht Karlsruhe von Parteiverbotsverfahren als schärfstem, aber zugleich zweischneidigem Schwert. Trotzdem wäre es naiv anzunehmen, dass die zuständigen Richter völlig unbeeinflusst von der Größe und dem politischen Einfluss einer Partei blieben, die verboten werden soll.

Ihre Schlussfolgerung?

Wer meint, man könne das BfV-Gutachten für ein Verbotsverfahren nicht gebrauchen, liegt falsch. Aber jene, die meinen, diese Belegsammlung allein reiche aus für einen potenziell erfolgreichen Verbotsantrag, liegen ebenfalls daneben. Aus juristischer Perspektive wäre es angezeigt abzuwarten, bis die Fachgerichte die AfD-Hochstufung überprüft haben. Da dies aber mehrere Jahre dauern wird, sind Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung gut beraten, bereits heute die Vorbereitungen für einen Antragsentwurf zu starten. Ansonsten besteht die Gefahr, dass wir nie zu einer politischen Entscheidung der antragsberechtigten Verfassungsorgane kommen. Das Grundgesetz weist diesen nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht zur ernsthaften Prüfung eines Verbotsverfahrens zu.


Zur Person

Professor Dr. Markus Ogorek, geb. 1974, ist seit 2020 Direktor des Instituts für Öffentliches Recht und Verwaltungslehre der Universität zu Köln. Seit 2024 leitet Ogorek auch die dort angesiedelte Forschungsstelle Nachrichtendienste. Von 2016 bis 2020 war Ogorek Präsident der privaten EBS Universität für Wirtschaft und Recht. Im „Kölner Stadt-Anzeiger“ ist er Autor der Kolumne „Alles, was Recht ist“.