EU-Verbot für BleimunitionSchützen in NRW sehen ihr Hobby, Jäger die Jagd in existenzieller Gefahr

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Eine Jägerin zielt mit ihrem Gewehr in einem Waldstück bei Lüneburg.

Eine Jägerin posiert mit ihrem Gewehr in einem Waldstück bei Lüneburg.

Blei ist hochgiftig und soll daher in Munition verboten werden. Dabei ist es das sicherste Material. Eine Umstellung würde viele Millionen kosten.

Walter Finke ist seit 1974 Mitglied des Bundes der Historischen Schützenbruderschaften. Für seine Verdienste als Schießmeister ist er bereits mit dem Sankt-Sebastianus-Ehrenkreuz ausgezeichnet worden. Jetzt hat der Vize-Bundesschützenmeister große Sorgen um die Zukunft des Schützenwesens. Die Gefahr droht aus Brüssel. Die EU plant, den Schützen die Verwendung von Bleimunition unter freiem Himmel zu verbieten. „Das Bleiverbot macht es vielen Vereinen fast unmöglich, das traditionelle Vogelschießen so weiter durchzuführen“, so Finke im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. „Das vielfältige ehrenamtliche Engagement der Vereine, das immer wieder von der Politik hervorgehoben und beschworen wird, ist dadurch bedroht.“

Hochgiftiges Blei belastet Mensch und Tier

Derzeit wird von der EU-Kommission darüber beraten, wie die Belastung für Mensch und Tier durch hochgiftiges Blei weiter reduziert werden kann. Aus Sicht der EU ist dazu ein grundsätzliches Verbot von Bleimunition nötig. Nach Einschätzung der Europäischen Chemieagentur (ECHA) gelangen durch das Schießen jährlich rund 44.000 Tonnen Blei in die Umwelt. Um die Einträge zu stoppen, soll das Schießen mit Bleimunition künftig nur noch in Innenräumen erlaubt sein.

Das hätte weitreichende Folgen: „Das Gros der Schießstände müsste kostenintensiv umgerüstet werden“, warnte Finke, dessen Verband rund 400.000 Mitglieder vertritt. Deswegen müsse die schwarz-grüne Landesregierung in Düsseldorf „jetzt jede Anstrengung unternehmen, um den drohenden Exodus zu verhindern. Unsere Jugend- und Nachwuchsarbeit, die für eine erfolgreiche Zukunft des Schützenwesens in unseren Vereinen und der Traditionspflege in unserer Gesellschaft unverzichtbar ist, käme zwangsläufig zum Erliegen.“

„Das Kleinkaliberschießen als Breitensport steht vor dem Aus“

Auch die Sportschützen sind alarmiert. Das Verbot würde dazu führen, dass „viele hundert offene Schießstände von Sportvereinen in NRW nicht mehr betrieben werden könnten“, so Uwe Pakendorf, Geschäftsführer des Rheinischen Schützenbundes. Das Schießen als Breitensport stünde „vor dem Aus“. Bei Druckluft- und Klein- sowie Großkaliberwaffen sei eine Umstellung auf bleifreie Munition technisch für die Sportausübung nicht möglich. In NRW sind bislang rund 140.000 Sportschützen aktiv.

Das Problem: Blei ist das einzige bezahlbare Metall, das weich ist. Es verhalte sich im Einsatz wie Wachs oder Knete, erklärt ein Jäger. Pralle es gegen eine harte Wand, springe es nicht zurück, sondern verforme sich und falle einfach zu Boden. Die meisten anderen bezahlbaren Metalle sind aber elastisch. Knallen sie gegen einen harten Gegenstand, prallen sie ab – und werden dadurch zum Sicherheitsrisiko.

Umrüstung der Schießstände kostet viele Millionen Euro

Die Schießstände müssten also aufwendig umgebaut werden, um mit ausreichender Sicherheit die Möglichkeit zum Schießen mit bleifreier Munition zu ermöglichen. Torsten Reinwald, Sprecher des Deutschen Jagdverbandes (DJV), rechnet mit Kosten von zwei Millionen Euro je Schießstand. „Bundesweit wäre das ein Betrag von einer Dreiviertel Milliarde Euro“, so Reinwald.

„So ein Umbau ist nur möglich, wenn der Gesetzgeber sich daran finanziell beteiligt“, sagte Dirk Schulte-Frohlinde, Präsident des Bundesverbands Schießstätten (BVS), im Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Andernfalls drohe ein breitflächiges Schießstandsterben in NRW, sagen DJV und BVS unisono. Die meisten Schießanlagen sind in Vereinshand und arbeiten maximal kostendeckend. Gewerbliche Schießstände sind die Ausnahme.

Laut Umfrage hat jeder zweite Jäger keinen Zugang zu einem Schießstand für bleifreie Munition
Torsten Reinwald, DJV

Große Sorgen haben auch die Jäger. Sie sind in NRW und anderen Ländern verpflichtet, einen jährlichen Schießnachweis zu erbringen, wenn sie etwa an einer Drückjagd, also einer Treibjagd auf Rehe, Hirsche oder Wildschweine teilnehmen wollen. Gibt es aber wegen der hohen Umbaukosten nicht ausreichend Schießstände im Land, könnten die Nachweise nicht erbracht werden, so der DJV-Sprecher. Außerdem müssten Jäger aus Tierschutzgründen das treffsichere Schießen üben, und zwar mit den Waffen, die sie auch auf der Jagd nutzen.

