Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Bundespartei „gesichert rechtsextrem“Was im Gutachten über die AfD in NRW steht

Lesezeit 9 Minuten
Das Bundesamt für Verfassungsschutz BfV in Chorweiler.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz in Chorweiler. Der Inlandsnachrichtendienst hatte die AfD am 2. Mai als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft.

Das Gutachten über die Hochstufung der AfD durch den Verfassungsschutz ist geleaked worden. Was ist dort über AfD-Politiker aus NRW zu lesen?

Nun ist es doch online. Dabei hielt der Verfassungsschutz sein Gutachten zunächst unter Verschluss, als er vor zwei Wochen die AfD als „gesichert rechtsextrem“ einstufte. Alexander Dobrindt (CSU), der mittlerweile das Amt des Innenministers übernommen hat, kündigte an, eine Veröffentlichung prüfen zu lassen. Die neurechte Zeitung „Junge Freiheit“ und das Magazin „Cicero“ kamen ihm zuvor: Beide veröffentlichten am Donnerstag das komplette Gutachten. Bereits zuvor war es dem „Spiegel“ zugespielt worden.

Was steht über die AfD in NRW in dem Bericht? Diese Frage könnte hier noch bedeutsamer sein als in einigen anderen Bundesländern. Denn während die Bundespartei nun für den Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextrem“ gilt, wird der Landesverband Nordrhein-Westfalen nicht vom Inlandsnachrichtendienst beobachtet.

Mehr als 1100 Seiten fasst das Gutachten des Verfassungsschutzes, ein Großteil dieser Seiten nehmen Belege ein, meist in Form von Zitaten und Social-Media-Posts von AfD-Politikern. Dabei fokussiert sich der Verfassungsschutz vor allem auf Funktions- und Mandatsträger. Fest steht: Ohne die Zitate von dem thüringischen Landeschef Björn Höcke, dem sächsischen Bundestagsabgeordneten Maximilian Krah und Christina Baum aus Sachsen-Anhalt wäre das Gutachten bedeutend kürzer. Insgesamt nehmen die Belege aus den Ostverbänden und aus dem Bundesvorstand am meisten Platz ein.

Verfassungsschutz wirft Europapolitiker aus NRW ein ethnisch-biologisches Menschenbild vor

Doch der Verfassungsschutz füllt auch einige Seiten mit den Äußerungen von AfD-Politikern aus Nordrhein-Westfalen. Besonders häufig genannt: Die Bundestagsabgeordneten Matthias Helferich und Martin Renner, die Ex-Bundestagsabgeordneten Roger Beckamp und Eugen Schmidt, Ex-Europaparlamentarier Gunnar Beck und der Paderborner Kommunalpolitiker Marvin Weber. Auch die Europa-Abgeordnete Irmhild Boßdorf und Enxhi Seli-Zacharias, stellvertretende Fraktionssprecherin im Düsseldorfer Landtag, werden mehrfach zitiert.

Die Freiheitlich-Demokratische Grundordnung, erklärt der Verfassungsschutz zu Beginn, könne man auf drei zentrale Grundprinzipien reduzieren: Menschenwürde, Demokratieprinzip, Rechtsstaatsprinzip. Am meisten Verstöße sah der Inlandsgeheimdienst gegen das Prinzip der Menschenwürde.

Beim Lesen von Gunnar Becks X-Profil (ehemals Twitter) konnte der Verfassungsschutz offenbar besonders fleißig mitschreiben. Im August 2022 teilte Beck, damals noch Europaabgeordneter aus Düsseldorf, einen Cartoon über unterschiedliches Aussehen und Intelligenz bei Hunderassen. Dazu schrieb er: „Die Biologie und Medizin lehren uns, Lebewesen unterscheiden sich weitestgehend aufgrund ihrer genetischen Ausstattung. Nur bei der menschlichen Intelligenz macht die linke ‚Wissenschaft‘ eine Ausnahme. Sonderbar, nicht?“ Der Verfassungsschutz wirft Beck ein ethnisch-biologisches Menschenbild vor, eines, in dem er Menschen in „Rassen“ mit unterschiedlicher Intelligenz aufteilt. Also: Ein Menschenbild, das „mit dem Prinzip der Menschenwürde unvereinbar“ sei. In einem anderen Social Media Posts stellte Beck Europäer als „vom Aussterben bedrohte Spezies“ dar und begründete dies mit dem Bild eines nicht-weißen Models auf einem internationalen Magazin.

