NRW-Opferberatungsstellen zählen acht Todesopfer und viele Körperverletzungen.
„Enthemmung ist deutlich spürbar“Mehr als 500 Menschen in NRW 2024 wurden Opfer rechter Gewalt

Auch die drei Menschen, die beim Attentat auf dem Solinger Stadtfest getötet wurden, zählen die NRW-Opferberatungsstellen als Opfer rassistischer Gewalttaten.
Copyright: Christoph Reichwein/dpa
In NRW waren im vergangenen Jahr 526 Menschen direkt von rechter Gewalt betroffen. Zu diesem Ergebnis kommt die Jahresbilanz der beiden Opferberatungsstellen, die in NRW tätig ist. „Das ist ein erschreckender Höchststand“, sagte Fabian Reeker, Projektleiter der Opferberatung Rheinland, vor Journalisten in Düsseldorf. Im Vergleich zum Vorjahr sei ein Anstieg von 48 Prozent zu verzeichnen. „Die Enthemmung rechter Gewalt ist deutlich spürbar“, sagte Reeker.
Erst vor wenigen Wochen hatte NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) bei der Vorstellung der Statistik zu den politisch motivierten Straftaten deutlich geringere Fallzahlen genannt. Laut NRW-Verfassungsschutzbericht gab es im vergangenen Jahr 154 dokumentierte rechte Gewalttaten sowie 83 Bedrohungsdelikte. Die Diskrepanz unterstreiche, dass das tatsächliche Ausmaß rechter Gewalt in NRW deutlich höher liegt als offiziell ausgewiesen werde, hieß es. Wie ist das zu erklären?
Vorwürfe gegen Sicherheitsbehörden
Die Opferberatungsstellen erheben schwere Vorwürfe gegen die Sicherheitsbehörden. „Wenn immer wieder selbst angezeigte Gewalttaten, in denen eindeutige Hinweise auf ein rechtes Tatmotiv vorliegen, keinen Eingang in die offizielle Statistik finden, dann ist das nicht nur ein Erfassungsdefizit, sondern eine systematische Verschleierung des tatsächlichen Ausmaßes rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt“, so Reeker. Möglicherweise müssten die Beamten in den Polizeidienststellen besser geschult werden, um politische Hintergründe bei der Anzeigenaufnahme sorgsamer berücksichtigen zu können.
Ein Grund für die Diskrepanz liege auch darin, dass viele Betroffenen keinen Kontakt zur Polizei suchen würden, hieß es. Viele Opfer würden bei Angriffen im öffentlichen Raum keinerlei Unterstützung durch umstehende Passanten erfahren. Das verstärke das Gefühl von Ohnmacht und Hilflosigkeit, auch über den Angriff hinaus.
Bericht zählt acht Todesopfer
Die Opferberatungsstellen helfen Betroffenen dabei, Anträge auf Entschädigungen zu stellen. Sie vermitteln Anwälte, begleiten die Opfer zu Gerichtsterminen oder zur Polizei. Viele Betroffene benötigen die Unterstützung, um ihre Rechte durchsetzen zu können, sagte Beraterin Sabrina Hosono.
Insgesamt wurden 265 Körperverletzungen und zwölf Brandstiftungen dokumentiert. Zu den acht Todesopfern rassistischer Gewalt wurden auch die drei Menschen gezählt, die bei dem Terroranschlag von Solingen getötet wurden. Der Täter habe aus einem antisemitischen Motiv heraus gehandelt, hieß es.
Rechte Gewalt richte sich zunehmend gegen Repräsentanten demokratischer Werte, sagte Thomas Billstein von der Beratungsstelle Backup. Mit Blick auf die Kommunalwahlen im Herbst sei das äußerst besorgniserregend.