Kriminalstatistik 2023Zahl von Gewalttaten und Ladendiebstählen schnellt in NRW in die Höhe

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Bochum: Einsatzkräfte einer neuen Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) demonstrieren eine Festnahme von Hooligans bei einem Übungseinsatz im Rahmen eines Besuchs von NRW-Innenminister Reul. Die speziell geschulte Einheit soll bei Demonstrationen, Razzien oder Ausschreitungen am Rande von Fußballspielen Beweise sichern und gewalttätige Störer und Straftäter festnehmen.

NRW-Polizisten im Einsatz (Symbolbild)

Innenminister Herbert Reul zeigte sich zufrieden mit der Aufklärungsquote, gab sich ansonsten aber äußerst nachdenklich.

Die Zahl der Straftaten in NRW ist im Jahr 2023 erneut angestiegen. Insgesamt registrierte die Polizei 1,4 Millionen Straftaten, sagte NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) am Mittwoch in Düsseldorf. Das sind 3,4 Prozent mehr als im Vorjahr.

Höchste Aufklärungsquote seit 60 Jahren

Besonders stark war der Anstieg bei den Delikten Ladendiebstahl, Wohnungseinbruch, Raub und Mord. Gleichzeitig stieg jedoch auch die Aufklärungsquote auf 54,2 Prozent an: Dies sei der beste Wert seit über 60 Jahren, so Reul. „Aber da ist auch noch Luft nach oben.“

Die Gewaltkriminalität nahm im Vergleich zum Vorjahr um sieben Prozent zu. 42 Menschen wurden im letzten Jahr in Nordrhein-Westfalen ermordet, dazu kommen 66 Fälle von vollzogenem Totschlag und Tötung auf Verlangen. Die Mordversuche, bei denen die Opfer überlebten, stiegen auf 114. Das ist ein Anstieg von 60 Prozent. Die Zahl der versuchten Totschläge nahm um zwölf Prozent zu. 

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Zahl der Gewaltdelikte war in den letzten 25 Jahren nie höher

Der Zehn-Jahres-Vergleich bei der gesamten Gewaltkriminalität mache ihn nachdenklich, so Reul. Hier sehe man nämlich ein Plus von 21 Prozent. Ein Blick ins Archiv zeigt: In den letzten 25 Jahren war die Zahl der Gewaltdelikte nie so hoch wie 2023.

03.04.2024, Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf: Herbert Reul (CDU), Innenminister in Nordrhein-Westfalen, stellt die Polizeiliche Kriminalstatistik im Landtag vor. (zu dpa: «Mehr Kriminalität, mehr Gewalt in NRW») Foto: Oliver Berg/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Herbert Reul (CDU), Innenminister in Nordrhein-Westfalen, stellte die Kriminalstatistik im Landtag vor.

„Da hat sich klar etwas verändert. Konflikte enden nicht mehr mit einem Gespräch, auch nicht mit Beschimpfungen und Beleidigungen, sondern immer öfter mit Gewalt. Wo Worte nicht weiterbringen, finden dann Fäuste vermeintliche Lösungen“, sagte der Innenminister. „Gewalt darf Anstand und Respekt füreinander nicht verdrängen, aber genau das passiert gerade. Ich wünsche mir, dass wir wieder mehr aufeinander zugehen, dass wir wieder mehr Mensch zueinander sind.“

Eigentumsdelikte nehmen wieder zu

Auch die Zahl der Drogentoten steigt erneut an: 872 Menschen starben in Folge ihres Konsums. Das sind 169 Tote mehr als im Vorjahr. Die erfassten Rauschgiftdelikte stiegen dagegen nur leicht um knapp fünf Prozent an. In 63 Prozent der Fälle ging es dabei um Cannabis. Im kommenden Jahr werde er angesichts der Legalisierung „eine schöne Zahl vortragen“, so Reul. Gleichzeitig bezeichnet er die Cannabis-Legalisierung als „hausgemachten Kontrollverlust“. 

„Falltreiber Nummer eins“, so Reul, waren im letzten Jahr die Ladendiebstähle. Die Polizei schrieb deshalb rund 105.000 Anzeigen – ein Anstieg um knapp 25 Prozent. Damit wurde der höchste Wert seit 2005 erreicht, bei Händlern in NRW entstand ein Schaden in Höhe von rund 13 Millionen Euro. „Der Anstieg, den wir bei den Eigentumsdelikten sehen, hat sicher mit der Inflation und den gestiegenen Preisen zu tun“, sagte Reul. Finanzielle Sorgen senkten die Hemmschwelle, „etwas mitgehen zu lassen“.

