Hohe Dunkelziffer von FällenNRW baut Maßnahmen gegen sexualisierte Gewalt an Minderjährigen aus

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Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf: Eine Ermittlerin sitzt vor Monitoren mit unkenntlich gemachten Fotografien, die teilweise sexuellen Missbrauch zeigen, am Hinweistelefon im Landeskriminalamt. (Archivbild)

Häuser des Kinderschutzbundes sowie „Schulfahndungen“ sollen gefördert werden. (Archivbild)

Tausende Missbrauchsfälle an Kindern werden jährlich bekannt. NRW kämpft an breiter Front, um Minderjährige besser zu schützen.

Der Schutz vor sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche wird in Nordrhein-Westfalen weiter ausgebaut. Mit dem Beschluss eines Sachstandsberichts hat das Düsseldorfer Kabinett diese erstmals im Jahr 2020 getroffene Selbstverpflichtung jetzt untermauert.

Der rund 60-seitige Bericht, der der Deutschen Presse-Agentur in Düsseldorf vorliegt, umfasst insgesamt 61 Maßnahmen. Darunter sind Grundkurse, Fortbildungen und Netzwerke für alle am Kinderschutz beteiligten gesellschaftlichen Akteure sowie Anlaufstellen und Hotlines für Betroffene. Im vergangenen Jahr wurden in NRW 5065 sexuelle Missbrauchstaten an Kindern aufgedeckt - 22,6 Prozent mehr als ein Jahr zuvor.

Der seit 2019 arbeitende Untersuchungsausschuss des Landtags zum jahrelangen sexuellen Missbrauch auf einem Campingplatz im lippischen Lügde hat in zahlreichen Zeugenaussagen bereits zutage gefördert, dass Jugendämter, Sozialarbeiter, Polizisten und andere eigentlich professionelle Kinderschützer häufig beim Erkennen und beim Lösen dieser Problematik profunde Defizite zeigten. Als Reaktion auf das monströse Verbrechen hatte die Landesregierung im Jahr 2020 einen umfassenden Maßnahmen-Katalog beschlossen, über dessen Umsetzung und Fortschreibung seitdem jährlich berichtet wird.

Gegen sexualisierte Gewalt in NRW: Häuser des Kinderschutzes werden lobend erwähnt

Bewährt hat sich dem aktuellen Bericht zufolge etwa das „Haus des Kinderschutzes“. Hier sollen Opfer kindgerecht durch Strafverfahren begleitet werden. In dem Haus kommen Vertreter von Justiz, Jugendämtern, Sozialarbeiter, Kinderärzte, Rechtsmediziner, Psychologen und Sachverständige zusammen für Befragungen, Untersuchungen und therapeutische Hilfestellungen.

Ziel sei es, „den Blickwinkel der Kinder und Jugendlichen mit Missbrauchs- beziehungsweise Gewalterfahrungen einzunehmen und den gesamten Prozess auf die auszurichten“. Dem bisher einzigen Haus des Kinderschutzes in NRW, das 2020 im Universitätsklinikum Düsseldorf eröffnet wurde, sollen zwei weitere folgen.

Mit „Schulfahndungen“ Missbrauchsketten zerschlagen

Fortgeführt werden sollen demnach auch die sogenannten Schulfahndungen. Eine solche Fahndung kann richterlich angeordnet werden, wenn die Identität unbekannter Missbrauchsopfer durch andere, weniger einschneidende Maßnahmen nicht geklärt werden kann. „Die Voraussetzung für eine Schulfahndung sind das Vorliegen einer kinder- oder jugendpornografischen Bild- oder Videodatei, die einen Deutschlandbezug erkennen lässt und die Annahme, dass der Missbrauch zum Zeitpunkt der Fahndung noch andauert“, heißt es im Bericht.

In NRW können in einem solchen zwischen Polizei, Bundeskriminalamt und dem Schulministerium abgestimmten Verfahren bis zu 6000 Schulen eingebunden werden. Das geschieht den Angaben zufolge in der Regel ein- bis zweimal pro Jahr. Jede beteiligte Schule kann mit verschlüsselten Zugangsdaten zum Fahndungsserver eine Lichtbildmappe herunterladen.

„Die übermittelten Bilder zeigen ausschließlich bekleidete Personen oder die Gesichter der Kinder und sollen Lehrerinnen und Lehrern vorgelegt werden“, erläutert der Bericht. Die Schulleiter seien angewiesen, mögliche Hinweise an das Landeskriminalamt zurückzumelden. Mit einer Erfolgsquote von mehr als 60 Prozent aller Schulfahndungen habe sich die Maßnahme bewährt. Ziel sei es, Schulen künftig noch enger einzubinden, um Missbrauchsopfer möglichst schnell zu identifizieren und ihr Leid zu beenden.

Auch Förderung anonymer Spurensicherung soll gefördert werden

Fortgesetzt werden soll auch die Förderung anonymer Spurensicherung. Derzeit gibt es in NRW dem Bericht zufolge mehr als 30 regionale Netzwerke, die Spuren sexualisierter Gewalt dokumentieren und anonym gerichtsfest sichern. Das Land unterstützt das jährlich mit rund 400 000 Euro.

Wirksamer Schutz gelinge nur mit vereinten Kräften, unterstrich Kinder- und Jugendministerin Josefine Paul (Grüne). Dem dient auch in jedem Regierungsbezirk eine Regionalstelle zur Prävention sexualisierter Gewalt. Über sie sollen flächendeckend Informationen, Beratungs- und Fortbildungsangebote ins Land getragen werden. Zuletzt ist die Kölner Stelle zu Jahresbeginn 2024 besetzt worden.

Es gibt eine Kinderschutz-Hotline für akut Betroffene

Bekannter machen will die Landesregierung das Hilfstelefon gegen sexuellen Missbrauch. Es dient als vertrauliche anonyme Anlaufstelle für akut betroffene Kinder und Jugendliche, richtet sich aber auch an ihr soziales Umfeld sowie Fachkräfte. Erreichbar ist das Hilfstelefon unter der Nummer 08002255530. Außerdem gibt es ein Online-Portal.

Zu den unerledigten Aufgaben auf der Liste der Koalition zählen unter anderem die Verankerung von Handlungskompetenzen zum Schutz vor sexualisierter Gewalt in Ausbildungs- und Studiengängen - etwa in den Bereichen frühkindliche Bildung, Schule, Polizei, Justiz, Medizin. Außerdem fordert der Landtag eine Professur für Kinderschutz und Kinderrechte. (dpa/lnw)

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