Das NRW-Flüchtlingsministerium gewährt kaum Einblicke in den Alltag, der in den Unterkünften herrscht. Ein interner Bericht legt jetzt die Missstände offen.
Alarmierender Bericht für NRWBeschwerden von Flüchtlingen über Missstände haben sich verdoppelt
Die Beschwerden über Missstände in den Unterbringungseinrichtungen für Flüchtlinge haben sich im ersten Quartal des Jahres 2023 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum fast verdoppelt. Das geht aus einem internen Fachbericht über das Beschwerdemanagement hervor, der dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ vorliegt. Demnach wurden im ersten Quartal 2023 insgesamt 952 Beschwerden erfasst – 2022 waren es 540. „Dieser Anstieg veranschaulicht die aktuellen Belastungen des Unterbringungs- und Asylsystems und die daraus resultierenden Probleme für die Betroffenen“, heißt es in der Analyse.
Ärger um Taschengeld
Das Beschwerdemanagement soll eine menschenwürdige Ausgestaltung der Flüchtlingsunterbringung in NRW sicherstellen. Die Fachbegleitung liegt bei der Diakonie Rheinland/Westfalen/Lippe. Dort werden zentral alle Nachrichten ausgewertet, die aus den 38 Landeseinrichtungen eintreffen. Die größte Unzufriedenheit besteht dem Bericht zufolge über die Auszahlung von Geldleistungen – 34 Prozent der Beschwerden drehen sich um dieses Thema.
Ein Hauptkritikpunkt besteht darin, dass Anspruchsberechtigte sich zum Zeitpunkt der Auszahlung nicht in der Unterkunft befinden. Dies könne mehrere Ursachen haben, heißt es in dem Bericht. Bekanntmachungen der Bezirksregierung seien oft „unleserlich“ oder nicht in allen Sprachen verfügbar. Teilweise würden die Termine nur bei Ankunft mündlich mitgeteilt. „Die Folge ist, dass Anspruchsberechtigte keine Bargeldleistungen erhalten“, so die Zusammenfassung. Trotz vorgelegtem Attest werde das Taschengeld (40 Euro pro Woche) zum Teil nicht nachgezahlt. Dies sei rechtswidrig. Die Bargeldleistung deckten das absolut notwendige Minimum des persönlichen Bedarfs ab. „Es ist kürzbar - und durch Nichtanwesenheit verfällt der Anspruch nicht“, wird in der Analyse verdeutlicht.
Kriminalität in Männerunterkünften und ein machtloser Sicherheitsdienst
Auch die Überfüllung der Einrichtungen sorgt offenbar regelmäßig für Probleme. 13 Prozent der Beschwerden beziehen sich auf die Unterbringung. Zum Teil würden die Väter von den Angehörigen getrennt, Frauen und Kinder müssten sich ein Zimmer mit anderen Familien teilen, heiß es in dem Bericht. Es sei „kulturell schwierig für Menschen auch scheinbar gleicher Religion“ auf engem Raum über lange Zeit zusammenzuleben.
In den Männerzimmern komme es oft zu Konflikten. „Teilweise herrschen Kriminalität, Hehlerei, Drogenkonsum und Vandalismus auf manchen Fluren der Einrichtungen.“ Die Sicherheitsdienste seien bisweilen „machtlos“ dagegen.
Zu wenig Mahlzeiten für Babys
Neben der eingeschränkten medizinischen Versorgung stößt auch die Verpflegung immer wieder auf Kritik. Die Beschwerden richten sich nicht nur gegen die Qualität des Essens, sondern besonders auch dagegen, dass die drei Mahlzeiten am Tag zu bestimmten Zeiten stattfinden. Diese sei vor allem für Familien mit Kleinkindern „inadäquat“ – sie würden fünf Mal am Tag Nahrung benötigen und hätten andere Essens- und Schlafenszeiten.
Neben den dezentralen Anlaufstellen ist auch der unabhängige Beauftragte der Landesregierung für Beschwerden von Asylbegehrenden, Karl Peter Brendel, ein wichtiger Ansprechpartner für die Flüchtlinge und Hilfsorganisationen. Der frühere NRW-Innenstaatssekretär hat einen Bericht für den Zeitraum von Juli 2022 bis April 2023 vorgelegt, der unserer Zeitung ebenfalls vorliegt. Bei dem FDP-Politiker gingen demnach 298 Beschwerden ein.
Brendel weist in seiner Vorlage auf die Probleme hin, die sich in allen Einrichtungen durch den „erhöhten Zugang von jungen Männern“ ergeben würden. Es komme zu einem „erheblichen Lärm auch zur Nachtzeit“, einer „gesteigerten Aggressivität“ und zu einer „erhöhten Zahl von Diebstählen“. Teilweise sei in den Einrichtungen baubedingt keine Schallisolierung vorhanden, es erfolge nur eine Sichtabtrennung durch Planen. „Auch fehlt es an gesicherten Unterbringungsmöglichkeiten für Privatsachen“, heißt es im Brendel-Report.
In den Unterkünften des Landes befinden sich derzeit rund 30.000 Flüchtlinge. Viele kritisieren, dass sie gezwungen würden, in den Einrichtungen zu leben, auch wenn sie bei Freunde und Verwandten unterkommen könnten. Ein besonderes Ärgernis für die Flüchtlinge ist die Dauer der Asylverfahren. Diese ziehen sich auch wegen des Dolmetschermangels zum Teil über Monate. In der Zeit würden die Schutzsuchenden oft in andere Einrichtungen verlegt. Ladungen würden mitunter an alte Meldeadressen verschickt, was weiter Verzögerungen auslöse. „Bei den Asylantragstellenden führt dies zu Verunsicherung, Frust und Unmut“, berichtet Brendel.
Seife und Duschköpfe fehlen
Ein Schlaglicht auf die Situation in den Unterkünften wirft auch der Bericht über mobile Kontrollen, die im Auftrag des Flüchtlingsministeriums von der Bezirksregierung Arnsberg koordiniert und umgesetzt werden. Er nimmt unter anderem die Arbeit der Sicherheitsdienste und der Zustand der Sanitäranlagen unter die Lupe.
Fazit: Beim Security-Personal kommt es häufig wegen des Fachkräftemangels zu Problemen. Im ländlichen Raum bestünden Schwierigkeiten, „eine ausreichende Anzahl von Mitarbeiterinnen zu finden, um in jeder Schicht die Anwesenheit mindestens einer Frau sicherzustellen“, so der Bericht. Bei der Dokumentationspflicht seien „vermehrt Mängel“ festgestellt worden. Einlasskontrollen seien unzureichend, im Besucherbuch fehlten Einträge, An- und Abwesenheiten würden nicht sauber erfasst. In den Sanitärbereichen registrierte man Mängel durch eine unzureichende Reinigung, und durch fehlende Ausstattungen wie Duschköpfe, Duschvorhänge, Seife, und Handtrockentücher.
Am 8. Dezember wird der „Runde Tisch Beschwerdemanagement“ mit Staatssekretär Lorenz Bahr zu seiner nächsten Sitzung im Flüchtlingsministerium zusammenkommen. Dort soll besprochen werden, wie man den drängendsten Problemen beikommen will.