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Wirbel um Aussage zur Berliner MauerLawrows Lügen und „Konsequenzen“ für Finnland – Moskaus bedrohliche Signale

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Kremlchef Wladimir Putin im Kreml. Im Vordergrund ist Russlands Außenminister Sergej Lawrow zu sehen. (Archivbild)

Kremlchef Wladimir Putin im Kreml. Im Vordergrund ist Russlands Außenminister Sergej Lawrow zu sehen. (Archivbild)

Nicht nur mit Waffen, auch mit Worten lässt der Kreml keine Zweifel aufkommen – und redet nun über Finnland wie einst über die Ukraine.

Erst ein Rekordangriff auf die ukrainische Hauptstadt Kyjiw, dann die Bombardierung von Jarowa. „Mehr als 20 Tote“ meldete der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am Dienstag nach einem russischen Angriff auf das ukrainische Dorf in der Region Donezk. Die russische Armee habe eine Gleitbombe abgeworfen, „direkt auf die Leute, gewöhnliche Zivilisten“, berichtete Selenskyj. „Genau in dem Moment, als die Renten ausgezahlt wurden.“

Auf den vom ukrainischen Präsidialamt veröffentlichten Aufnahmen, die aus Jarowa stammen sollen, sind zahlreiche Leichen zu sehen, keiner der Toten trägt eine Uniform. Es sei ein „brutal grausamer Luftangriff“ gewesen, schrieb Selenskyj weiter. „Es gibt keine Worte dafür.“

Mit Waffen und Worten: Klare Signale aus Moskau

In Moskau sieht das anders aus: Dort findet man weiterhin viele Worte  und die sprechen in den letzten Tagen eine ähnlich brutale Sprache wie die Taten der russischen Streitkräfte. Russland macht keinen Hehl aus seiner Ablehnung der jüngsten westlichen Friedensbemühungen. Im Gegenteil, die Botschaften könnten eindeutiger kaum ausfallen – ob mit Blick auf die Ukraine oder gleich ganz Europa.

Auch die Falschdarstellungen des Kremls werden dabei immer dreister: So attestierte der russische Außenminister Sergej Lawrow „vielen westlichen Ländern“ zu Wochenbeginn etwa, ihre „Immunität gegen das Nazi-Virus ist geschwächt“ – und dass es angesichts dessen Russlands „heilige Pflicht“ sei, Schritte zu unternehmen, um „neonazistische Tendenzen und Ausprägungen zu unterdrücken“.

Lawrow sieht „Nazi-Virus in vielen westlichen Ländern“

Mit ganz ähnlich lautenden Worten hat Moskau in der Vergangenheit stets seinen völkerrechtswidrigen Angriff auf die Ukraine zu rechtfertigen versucht. Dort sei ein „Nazi-Regime“ an der Macht, hieß es vom Kreml. Nun dehnt Russland diesen wahrheitswidrigen Vorwurf offenbar auf den Westen, mindestens aber auf Europa aus. Gleichzeitig versuchte Lawrow, die russischen Hände in Unschuld zu waschen.

Während im Westen „weiterhin die Aufspaltung der Russischen Föderation“ geplant werde, sei Russland zu einer „ehrlichen Zusammenarbeit mit allen bereit“, erklärte der dienstälteste russische Minister und schreckte auch vor skurriler Geschichtsklitterung nicht zurück. „Es war westlicher Stil, Berliner Mauern zu errichten“, erklärte Lawrow und fügte an: „Wir wollen keine Mauern bauen.“

„Es war westlicher Stil, Berliner Mauern zu errichten“

Tatsächlich wurde die Berliner Mauer 1961 von der Führung der DDR mit politischer und militärischer Unterstützung der UdSSR errichtet, um die Flucht der Bewohner in den Westen zu verhindern. Entsprechend deutlich und mitunter spöttisch klang dann auch die Kritik an Lawrow, die international schnell auf das „Mauermärchen“ aus Moskau folgte.

