Neue Mehrheit im US-KongressTrumps Ultrarechte werden zum Problem für Republikaner

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Die Politiker Kevin McCarthy und Donald Trump beantworten im Anzug Fragen von Journalisten, Trump hebt beschwichtigend die Hände.

Hier noch gemeinsam: Kevin McCarthy und Donald Trump (Archivbild)

Am Dienstag wechseln die Mehrheiten im amerikanischen Repräsentantenhaus. Der erstarkte Trump-Flügel veranstaltet auch in den eigenen Reihen Chaos.

An vollmundigen Ankündigungen mangelt es nicht. „Die neue Mehrheit im Repräsentantenhaus wird den Kurs des Landes verändern“, verspricht Kevin McCarthy, der langjährige Fraktionschef der Republikaner, bei Twitter: „Die Demokraten haben nichts gemacht. Die Republikaner werden liefern!“ Seine Partei­freundin Marjorie Taylor Greene bläst schon zum Frontal­angriff: „Joe Biden hat schwere Verbrechen und Vergehen begangen. Es ist Zeit, dass der Kongress ihn anklagt, verurteilt und aus dem Amt entfernt.“

Doch wenn der neu gewählte Kongress am 3. Januar pünktlich um 12 Uhr mittags im Kapitol erstmals zusammentritt, wie es die amerikanische Verfassung vorschreibt, wird der Präsident zwei Kilometer entfernt im Weißen Haus das Spektakel mutmaßlich ziemlich entspannt vor dem Fernseher verfolgen. Die Republikaner scheinen nämlich fürs Erste ganz mit einem anderen Gegner beschäftigt – sich selbst.

Nur vier Stimmen Mehrheit

Die vergangenen Wochen sind sehr anders gelaufen, als es sich McCarthy vorgestellt hatte: Erst versandete die von ihm prognostizierte „rote Welle“, die den Republikanern bei den Zwischenwahlen im November bis zu 60 zusätzliche Mandate bescheren sollte. Tatsächlich verfügen die Konservativen im neuen Parlament gerade einmal über eine Vierstimmen­mehrheit. Dann rebellierten die Ultrarechten gegen McCarthys Bewerbung für das einflussreiche Amt des Parlaments­sprechers, das bislang die Demokratin Nancy Pelosi innehat. Und schließlich entpuppte sich das frischgewählte Fraktions­mitglied George Santos als Hochstapler.

„Wenn heute ein Marsmensch in Washington landen würde (…), könnte er denken, die Demokraten hätten die Novemberwahl gewonnen“, kommentierte das konservative „Wall Street Journal“ kürzlich frustriert: „Normalerweise sind die Verlierer zerzaust. Aber dieses Mal ist es anders.“ Das Chaos bei den Republikanern aber wurde nicht nur durch das magere Wahlergebnis ausgelöst. Hauptursache ist vielmehr der durch Neuzugänge verursachte massive Gewichts­zuwachs des ultrakonservativen bis rechtsextremen Flügels der Fraktion. Diese Gruppe hat an konstruktiver parlamentarischer Arbeit kein Interesse. Für sie ist jeder Kompromiss ein Verrat, und McCarthy ein unzuverlässiger Wendehals.

So dürfte die neue Legislatur­periode am Dienstag mit einem echten Nervenkrimi beginnen. Schon die Nominierung McCarthys für den Posten des Parlamentschefs in der Fraktion verlief holprig: 31 Abgeordnete stimmten für den ultrarechten Gegenkandidaten Andy Biggs. Im Plenum aber kann sich McCarthy allerhöchstens vier Gegenstimmen aus den eigenen Reihen erlauben, da die Demokraten geschlossen gegen ihn votieren dürften. Die Republikaner haben 222 Abgeordnete, der Speaker braucht 218 Stimmen. Sollte er diese im ersten Durchgang verfehlen, wird so lange weiter­gewählt, bis ein Kandidat die Mehrheit erzielt. Das kann dauern. Im schlimmsten Fall könnte es gar so kommen wie 1855: Da vergingen zwei Monate, bis nach 133 Wahlgängen endlich der Sieger feststand. Vorher kann das Parlament seine Arbeit nicht aufnehmen.

Weitreichende Zugeständnisse an die Ultrarechten

Die Pateirechten haben den Preis für eine mögliche Unterstützung von McCarthy, der die Fraktion seit 2014 führt, systematisch in die Höhe getrieben. Sie forderten einflussreiche Posten, weitreichende inhaltliche Zugeständnisse und letztlich die komplette Unterwerfung des 57-Jährigen durch eine neue Regelung, der zufolge jeder Abgeordnete einen Antrag zur Abwahl des Parlaments­sprechers stellen kann. Dieser Selbstkasteiung widersetzt sich McCarthy noch. Ansonsten aber ist er vor dem extremen Flügel weitgehend in die Knie gegangen.

Der stets gut geföhnte Kalifornier, der ein Marketing­diplom der Universität seines Heimatorts Bakersfield besitzt, gilt als opportunistischer Karrierist. Vor der Wahl von Donald Trump ins Präsidentenamt hatte der intern geunkt, der Kandidat sei vom russischen Präsidenten Wladimir Putin gekauft. Später wurde er zu dessen treuem Gefolgsmann. „Mein Kevin“, nannte ihn Trump paternalistisch. Nach dem Kapitols­sturm vom 6. Januar 2021 machte er kurzzeitig Trump für den Putsch­versuch verantwortlich. Doch anders als Mitch McConnell, der Republikaner-Chef im Senat, knickte er sehr schnell ein, fuhr nach Mar-a-Lago und machte dem Möchtegern­diktator seine ehrfürchtigste Aufwartung.

