Kommentar zur Flugblatt-AffäreSöders Bekenntnis zu Aiwanger ist falsch und fatal

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Markus Söder (CSU), Ministerpräsident von Bayern, und Hubert Aiwanger, damaliger Spitzenkandidat und Partei-Chef der Freien Wähler in Bayern, bei einem Fernsehauftritt (Archivbild)

Markus Söder (CSU), Ministerpräsident von Bayern, und Hubert Aiwanger, damaliger Spitzenkandidat und Partei-Chef der Freien Wähler in Bayern, bei einem Fernsehauftritt (Archivbild)

Die 25 Antworten auf Söders 25 Fragen sind nichts anderes als eine Frechheit, kommentiert Markus Decker. 

Die Erklärung des bayerischen Ministerpräsidenten war mit Spannung erwartet worden. Doch wer glaubte, Markus Söder könne seinen Stellvertreter Hubert Aiwanger entlassen, hat sich Illusionen gemacht. Der Vorsitzende der Freien Wähler wird bis zur Landtagswahl und wohl darüber hinaus bleiben, was er ist. Diese Entscheidung ist falsch und fatal.

Aiwanger persönlich hat das antisemitische Flugblatt, das man einst in seinem Schulranzen fand, als „ekelhaft und menschenverachtend“ bezeichnet. Tatsächlich wiegt das Pamphlet schwer. Darin wird dem Gewinner eines imaginären Bundeswettbewerbs „ein Freiflug durch den Schornstein in Auschwitz“ versprochen. Wer sich derlei ausdenkt, ist kein dummer Junge, sondern Überzeugungstäter.

Aiwanger hat aber von Anfang an nichts erklärt – und sich als Opfer inszeniert

Schüler und Lehrer beschreiben Hubert Aiwanger als Menschen, der von nationalsozialistischem Gedankengut fasziniert war und so dachte, wie es das Flugblatt nahelegt. In einem Land mit einer historischen Erblast von sechs Millionen systematisch ermordeten Juden ist das für sich genommen keine Kleinigkeit und für jeden Menschen erklärungsbedürftig - auch wenn es 36 Jahre zurückliegt.

Aiwanger hat aber von Anfang an nichts erklärt, was als Erklärung durchgehen könnte.
Markus Decker

Aiwanger hat aber von Anfang an nichts erklärt, was als Erklärung durchgehen könnte. Er hat die Sache mit dem Flugblatt vielmehr geleugnet, bis sie sich nicht mehr leugnen ließ. Dass plötzlich sein Bruder Helmut die Schuld auf sich nahm, weckte bei vielen Beobachtern Zweifel. Im Übrigen hat Hubert Aiwanger zwar sein Bedauern über die Ereignisse geäußert.

Man weiß nur bis heute nicht, was genau er bedauert. Dem kleinen Bedauern stehen nämlich große Erinnerungslücken und noch größere Beschimpfungen seiner Kritiker gegenüber. Noch die 25 Antworten auf Söders 25 Fragen sind nichts anderes als eine Frechheit. Aiwanger droht darin sogar Lehrern und Medien, die die Dinge anders beschreiben, statt endlich reinen Tisch zu machen.

Söders Erklärung verleugnet eine erdrückende Indizienkette

Söder sagt, Aiwanger habe sich „spät, aber nicht zu spät“ entschuldigt. Das stimmt allein deshalb nicht, weil die Entschuldigung letztlich nichts wert ist. Und die Anmerkung des Ministerpräsidenten, wonach es keine Beweise dafür gebe, dass Hubert Aiwanger das Flugblatt verfasst oder verbreitet habe, ist formal richtig. Dafür gibt es eine erdrückende Indizienkette. Ohnehin bestritt bereits vor Beginn der Flugblatt-Affäre sogar in der CSU niemand, dass der Chef der Freien Wähler sehr weit rechts steht und sein Sound von dem der AfD kaum zu unterscheiden ist.

Markus Söder hat Angst vor den Freien Wählern. Und diese Angst ist größer als der Wille, bei einer für die politische Kultur der Bundesrepublik Deutschland wegweisenden Affäre auf den bisherigen Standards zu bestehen. Das wiederum setzt den Standard für alle ähnlichen Affären und hinterlässt einen Schaden, der nicht wieder gut zu machen ist.

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