Die Berliner Mauer sei errichtet worden, weil die Sowjetunion „auf ihre eigenen Bürger schießen musste, die verzweifelt versuchten, dem Arbeiterparadies zu entkommen, das für sie geschaffen worden war“, kommentierte etwa der Politikwissenschaftler Branislav Slantchev bei X. Lawrow könne „seinen Mund nicht öffnen, ohne zu lügen“, fügte der Politik-Professor der University of California an.

Kurz darauf erklärte das russische Außenministerium, Lawrows Worte seien falsch verstanden worden, gab die Zitate jedoch erneut exakt so wieder, wie Tass sie zuvor auch berichtet hatte. „Alle Russophobiker und Propagandisten wurden mobilisiert, um die Worte des russischen Außenministers zu verdrehen“, polterte das russische Außenamt dennoch.

„Unser nächstes Ziel ist das vollständige Territorium der Ukraine“

Es sind jedoch nicht nur Lawrows Worte, die auf einen weiterhin aggressiven Kurs im Kreml hindeuten, insbesondere gegenüber der Ukraine und Europa. „Wenn man sich anhört, worüber die reden, ist es eigentlich ziemlich lustig, weil es zeigt, dass diese Leute weit davon entfernt sind zu verstehen, was gerade tatsächlich in der Ukraine passiert“, erklärte etwa Apti Alaudinow, Kommandeur der Spezialeinheit Achmat, jüngst in einer Talkshow des russischen Staatssenders Rossija 1.

Die westlichen Gespräche über Sicherheitsgarantien oder europäische Streitkräfte in der Ukraine seien sinnlos, führte der Kommandeur aus. „Europa verliert immer mehr seinen Verstand“, sagte Alaudinow. „Unser nächstes Ziel ist das vollständige Territorium der Ukraine, weil das unser ursprünglich russisches Land ist.“ Europa habe „nicht die Ressourcen, um uns aufzuhalten“, führte der Tschetschene aus. Bis der Westen Moskaus Motive verstanden habe, werde die Ukraine vermutlich „nur noch sehr wenig ihres Territoriums unter Kontrolle haben“, hieß es weiter.

Eroberungsfantasien im russischen Staatsfernsehen

Dass die russischen Eroberungsfantasien nicht in der Ukraine enden, machen die Worte der Propagandisten im Staats-TV ebenfalls deutlich. So empfahl der populäre TV-Moderator Wladimir Solowjow den Bewohnern europäischer Hauptstädte nun, besser schon einmal den Satz „Bitte geben Sie uns etwas Haferbrei“ auf Russisch zu lernen.

In den Moskauer Talkshows ist regelmäßig von Feldzügen bis nach Paris die Rede, daran knüpfte Solowjow jetzt erneut an und drohte, dass es bald wieder russische Feldküchen in Europa geben werde. Natürlich werde Russland die armen Europäer dann großzügig mit Haferbrei versorgen, führte der Moderator amüsiert aus.

Dmitri Medwedew nimmt Finnland ins Visier

Vom ehemaligen russischen Präsidenten Dmitri Medwedew kommen derweil deutliche Hinweise darauf, welches Land in Europa neben der Ukraine in Moskaus Fokus rücken könnte. Der nunmehrige Vizechef des russischen Sicherheitsrats reiste bereits in der letzten Woche an einen Kontrollpunkt an Russlands Grenze zu Finnland, posierte dort gut gelaunt für die Presse und bezeichnete die westlichen Friedensbemühungen schließlich als „Bullshit“. Am Montag legte Medwedew noch einmal nach.