In den vergangenen Wochen hat McCarthy nun Rechtsextremen wie der Abgeordneten Marjorie Taylor Greene wichtige Ausschuss­posten zugesagt. Er unterstützt ein chancenloses Amtsenthebungs­verfahren gegen Heimatschutz­minister Alejandro Mayorkas wegen der Migrationskrise an der Grenze. Und er will die Metall­detektoren abbauen lassen, die an den Türen des Plenarsaals aufgebaut wurden, um das Herein­schmuggeln von Waffen zu verhindern.

Drei Schritte der Unterwerfung

Wie weit sich McCarthy dem rechten Trump-Flügel unterworfen hat, konnte man bei drei Veranstaltungen im Dezember eindrucksvoll beobachten.

Die erste Szene spielt am Nikolaustag in der prachtvollen Rotunde des Kapitols. Dorthin hatte Nochparlaments­präsidentin Nancy Pelosi zur Ehrung der Polizisten geladen, die das Parlament bei dem Putschversuch vor knapp zwei Jahren verteidigten. Mehrere Politiker hielten Ansprachen, in denen teils bewegende persönliche Erlebnisse und Bekenntnise zur wehrhaften Demokratie vorgetragen wurden. McCarthy schaffte es, in einer tonlos vorgetragenen Allerweltsrede den blutigen Aufstand, bei dem 138 Polizisten verletzt wurden und fünf Menschen starben, mit keinem Wort zu erwähnen – geschweige denn zu verurteilen.

Zwei Wochen später stand McCarthy demonstrativ unbeteiligt im Plenarsaal des Parlaments. Vorne redete Wolodymyr Selenskyj, der Präsident der Ukraine, der leidenschaftlich um mehr Unterstützung warb. Viele im Saal jubelten dem Gast, der dem traditionellen Erzfeind Russland mutig die Stirn bietet, begeistert zu. Senats­minderheits­führer Mitch McConnell drängte zum Gang, um Selenskyj auf die Schultern zu klopfen. McCarthy applaudierte genau so viel, wie es die Höflichkeit gebot. Er werde „keine Blankoschecks“ für die Ukraine ausstellen, hatte er angesichts des Widerstands der Parteirechten zuvor erklärt.

Seine eigentliche Bewerbungsrede hielt McCarthy dann wenige Tage später bei der Abstimmung über das 1,7-Billionen-Haushaltspaket. 18 Republikaner hatten im Senat mit den Demokraten gestimmt, um das Mammut­gesetz noch vor Weihnachten durchzubekommen und einen Shutdown zu vermeiden. „Dies ist eines der monströsesten und schändlichsten Dinge, die ich in diesem Haus gesehen habe“, wetterte nun McCarthy. Er versprach den radikalen Rechten in seiner Fraktion, künftig nicht mit den republikanischen Senatoren – darunter auch McConnell – zusammen­zuarbeiten, die für das Paket stimmten.

Fauci und Biden im Visier

Wie die neue Mehrheit im Repräsentantenhaus unter solchen Voraussetzungen eine substantielle Arbeit leisten soll, ist ein Rätsel. Eigene Gesetze kann sie ohnehin nicht durchbringen, da diese im demokratisch dominierten Senat gestoppt würden. Beobachter erwarten daher, dass die Republikaner ihre neue Macht vor allem dazu nutzen, Gesetzes­vorhaben der Biden-Regierung zu blockieren und politisches Theater zu veranstalten. Die Auflösung des Untersuchungs­ausschusses zum Kapitols­sturm ist beschlossene Sache. Stattdessen sollen Untersuchungs­ausschüsse zur Corona-Pandemie und zum ominösen Laptop des Präsidenten­sohnes Hunter eingesetzt werden – mit dem erklärten Ziel, den renommierten Immunologen Anthony Fauci zu diskreditieren und Joe Biden eine Verwicklung in Geschäftsdeals mit der Ukraine und China nachzuweisen.

Doch bevor das Parlament seine Arbeit überhaupt beginnen kann, muss am Dienstag ein Sprecher gewählt werden. Fünf republikanische Abgeordnete sind entschlossen, nicht für McCarthy zu stimmen. Umgekehrt wollen 50 eher moderate Republikaner keinen anderen Kandidaten als McCarthy unterstützen.

Wie die gegenseitige Blockade aufgelöst werden soll? „Das werden wir nicht vor dem 3. Januar wissen“, sagte der Abgeordnete Biggs, der gegen McCarthy antreten will, dem Sender Fox News: „Wahrscheinlich brauchen wir ein paar Abstimmungs­runden, um das zu klären.“ Dass er selbst keine Chance auf eine Mehrheit hat, weiß der Hardliner aus Arizona. Beobachter spekulieren über einen Kompromiss­kandidaten. Doch selbst, wenn McCarthy am Ende knapp gewinnen sollte, hätte die Zitterpartie eines deutlich gemacht: wie eng der politische Spielraum des neuen Speakers ist.

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