Der AfD-Europakandidat Gunnar Beck spricht beim Delegiertenparteitag der Alternative für Deutschland (AfD). Beck hat Kritik wegen des Führens eines Professorentitels als unberechtigt zurückgewiesen. +++ dpa-Bildfunk +++

Schrieb auf seinem X-Profil: „Die Biologie und Medizin lehren uns, Lebewesen unterscheiden sich weitestgehend aufgrund ihrer genetischen Ausstattung. Nur bei der menschlichen Intelligenz macht die linke ‚Wissenschaft‘ eine Ausnahme. Sonderbar, nicht?“

Verbindungen zu rechtsextremen Gruppen

In seinen weiteren Belegen nennt der Verfassungsschutz mehr als ein Dutzend weitere Aussagen von AfD-Politikern aus NRW. Er führt Eugen Schmidts Video an, in dem er die Diskriminierungsbeauftragte Ferda Ataman als „Bio-Türkin“ bezeichnet, einen Post der AfD Wuppertal, die nach Krawallen in der Silvesternacht 2022 bei den Tatverdächtigen mit Migrationshintergrund die Bezeichnung „Deutsche“ konsequent in Anführungszeichen setzte, eine Rede von Irmhild Boßdorf, in der sie von einem „menschengemachten Bevölkerungswandel“ spricht und „millionenfache Remigration“ fordert. Als Beleg für eine Abwertung von Muslimen durch die AfD verweist der Verfassungsschutz auf mehrere Zitate der Gelsenkirchenerin Enxhi Seli-Zacharias.

Mehr als zwei Dutzend Mal führt die Behörde insgesamt Aussagen und Posts von Matthias Helferich an. Sie wirft ihm unter anderem vor, einen ethnischen Volksbegriff zu nutzen. Zudem sieht sie ihn offenbar als Beispiel dafür, dass Entgleisungen in der AfD nur selten hart sanktioniert werden: Wie auch Maximilian Krah durfte Helferich nach der Bundestagswahl im Februar der AfD-Fraktion beitreten, hebt der Verfassungsschutz hervor. In der vergangenen Legislaturperiode saß Helferich noch fraktionslos im Parlament. Damals wurden Chats geleaked, in denen er sich als „das freundliche Gesicht des NS“ bezeichnet hatte. Vor einem Jahr leitete der NRW-Landesvorstand wegen neuer Vorwürfe ein Parteiausschlussverfahren gegen Helferich ein, das bisher jedoch noch nicht vor dem Schiedsgericht eröffnet wurde. Im Februar zog er erneut über die Landesliste in den Bundestag ein.

Berlin, Deutschland, 03.07.2024: Deutscher Bundestag: 180. Bundestagssitzung: Matthias Helferich, fraktionslos aber AfD-Parteimitglied *** Berlin, Germany, 03 07 2024 German Bundestag 180 Bundestag session Matthias Helferich, non-attached but AfD party member Copyright: xdtsxNachrichtenagenturx dts_43151

In Helferichs Dortmunder Wahlkreisbüro, heißt es in dem Gutachten, schuf er einen Veranstaltungsort, in dem Akteure rechtsextremer Organisationen auftraten.

Besonders häufig fällt Helferichs Name bezüglich Verbindungen zu rechtsextremen Gruppierungen und Organisationen. In seinem Dortmunder Wahlkreisbüro, heißt es in dem Gutachten, schuf er einen Veranstaltungsort, in dem Akteure rechtsextremer Organisationen auftraten. Für die Identitäre Bewegung und die inzwischen aufgelöste Nachfolgeorganisation „Revolte Rheinland“ gilt zudem ein Unvereinbarkeitsbeschluss mit der AfD, Helferich äußerte dennoch offen seine Unterstützung. Dazu pflege er ein enges Verhältnis zu dem rechtsextremen Verein „Ein Prozent“. Sein ehemaliger Kollege im Bundestag, Roger Beckamp (Rhein-Sieg-Kreis), gab auf Telegram demnach an, Fördermitglied von „Ein Prozent“ zu sein.

Neue „Hülle“ für die Junge Alternative?

Unter den Kategorien Demokratieprinzip und Rechtsstaatsprinzip füllte der Verfassungsschutz mehrere Seiten mit den Aussagen des Paderborner Ratspolitikers Marvin Weber, der die Bundesrepublik unter anderem als „gebrochenes Experiment der Siegermächte“ verunglimpfte. Martin Renner, Ehrenvorsitzender des NRW-Landesvorstands, verglich die etablierten Parteien mehrfach in Facebook-Posts mit der SED, nannte sie die „Neue Einheitspartei Deutschlands (NED)“ und suggerierte laut Verfassungsschutz, in Deutschland gebe es keine Gewaltenteilung mehr. Von dem Kölner Bundestagsabgeordneten und stellvertretenden Landesvorsitzenden Fabian Jacobi führt der Nachrichtendienst ebenfalls mehrere Zitate an: Jacobi bezeichnete Deutschland demnach in einem Tweet als „autoritären Staat“ und „gelenkte Demokratie“, in einem weiteren Post soll er „keine roten Linien (…) im Umgang mit dem Staat“ gefordert haben.