Dmitri Medwedew besucht gut gelaunt einen russischen Kontrollpunkt an der Grenze zu Finnland. (Archivbild)

Dmitri Medwedew besucht gut gelaunt einen russischen Kontrollpunkt an der Grenze zu Finnland. (Archivbild)

„Helsinki verfolgt einen konfrontativen Kurs zur Vorbereitung auf einen Krieg mit Russland und bereitet offenbar ein Sprungbrett für einen Angriff auf uns vor“, behauptete der Ex-Kremlchef in einem Kommentar, der von der Staatsagentur Tass veröffentlicht wurde. Finnland dürfe „nicht vergessen“, dass eine Konfrontation mit Russland zum „endgültigen Zusammenbruch der finnischen Staatlichkeit“ führen könnte, erklärte Medwedew.

Moskaus Worte über Finnland ähneln jenen über die Ukraine

Die Regierung in Moskau bezeichnete er derweil als „russophob“ und berichtete über angebliche Verbindungen zum Nationalsozialmus. „Die Profitgier auf Kosten Russlands wurde den Finnen schon zu Hitlers Zeiten eingepflanzt“, behauptete der langjährige Weggefährte von Kremlchef Wladimir Putin. Nun sei das Nachbarland der Nato nur unter dem „Deckmantel“ der Verteidigung beigetreten, bereite sich aber tatsächlich auf einen Krieg gegen Russland vor, hieß es weiter.

Die Worte des Sicherheitsratsvizes stimmten überein mit den Behauptungen, „mit denen der Kreml seine Invasionen in der Ukraine in den Jahren 2014 und 2022 gerechtfertigt hat“, stellte das amerikanische Institut für Kriegsforschung (ISW) dazu fest. Tatsächlich gibt es zahlreiche, nahezu deckungsgleiche Zitate über die Ukraine aus Moskau. Die Drohungen des für seine vulgären Schimpftiraden bekannt gewordenen Ex-Präsidenten sind zudem kein Einzelfall.

Wladimir Putin prophezeit „Probleme“ für Finnland

Kremlchef Putin hatte Finnland bereits nach dem Nato-Beitritt des Landes 2023 „Probleme“ prophezeit. Sein Berater Nikolai Patruschew behauptete unterdessen im März, Helsinki versuche die russischstämmige Bevölkerung in Finnland zu „vernichten“, damit mache der Westen das skandinavische Land zu „einem Sprungbrett für eine Aggression gegen Russland“, erklärte Patruschew zudem.

Derartige Äußerungen gehörten zu den „anhaltenden Bemühungen des Kremls, die Nato-Staaten zu bedrohen und künftige russische Aggressionen zu rechtfertigen“, kommentierten die US-Analysten nüchtern Medwedews bedrohlich an frühere Aussagen zur Ukraine erinnernde Worte über das nächste russische Nachbarland.

In Moskau versucht man unterdessen erst gar nicht, Zweifel an derartigen Analysen zu wecken. „Heute kann nichts ausgeschlossen werden, denn Finnland verfolgt eine äußerst verantwortungslose Politik“, erklärte Andrei Kartapolow am Dienstag (9. September).

Russische Presse: „Moskau hat nicht die Absicht aufzuhören“

Finnland entwickle sich „schneller zu einer wahren Brutstätte des Faschismus als die Ukraine“, bediente der Vorsitzende des russischen Verteidigungsausschusses ebenfalls das wahrheitswidrige Kreml-Narrativ über das Nachbarland. Wenn das zu „tragischen Konsequenzen“ führe, sei Finnland dafür verantwortlich, fügte Kartapalow an. Auch das hat man einst bereits aus Moskau gehört – allerdings über die Ukraine. 

Auch mit Blick auf den laufenden Krieg könnte Moskaus Haltung unterdessen „kaum klarer“ ausfallen, berichtete derweil Steve Rosenberg, Russland-Korrespondent der BBC, am Dienstag bei X. „Der Kreml glaubt, dass Russland seine Ziele in der Ukraine langsam aber sicher erreicht. Moskau hat daher weder die Absicht aufzuhören, noch verspürt es den Wunsch nach halbherzigen Lösungen und unausgereiften Kompromissen“, zitierte Rosenberg als Beleg die Analyse einer russischen Zeitung.