Auch die Zahl der Wohnungseinbrüche in NRW stieg um 15 Prozent an auf circa 27.000 Fälle. Damit liegt die Zahl knapp über dem Vor-Corona-Niveau. Allerdings blieb es fast in der Hälfte der Fälle beim Versuch. „Wir sind aber weit weg von dem Hoch aus 2015. Damals hatten wir etwa 62.000 Wohnungseinbrüche“, so Reul. Bei den Raubdelikten, deren Zahl zwischen 2014 und 2021 kontinuierlich sank, verzeichnet die Polizei einen Anstieg um zwölf Prozent.

Gute Nachrichten gibt es dagegen in der Kategorie Betrugsstraftaten gegen ältere Menschen: Diese Delikte gingen um 15,8 Prozent zurück. Immer mehr Senioren würden bei sogenannten Enkeltricks den Hörer auflegen und die Polizei informieren. 

Immer mehr Kinder und Jugendliche unter den Tatverdächtigen

Unter den Tatverdächtigen sind derweil immer mehr Minderjährige: Bei den strafunmündigen Kindern registrierten die Behörden einen Anstieg um 7,4 Prozent, bei den Jugendlichen um 6,1 Prozent. Bereits im Vorjahr stieg die Zahl minderjähriger Tatverdächtiger sprunghaft an. Besonders stark ist der Anstieg bei der Gewaltkriminalität.

„Es macht alle unruhig, wenn unsere Jüngsten schon kriminell aufwachsen“, sagte Reul. „Kluge Leute sagen, Corona spielt mit rein. Ich glaube, da ist was dran. Das erklärt aber garantiert nicht alles.“ Der Begriff „Medienkompetenz“ müsse gerade bei Kindern ernster genommen werden, fordert der CDU-Politiker. „Wir dürfen nicht zulassen, dass unsere Kinder in Gewalt groß werden. Den Kampf gegen Kinder- und Jugendkriminalität müssen wir als gesamte Gesellschaft aufnehmen.“

2023 erstatteten 60.268 Menschen Anzeige wegen häuslicher Gewalt - ein Plus von knapp drei Prozent. Denselben Anstieg verzeichnet die Polizei bei Sexualdelikten. Ein Grund für den kontinuierlichen Anstieg sei, dass immer mehr Betroffene den Mut finden, Täter anzuzeigen, so Reul.

Mehr Tatverdächtige ohne deutschen Pass

Die Anzeigen wegen sexuellem Missbrauch von Kindern stieg um 22,6 Prozent an. Bei der Kinderpornografie gingen die Fälle um 4,1 Prozent zurück. Trotzdem: Im Jahr 2023 erfasste die Polizei 10.728 Fälle. 2019 waren es noch 2.359. 9.101 Fälle seien aufgeklärt worden, so Reul. Den starken Anstieg im Vierjahresvergleich erklärte mit intensiveren Ermittlungen: Wer mehr suche, finde auch mehr, so der Minister. Knapp 17 Prozent der Tatverdächtigen sind selbst noch Kinder. 

Die Zahl der ausländischen Tatverdächtigen nahm 2023 um rund zehn Prozent zu. Jede dritte aufgeklärte Tat in NRW wurde von einem Menschen ohne deutschen Pass begangen. Diesen Aspekt hatte Reul bereits vor zwei Wochen auf einer Pressekonferenz mitgeteilt. 

SPD: Sieben Jahre nach Reuls Amtsantritt sind die Fallzahlen höher als zuvor

Im Vergleich zu vielen anderen Bundesländern ist der Anstieg von Straftaten in NRW noch moderat ausgefallen. Als bisher einziges Bundesland konnte Schleswig-Holstein einen Rückgang der Straftaten verzeichnen. In Bremen wurden dagegen 21,7 Prozent mehr Straftaten registriert als im Vorjahr, in Hamburg und Sachsen waren es 10,9 Prozent mehr.

Kritik kommt derweil aus der SPD: „Innenminister Reul hat 2017 sein Amt mit der Ankündigung angetreten, die innere Sicherheit in Nordrhein-Westfalen mit einer ‚Null-Toleranz-Strategie‘ gegen Kriminelle zu verbessern“, sagte Christina Kampmann, innenpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion. „Sieben Jahre später sind die Fallzahlen jedoch höher als bei seinem Amtsantritt. Davon können auch die vielen Erklärungen des Ministers nicht ablenken.“

Trotz der „bemerkenswerten Ermittlungsarbeit der Polizei“ stehe Reul vor großen Herausforderungen, sagt Marc Lürbke, innenpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion. Die drastische Zunahme der Delikte durch Kinder unter 14 Jahren –  „ein Anstieg von fast 50 Prozent gegenüber 2021“ – erfordere „dringend eine Neuausrichtung der Präventions- und Strafverfolgungsmaßnahmen“. Angesichts der hohen Zahl an Diebstählen sei es zudem „entscheidend, den Druck auf die Täter deutlich zu erhöhen, um sicherzustellen, dass Eigentumsdelikte nicht zu einem risikoarmen Unterfangen werden.“

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