Kommentar zum BürgergeldUnwürdiges Gezerre auf dem Rücken der Ärmsten

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Ein Hinweis auf das geplante Bürgergeld auf der Homepage des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales.

Ein Hinweis auf das geplante Bürgergeld auf der Homepage des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales.

Die Union provoziert die Regierung beim Bürgergeld nach allen Regeln der politischen Kunst. Das ist verständliche Parteitaktik – aber schäbig ist es dennoch.

Ab Januar sollen heutige Hartz-IV-Bezieher 53 Euro mehr im Monat bekommen. Das ist angesichts der galoppierenden Inflation alles andere als ausreichend. Und auch dieser Zuschlag steht auf der Kippe, weil die im Bundestag bereits beschlossene Reform der Grundsicherung noch eine zähe, ehrenlose Runde durch den Vermittlungsausschuss drehen muss.

„Wir müssen den Bedürftigen unter die Arme greifen“, hieß es angesichts der Energiekrise und der wachsenden Unzufriedenheit im Land in den vergangenen Wochen aus allen politischen Richtungen. Und jetzt?

Die Union, die endlich ein Oppositionsthema gefunden hat, provoziert die Ampelregierung nach allen Regeln der Kunst. Und das mitten in einer beginnenden sozialen Großkrise auf Kosten der Ärmsten. Das ist parteitaktisch verständlich. Schäbig ist es dennoch. Und verzeihlich nur, wenn es jetzt rasch zu einer Einigung kommt.

Zeit bis zum Jahreswechsel ist extrem knapp

Am Montag werden die CDU-geführten Länder das Bürgergeld-Gesetz im Bundesrat höchstwahrscheinlich durchfallen lassen, um im Vermittlungsausschuss noch nachzuverhandeln. Die Zeit ist äußerst knapp: In elf Tagen tritt die Länderkammer erneut zusammen. Selbst wenn es bis dahin eine Einigung gibt, müssen die Jobcenter alle Hebel in Bewegung setzen, um zum Jahreswechsel das neue Bürgergeld auszahlen zu können.

Auch wenn Details der Reform mit Recht angreifbar sind, auch wenn es verpflichtend werden muss, spätestens in zwei Jahren Bilanz zu ziehen und einige Regeln nachzuschärfen, es bleibt doch ein durchsichtiges Manöver, das Friedrich Merz und Markus Söder hinlegen, in seltener Eintracht und mit einigem politischen Geschick.

Der Unions-Vorschlag, die Erhöhung der Hartz-IV-Sätze aus der Sozialreform auszukoppeln, damit sie zum 1. Januar ausgezahlt werden können, war taktisch klug. Es schafft den Bürgergeld-Blockierern eine Rückzugslinie, falls die elf Tage nicht ausreichen, um einen Kompromiss zu finden: Es liegt nicht an uns, dass die Sätze nicht erhöht werden, könnten Merz und Co dann sagen.

Besonders die SPD wird das nicht akzeptieren können. Die Sozialreform gibt den Sozialdemokraten die Möglichkeit, mit Hartz IV endlich einen Sündenfall hinter sich zu lassen, der fast 20 Jahre lang ihre Partei zerriss. Arbeitsminister Hubertus Heil wollte derjenige sein, der das System von Grund auf reformiert und mit einem neuen, inklusiven Namen versieht.

Bürgergeld: 502 Euro pro Monat

Mehr Fortbildungen statt einer Vermittlung in Hilfsjobs - für ein Land des Fachkräftemangels klingt das sinnvoll. Vertrauenszeiten, um die Angst vor dem sozialen Abstieg zu nehmen, eigentlich auch. Dass ein Umzug in einer teurere Wohnung ausgeschlossen wird, das Heizkosten nicht unbegrenzt übernommen werden und es Durchgriffsrechte bei Sozialmissbrauch geben muss, ist eigentlich auch selbstverständlich.

502 Euro pro Monat , das ist alles andere als eine Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens durch die Hintertür. Wer anderes behauptet, will wissentlich Klischees über die ach so arbeitsscheuen Armen politisch ausnutzen.

Ob Schonvermögen und Vertrauenszeit dann doch zu massenhaftem Sozialmissbrauch führen oder eher unverschuldet arbeitslos gewordenen Menschen ihre Würde lassen, sollte dringend einer Evaluation überlassen werden, ebenso wie die Frage des gebotenen Abstands zum Arbeitslohn den kommenden Tarifverhandlungen.

Das Bürgergeld zu torpedieren, um den Druck von den Lohnforderungen zu nehmen, ist jedenfalls eine allzu durchsichtige Strategie. Jetzt müssen sich die Vernünftigen durchsetzen. Man suche „eine Lösung, mit der alle irgendwie leben können“ fordert NRW-Sozialminister Karl-Josef Laumann (CDU). Und seine Kollegin aus Schleswig-Holstein, Aminata Touré (Grüne) fordert einen „politischen Schulterschluss“.

Elf Tage sind noch Zeit.

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