Essen, NRW, Deutschland, 29.06.2024: Grugahalle: 15. Bundesparteitag der AfD: Kay Gottschalk *** Essen, NRW, Germany, 29 06 2024 Grugahalle 15 Federal Party Conference of the AfD Kay Gottschalk Copyright: xdtsxNachrichtenagenturx dts_42702

Der Nettetaler Kay Gottschalk nahm am „Preußenfest“ in Sachsen-Anhalt, das in der Tradition des aufgelösten „Flügels“ stehe. Vor den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen habe er die dortige AfD im Wahlkampf unterstützt; beide Landesverbände stuft der Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextrem“ ein.

Auch ein Sticker der „Jungen Alternative NRW“ schaffte es in das Gutachten. Er zeigt einen Waschbären mit islamischer Kopfbedeckung und geschultertem Gewehr, darüber steht der Schriftzug „Invasive Arten abschieben“. Damit, schreibt der Nachrichtendienst, verunglimpfe die Junge Alternative Muslime und entmenschliche sie.

Die „Junge Alternative“ (JA) wurde zum April formal aufgelöst, auch in NRW. Die Mutterpartei will sie durch eine neue Jugendorganisation ersetzen und diese enger an die AfD binden. Offenbar befürchtet der Verfassungsschutz, dass die Strukturen der JA trotzdem bleiben: Die JA NRW versprach laut dem Gutachten, dass lediglich ihre „Hülle“ verschwinde – nicht der Inhalt. Zur Gründung einer neuen Parteijugend zitiert der Verfassungsschutz den stellvertretenden NRW-Landesvorsitzenden und Bundestagsabgeordneten Kay Gottschalk, der von einer „Weiterentwicklung wie in einer Liebesbeziehung“ sprach.

Spenden für die Identitäre Bewegung

Dem Nettetaler Kay Gottschalk, der auch stellvertretender Bundessprecher der AfD ist, widmet der Verfassungsschutz in seinem Fazit mehrere Absätze. Gottschalk, der bei der letzten Wahl auf Listenplatz eins wieder in den Bundestag einzog, ist einer der prominentesten Vertreter des gemäßigteren Lagers der AfD. Mit Nordrhein-Westfalen gehöre er einem Landesverband an, der „bisher in vergleichsweise geringerem Umfang mit verfassungsschutzrelevanten Äußerungen aufgefallen ist“, heißt es im Bericht.

Dann zählt der Geheimdienst rechtsextreme Veranstaltungen auf, an denen Gottschalk seit seiner Wahl in den Bundesvorstand trotzdem teilnahm. Darunter ist auch das „Preußenfest“ in Sachsen-Anhalt, das in der Tradition des aufgelösten „Flügels“ stehe. Vor den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen habe er die dortige AfD im Wahlkampf unterstützt; beide Landesverbände stuft der Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextrem“ ein. Bereits früher im Gutachten heißt es, Gottschalk habe Geld für ein Projekt der Identitären Bewegung gespendet.

Man könne nicht davon ausgehen, dass Gottschalk versuche, mäßigend auf die Gesamtpartei zu wirken, schreibt der Verfassungsschutz. „Vielmehr zeugt das Verhalten seit seiner Wahl davon, dass er mit den rechtsextremistischen Kräften in der AfD zusammenarbeitet.“

NRW-Landesverband nicht eingestuft

Im Gegensatz zur Gesamtpartei wird der nordrhein-westfälische Landesverband bisher nicht vom Verfassungsschutz beobachtet. Das Landesamt für Verfassungsschutz zählt ihn auch nicht als „Prüffall“, der niedrigste Grad der Einstufung. Beobachtet werden nur der völkische Zusammenschluss innerhalb der AfD (ehemals Flügel) und die Junge Alternative NRW. Die AfD-Landtagsfraktion wollte am Donnerstag offenbar nochmal sicher gehen und stellte eine Anfrage ans Innenministerium: „Bundesverband der AfD angeblich gesichert rechtsextrem – wie wird der Landesverband in NRW eingestuft?“ NRW-Innenminister Herbert Reul CDU antwortete: Die rechtlichen Voraussetzungen für eine öffentliche Bewertung des NRW-Landesverbands durch den Verfassungsschutz würden nicht vorliegen. „AfD NRW gesichert nicht rechtsextrem“, titelte die Fraktion daraufhin in einer Mitteilung.

