Kölner SPD-Kandidat über große Koalition„Habe Sorge vor desaströsen Ergebnissen“

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Norbert Walter-Borjans (1)

Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken

  • Norbert Walter-Borjans hat gute Chancen, gemeinsam mit Saskia Esken den SPD-Vorsitz zu übernehmen.
  • Im Interview spricht er über den Ausstieg seiner Partei aus der Koalition mit der Union.
  • Er äußert sich auch dazu, wie er die Wähler im Fall von Neuwahlen von der SPD überzeugen möchte.

Köln – Nach dem Einzug in die Stichwahl um den SPD-Vorsitz hofft Ex-NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans mit seiner Co-Kandidatin Saskia Esken auf einen Sieg. Im Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ spricht der Kölner Politiker über ein vorzeitiges Ende der Regierungskoalition mit CDU und CSU sowie eine mögliche Kanzlerkandidatur. 

Herr Walter-Borjans, Sie haben es in die Stichwahl geschafft. Wie erleichtert sind Sie? 

Das Ergebnis hat unsere Erwartungen übertroffen. Wir wussten, dass wir es ins Finale schaffen können, haben aber mit einem knapperen Ausgang gerechnet und waren alles andere als sicher. Dass es jetzt ein Kopf-an-Kopf-Rennen der beiden Erstplatzierten gibt, eröffnet den Mitgliedern eine ernstzunehmende Alternative.

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Wie sehen Sie Ihre Chancen, die Stichwahl gegen das Team Scholz/Geywitz zu gewinnen?

Wir wissen, dass viele jetzt die Rechnung aufmachen und den größeren Teil der Stimmen für die anderen Mitbewerberinnen und Mitbewerber in der Stichwahl eher bei uns sehen. Aber das setzt voraus, dass die Allermeisten auch an der Stichwahl teilnehmen. Zudem stellt sich die Frage, wie es mit der Zustimmung derer aussieht, die erst in Runde zwei dazustoßen.

Sehen Sie in der Stichwahl eine Richtungsentscheidung über den zukünftigen Kurs der SPD?

Zuerst einmal: Wir sind in einer Partei und wir wollen, dass diese Partei zusammenhält. Aber es wäre geheuchelt, wenn wir so täten, als gäbe es keine Unterschiede. Wir haben uns in den Regionalkonferenzen gegen ein Weiter-so ausgesprochen und für eine gerechtere Verteilung dessen, was erwirtschaftet wird. Auch für eine gerechtere Verteilung der Lasten, die der dringend notwendige Klimaschutz und die ebenso dringenden Investitionen in Schulen und Infrastruktur unweigerlich mit sich bringen. Für uns ist das weniger eine Frage der Richtung als der Spurtreue.

Ihre Co-Kandidatin Saskia Esken hat sich klar gegen die große Koalition ausgesprochen. Gilt das auch für Sie?

Wir haben beide deutlich gemacht, dass es uns um die Inhalte geht, und dass wir CDU und CSU nicht als die Partner sehen, mit denen wir die Inhalte in sozial gerechte Politik übersetzen können. Wir sagen beide auch, dass der Klimawandel, die heraufziehenden dunklen Wolken am Konjunkturhimmel und die zunehmende gesellschaftliche Spaltung uns nicht noch zwei Jahre Weiter-so erlauben. Was das für die GroKo bedeutet, wird der Parteitag Anfang Dezember gewiss sehr lebhaft debattieren – in Kenntnis der genannten Einschätzung, aber in einer offenen Aussprache. So oder so ist aber eines sicher: dass wir nicht länger das gewünschte Endergebnis zur Verhandlungsbasis machen. Mit wem auch immer wir verhandeln.

Bedeutet ein Sieg des Duos Borjans/Esken, dass die SPD so schnell wie möglich den Ausstieg aus dem Bündnis mit der Union suchen wird oder setzen Sie darauf, dass die CDU/CSU auf Forderungen Ihrerseits eingeht?

Wenn CDU und CSU das täten, wäre der Sofortausstieg schwer zu erklären. Allein uns fehlt der Glaube.

Sollten die Wähler sich auf Neuwahlen im Frühjahr einstellen?

Das liegt nicht in der Hand der SPD. Die Vermeidung von Neuwahlen als oberstes Ziel verbunden mit der Inkaufnahme, die Umverteilung von unten nach oben weitergehen und wichtige Fragen weitere zwei Jahre unbeantwortet zu lassen, würde die SPD allerdings noch weiter in den Keller fahren.

Haben Sie keine Angst, dass die SPD bei Neuwahlen ein desaströses Ergebnis erzielt?

Ich habe auf jeden Fall Sorge, dass sie das mit einem Weiter-so als schrumpfender Juniorpartner bei den nächsten regulären Wählen täte.

Mit welcher Kernbotschaft wollen Sie das Vertrauen der Bürger zurückgewinnen?

Dass wir dafür sorgen, dass „sozialdemokratische Häuser“ wie beitragsfreie Kitas, Bekämpfung von Kinderarmut, mehr Sicherheit in Zeiten rasanten Wandels angefangen beim Arbeitsplatz über bezahlbare Mieten, Gesundheit und Rente bis zum Klima auch ein „sozialdemokratisches Fundament“ erhalten. Sprich: dass die damit verbundenen Kosten nicht auf den Beziehern kleiner und mittlerer Einkommen hängenbleiben. Die richtig großen Einkommen und Vermögen müssen einen größeren Beitrag leisten. Schon gar nicht dürfen wir zulassen, dass sich die Wohlhabendsten und die globalen Unternehmen einen schlanken Fuß machen.

Wird Kevin Kühnert im Falle Ihrer Wahl SPD-Generalsekretär?

Gerade gegen die verbreitete Vorstellung, dass Unterstützung nur in Verbindung mit einem Deal denkbar ist, bin ich angetreten. Stellen Sie sich vor, es gibt junge Leute, die Hoffnungen in ein lebensälteres Paar setzen, dass die eingefahrenen Rituale der Politik aufbrechen. Das wollen wir wirklich. Das wollen manche vielleicht nicht. Und plötzlich gibt es ein Gerücht, das zwar keine Grundlage hat, aber hartnäckig im Umlauf bleibt. Damit muss man leben.

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Es gab mit Karl Lauterbach einen weiteren Kölner Kandidaten aus dem eher linken Spektrum der Partei. Setzen Sie jetzt auf dessen Unterstützung ?

Es gab viele Mitglieder, die in den sozialen Medien berichteten, ihnen sei die Entscheidung zwischen bestimmten Teams schwer gefallen. Die einen haben sich so, andere so entschieden. Das galt auch für die Alternative Nina Scheer/Karl Lauterbach oder Saskia Esken/Norbert Walter-Borjans. Was das für die Stichwahl bedeutet, wissen diese Mitglieder am besten selbst. Aufrufe der ausgeschiedenen Teams würden das kaum beeinflussen. Aber natürlich freuen wir uns über jeden Stimmenzuwachs.

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