Die Bundesanwaltschaft wirft dem angeklagten Syrer Issa al Hasan dreifachen Mord und zehnfachen versuchten Mord vor. Erstmals schilderten im Düsseldorfer Prozess Überlebende ihre Erlebnisse.
„Ich merkte, wie Blut an mir herunterlief“Überlebende der Messerattacke in Solingen sagten vor Gericht aus

Dem angeklagten Syrer Issa al Hasan wird Mord und versuchter Mord vorgeworfen. Am Dienstag schilderten überlebende Opfer im Düsseldorfer Prozess ihre Erlebnisse auf dem Solinger Stadtfest im August 2024.
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Ein Rempler, ein simpler Rempler wie er bei Konzerten so oft vorkommt, endete in einem Blutbad. Volker E. stand an jenem Abend des 23. August 2024 vor der Bühne am Fronhof in Solingen, um sich kurz die Band anzuschauen. In einem Moment stieß er mit einem Unbekannten zusammen. „Zunächst habe ich an einen Zusammenprall gedacht, dann aber merkte ich, wie das Blut an mir herunterlief. Da wusste ich, es war ein Attentat.“ Dass ihn vier Messerstiche im Rücken, in Halsmuskulatur und Gesicht schwer verletzt hatten, bekam er zunächst gar nicht richtig mit, so schildert es E.. Aber das Blut rann pochend aus den Wunden.
Der Lehrer Volker E. ist eines von acht Opfern des syrischen Angeklagten Issa Al Hasan, die seine Angriffe auf dem „Festival der Vielfalt“ überlebten. Im Namen der Terror-Miliz „Islamischer Staat“ (IS) soll der 27-Jährige an jenem Abend drei Besucher mit Stichen in den Hals ermordet haben. Zwei weitere Besucher verfehlte er mit seinem Messer um Haaresbreite. Am Dienstagvormittag schildert Volker E. vor dem fünften Strafsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf seine Erlebnisse, die vor Augen führten, wie stark die Opfer von den Nachwirkungen beeinträchtigt sind.
Blutüberströmt habe er sich nach der Attacke zu seiner Frau und deren Freundin in ein nahegelegenes Lokal geschleppt. Durch den Blutverlust stark geschwächt, ergriff ihn Atemnot. Seine Frau habe ihn angefleht, ruhig und bei ihnen zu bleiben. Die Freundin habe ihm den Daumen in die tiefe Wunde gedrückt, um den Blutfluss zu mindern. Eintreffende Sanitäter stabilisierten schließlich seinen Kreislauf. Volker E. konnte durch eine Notoperation gerettet werden. Mitunter blickt er während der Schilderung zum Angeklagten, der zusammengesunken hinter der Sicherheitsscheibe des Hochsicherheitstrakts auf der Anklagebank sitzt.
Kraftloser Arm, Alpträume
Der Vorsitzende Richter Winfried van der Grinten erkundigt sich bei dem Lehrer nach dem Gesundheitszustand. Volker E. spricht von mentalen Einschränkungen, Wiedereingliederung im Job, hebt seinen linken Arm: „90 Grad geht wieder, aber ich habe keine Kraft im Arm.“ Psychisch wirkt er stabiler als andere Zeugen.

Winfried van der Grinten ist bei dem Prozess am Düsseldorfer Oberlandesgericht der vorsitzende Richter.
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Siavash M., 34, spricht von Alpträumen, die fast jede Nacht wiederkämen. Die Bilder von den Todesopfern mit offenen Augen, die er sah, lassen ihn nicht los. Er sei in psychotherapeutischer Betreuung und leidet laut Bundesanwaltschaft unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung. Im Zeugenstand schildert der gebürtige Iraner seine Erinnerungen vom Festival. Mit einem Freund hatte sich der angehende Mechatroniker auf dem Fest verabredet. Plötzlich sei der Täter von vorne auf ihn zugestürmt und habe ihm die Klinge in den Hals gestochen. M. konnte sich reflexartig wegdrehen. Der Attentäter wendete sich einer neuen Zielperson zu; eine tiefe Wunde blieb: Während der Vernehmung zeigte das Gericht Verletzungsbilder. Eine etwa 15 Zentimeter lange Naht zieht sich darauf über den Nacken von M..
Beim Blick zur Anklagebank stellt sich für Beobachter die Frage, wie ein eher schmächtiger, kleiner Mann einen derart brutalen Gewaltexzess inszenieren konnte. Für eine solche Tat braucht es nicht nur Kraft, sondern auch Geschick im Umgang mit dem Messer.
Zu Prozessbeginn hatte der Syrer sich des Mordes und der Mordversuche schuldig bekannt. Eine lebenslange Haftstrafe nahm er damit in Kauf. Die Bundesanwaltschaft hat indes bei Gericht beantragt, im Urteil auch über eine nachträgliche Sicherungsverwahrung nachzudenken. Vor diesem Hintergrund sucht der Angeklagte offenbar einen Ausweg in einem Schuldbekenntnis, ohne bisher seine tatsächliche Rolle beim IS zu offenbaren.
Das Gericht wird an drei weiteren aufeinanderfolgenden Verhandlungstagen die überlebenden Opfer befragen, insgesamt sind noch 14 Verhandlungstage bisher terminiert, ehe der Staatsschutzsenat voraussichtlich zu einem Urteil kommt.