In der Konsequenz hieße das, dass viele Jäger der Jagd nicht mehr nachgehen könnten. Eine Umfrage des Jagdverbands DJV hat ergeben, dass heute jeder zweite Jäger keinen Schießstand für bleifreie Munition in zumutbarer Nähe hat. Wenn der Staat nicht finanziell helfe, so die beiden Verbandsvertreter, dann könne auch die notwendige Bejagung von Schalenwild nicht stattfinden.

Auch die Grünen wissen um den Nutzen der Jagd

Das ist insofern problematisch, dass eigentlich auch von grüner Seite ein verstärkter Abschuss der Rehe gefordert wird, um die nach Dürre und Borkenkäfer gebeutelten Wälder in NRW wieder einigermaßen aufwachsen zu lassen. Die intensive Jagd auf Wildschweine ist allein zur Bekämpfung der Afrikanischen Schweinepest notwendig, darin herrscht weitgehend Konsens.

Das Schießen mit Kleinkaliber und Luftgewehren sei bleifrei derzeit sportlich überhaupt nicht möglich. „Eine Untersuchung des Beschussamtes Ulm hat ergeben, dass die Zielgenauigkeit mit bleifreier Kleinkalibermunition nicht gegeben ist“, so der Verbandschef weiter. „Beim Sportschießen wäre keine Chancengleichheit gegeben, wer wie gut trifft, wäre Zufall“, sagte Schulte-Frohlinde.

Der Aufschrei bei den Schützen hat jetzt auch Parteien auf den Plan gerufen. Die FDP-Fraktion im Düsseldorfer Landtag übt massive Kritik. „Die Schützenvereine sind gerade in Nordrhein-Westfalen ein wichtiger Teil des gesellschaftlichen Lebens und fördern den Sport, die Tradition und das Ehrenamt“, sagte Christof Rasche, Vize-Landtagspräsident der Liberalen, unserer Zeitung. Deshalb dürfe die Landesregierung „nicht die Hände in den Schoß legen“, sondern müsse sich aktiv gegenüber der EU-Kommission für eine Ausnahme des Bleimunitionsverbots für Schützenvereine starkmachen. „Bereits heute werden die bleihaltigen Geschosse durch Kugelfänge abgefangen und recycelt. Das heißt, die Umweltbelastung geht gegen null, deshalb gibt es in den Vereinen auch kein Verständnis für diese Verbotspolitik“, so Rasche.

Auch in der regierungstragenden CDU-Fraktion ist man mit den EU-Plänen nicht einverstanden. „Die Belastung für die Umwelt ist beim jährlichen Vogelschießen praktisch null“, sagte Bernhard Hoppe-Biermeyer, Vorsitzender des Sportausschusses. Wer die Bruderschaften so zur Kasse bitte, riskiere ein Vereinssterben. „Der gesunde Menschenverstand sagt, dass es eine Ausnahme für Schützenvereine geben muss“, so der CDU-Politiker.

„Es gibt Alternativen für Bleigeschosse“

Auch die Grünen erwarten eine differenzierte Bewertung. Seit dem 15. Februar 2023 bestehe bereits ein Nutzungsverbot von Bleischrotmunition in Feuchtgebieten – dies sei „ein erster richtiger und wichtiger Schritt“, erklärte Gregor Kaiser, Sprecher der Grünen-Landtagsfraktion für Nachhaltigkeit. Seine Partei schätze das Engagement der Schützen in ihren Gemeinden. „Es gibt Alternativen für Bleigeschosse, die unter anderem im Sport- und Freizeitbereich eingesetzt werden können. Auch wir sehen, dass in diesem Bereich noch weiterer Forschungsbedarf besteht und die Entwicklung weiterer Alternativen vorangetrieben werden muss“, so Hoppe-Biermeyer.

Das von der CDU geführte NRW-Landwirtschaftsministerium erklärt auf Anfrage, man begrüße grundsätzlich die Reduktion des Bleieintrags in Natur und Umwelt, soweit der Tierschutz berücksichtigt werde. In Nordrhein-Westfalen existiere bereits seit vielen Jahren ein Verbot, Bleischrote an und über Gewässern zu verwenden. Mit dem geltenden Landesjagdgesetz NRW sei ferner großkalibrige Munition verboten worden.

Bei einem Verbot von Bleimunition im Schießsport muss aus Sicht des Landwirtschaftsministeriums auch die Sicherheit von Schützinnen und Schützen bei der Verwendung anderer Stoffe in der Munition gewährleistet sein, hieß es. „Dazu braucht es noch weiterer Materialerforschung“, sagte ein Sprecher. Konkrete finanzielle Hilfen des Landes wurden zunächst nicht in Aussicht gestellt. Eine Umrüstung von Schießanlagen und Technik dürfe „nicht zu Lasten des Schützenwesens“ gehen, hieß es vage.

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