Das Gutachten des Verfassungsschutzes lag nach der Hochstufung der AfD auch den Landesämtern vor. Welche Auswirkungen es auf die Einschätzung der Behörde über den NRW-Landesverband hat, ist noch offen. Ein Sprecher des NRW-Innenministeriums sagte auf Anfrage: „Der Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen hat alle Entwicklungen eng im Blick und wird sich dazu äußern, sobald die rechtlichen Voraussetzungen vorliegen.“

AfD-Mitglied trat aus: „In der Partei haben die Opportunisten und Rechtsextremisten die Mehrheit“

Nach der Hochstufung durch den Verfassungsschutz äußerten sich zwei Funktionäre in der AfD Nordrhein-Westfalen auf Anfrage betont gelassen. Wie die Parteispitze in Berlin bezeichnen auch sie die Hochstufung als politisch motiviert, von einem „Abschiedsgeschenk von Frau Faeser“ ist die Rede. Mitglieder im Staatsdienst würden sich wenig Sorgen wegen ihrer beruflichen Zukunft machen. Auch ein Parteiverbot halten beide für unwahrscheinlich.

Die Zitate, die der Verfassungsschutz als Begründung für die Hochstufung anführte, sagt der eine, seien zwar polemisch, aber in seinen Augen zulässig. Trotzdem sieht er nun eine Gelegenheit, in Berlin gegen die „Problemfälle“ in der Partei vorzugehen. Ließe man sie weiter gewähren, würde man es dem Verfassungsschutz zu einfach machen: „Man legt dem Gegner auch nicht den Ball auf den Elfmeterpunkt und nimmt den Torwart raus.“

Anders äußert sich ein AfD-Mitglied aus dem Rheinland. In seinem Umfeld sei die Hochstufung mit Sorge aufgenommen worden; manche Parteifreunde fürchteten berufliche Konsequenzen. Er selbst sei in den Tagen nach der Hochstufung als „gesichert rechtsextrem“ aus der Partei ausgetreten. Sie sei der letzte Tropfen gewesen, der das Fass für ihn zum Überlaufen brachte. „In der Partei haben mittlerweile die Opportunisten und Rechtsextremisten die Mehrheit“, sagt er.

Rechtsstreit zieht sich vermutlich über Jahre

Der Hochstufung durch den Verfassungsschutz folgt nun ein Rechtsstreit. Wie schon bei der Einstufung als rechtsextremer Verdachtsfall sind die Gerichte in NRW zuständig, denn der Verfassungsschutz hat seinen Sitz in Köln-Chorweiler. Der Inlandsnachrichtendienst stimmte einem sogenannten Stillhalteabkommen zu: Er verzichtet vorläufig darauf, die AfD öffentlich „gesichert rechtsextrem“ zu nennen - zumindest so lange, bis das Verwaltungsgericht Köln über den Eilantrag der Partei entschieden hat. Damit revidiert der Geheimdienst seine Einschätzung nicht, es ist eher ein üblicher Schritt. Als die AfD 2021 gegen die Einstufung als rechtsextremer Verdachtsfall vorging, musste der Nachrichtendienst auf die Bezeichnung ebenfalls bis zum ersten Gerichtsbeschluss verzichten.

Bis eine solche Entscheidung kommt, könnte noch einige Zeit vergehen. Auch wenn es sich um ein Eilverfahren handelt: Die Aktenlast ist hoch. Selbst wenn das Verwaltungsgericht Köln das Eilverfahren nun priorisiert bearbeitet, vergehen bis zu einer Entscheidung vermutlich einige Monate.

Den Eilantrag stellte die AfD bereits am 5. Mai, drei Tage nach der Hochstufung. Seitdem hat das Bundesamt für Verfassungsschutz drei Wochen Zeit für eine Stellungnahme. Üblicherweise wird diese wiederum der AfD zur Stellungnahme geschickt. Nach dem Eilverfahren würde das Gericht im Regelfall das Klageverfahren bearbeiten, was wiederum mehrere Monate bis Jahre in Anspruch nehmen könnte. Als die AfD vor vier Jahren zum Verdachtsfall hochgestuft wurde, urteilte das Verwaltungsgericht Köln über die Klage nach 14 Monaten und entschied über den Eilantrag direkt mit. Die AfD ging vor dem Oberverwaltungsgericht Münster in Berufung, das im Mai 2024 zugunsten des Verfassungsschutzes urteilte. Beide Zeitspannen galten als verhältnismäßig kurz.