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Einsätze auch in KölnDLRG-Experte nennt Zahl der Badetoten in Deutschland „erschreckend“

Lesezeit 7 Minuten
Frank Zantis steht in einer knallroten Weste der DLRG am Rheinufer. Kölner Dom und Hohenzollernbrücke im Hintergrund sind unscharf gestellt.

Frank Zantis von der DLRG Nordrhein hat schon mit zehn Jahren angefangen, sich für die Lebensrettung zu interessieren.

Frank Zantis durchlief verschiedene Stationen der Lebensrettung. In den vergangene Jahren gibt es mehr Ertrunkene. Der Experte gibt Einblicke.

Der Mann war in Not, schwamm nicht mehr weiter, legte sich auf den Rücken. Die Gruppe um ihn schaute schockiert. Er versuchte vermutlich, einen Krampf zu lösen. Frank Zantis schätzte, dass er sich 30 Meter entfernt vom Ufer des Echtzer Sees im Wasser befand  – zum Glück nicht weiter entfernt.

Zantis Blick klebte an dem Ertrinkenden. Im Inneren des Ehrenamtlers spulte sich das gelernte Vorgehen ab. „Man denkt ruhig und funktioniert einfach. Was sind die nächsten sinnvollen Schritte für die Situation? Welche Rettungsmittel gibt es?“, sagt Zantis. Die Panik der Ertrinkenden soll mit etwas zum Festhalten gelindert werden, in dem Fall einer Rettungsboje – wie aus Baywatch.

Frank Zantis sprang ins Wasser, schwamm mit der Boje zum Mann und warf sie ihm zu. Er hielt bewusst Abstand. Ein Kollege hatte das Geschehen vom Ufer aus im Blick. Dann kam das Rettungsboot. Der Verunglückte wurde in Sicherheit gezogen. Und Frank Zantis schwamm zurück ans Ufer. So schildert er mehrere Jahrzehnte später eine der Rettung, die er als Jugendlicher im Einsatz für die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) durchgeführt hat.

Frank Zantis ehrenamtliche Tätigkeit bei der DLRG hat sich in den fast 40 Jahren seiner Mitgliedschaft häufig verändert: von Rettungen am Echtzer See, dem Dürener Badesee, über Wachdienste in Krefeld, Einsätze an der Nord- und vor allem Ostsee, Hochwasser in Köln in den 90ern, der Flutkatastrophe in der Eifel im Sommer 2021, bis hin zu Verwaltungsaufgaben.

Mittlerweile ist der 50-jährige Pressesprecher und Leiter der Verbandskommunikation der DLRG Nordrhein. Er berichtet von Pommes als Dankeschön, hilfsbereiten wie verständnislosen Menschen und erschütternden Momenten, die ihn bis heute begleiten. Zum Beginn der Badesaison will Frank Zantis seine Erfahrungen schildern, um Unfällen vorzubeugen. In Köln sehe gerade der Rodenkirchener Strand bei strahlend blauem Himmel besonders toll vor, doch die Strömung des Rheins sei eine nicht zu unterschätzende Gefahr.

DLRG-Experte Frank Zantis gibt Ratschläge zum Umgang mit Ertrinkenden

„Ein Mensch in Panik verfügt über eine immense Kraft, egal ob Erwachsener, Jugendlicher oder Kind“, erläutert Frank Zantis, der in der Arbeitswelt IT-Leiter ist. Klammert sich ein Ertrinkender an einen Retter, kann dieser selbst in Gefahr geraten. Deswegen sollte immer ein Gegenstand zwischen Retter und Hilfesuchendem sein – zum Beispiel eine Boje. Hauptsache, es hat Auftrieb. 

Einen, langen, schweren Stock könne man der Person im Wasser zuwerfen, sodass er kurz vor ihr aufkommt, gibt der Krefelder ein Beispiel. Man könne sich als geübter Schwimmer auch vorsichtig nähern und mit Abstand eine Luftmatratze anreichen. Diese Ratschläge bezieht er auf Seen, bei fließenden Gewässern gilt: „Bitte auf keinen Fall hinterherspringen. Eventuell einen Rettungsring zuwerfen. Sofort die 112 rufen, am Ufer mitlaufen, Sichtkontakt bewahren und den Kontakt zur Leitstelle halten.“ Im Wasser könne eine Person zügig verloren gehen, und die Position des Menschen in Not sei für Rettungskräfte enorm wichtig. 

Die schlimmste Erfahrung in 40 Jahren

Frank Zantis hat wiederholt miterlebt, dass Leute vermisst wurden und erst Wochen später wieder auftauchten – als Leichen an Land gezogen. „Es ist nicht einfach, damit umzugehen.“ Seinen schlimmsten Einsatz hatte er 2010 an der Ostsee in Warnemünde. Gemeinsam mit Kollegen baute er eine Großveranstaltung des DLRF auf. Obwohl das Gebiet nicht im Wachbereich der DLRG lag, liefen Badegäste auf sie zu. Ein Kind wurde vermisst. Zantis hält beim Erzählen kurz inne. „Wir haben den Jungen dann gefunden, aber leider war er leblos. Wir haben mit der Herz-Lungen-Wiederbelebung angefangen, bis der Rettungsdienst kam.“ 

Der Strand war an dem Tag proppevoll, sagt Zantis. Gemeinsam mit seinen Kollegen versuchte er, den Rettungsweg freizuräumen, während aufgeregte Strandgäste den Unfallort belagerten. „Es kamen größtenteils Väter mit ihren kleinen Kindern, um zu gucken, was da los war. Das bleibt natürlich im Kopf.“ Frank Zantis musste an seine damals vierjährige Tochter denken. Der Junge starb.

Um Einsätze wie den am Strand in Warnemünde zu verarbeiten, habe der DLRG Kriseninterventionsteams gegründet. Die Gespräche mit diesen Kollegen hätten ihm geholfen, sagt Zantis. Ihm sei es wichtig, die Geschichte des Jungen auch öffentlich zu erzählen – als Warnung und Perspektivwechsel für die Menschen im Wasser wie am Ufer. 

Seit drei Jahren in Folge ertrinken mehr Menschen in Deutschland

„In den letzten Jahren sind immer mehr Menschen in Deutschland bei Badeunfällen gestorben“, sagt Zantis. „Die Zahlen sind erschreckend.“ Laut Statistik der DLRG ertranken im Jahr 2024 deutschlandweit mindestens 411 Personen, 31 mehr als im Vorjahr. Die Zahl stieg zum dritten Mal in Folge an. In NRW sind 2024 zehn Menschen mehr gestorben als im Vorjahr. 57 statt 47 Ertrunkene – davon mit Abstand die Meisten in Flüssen (23) und Seen (18).

„Bei Seen lauert die Gefahr immer Unterwasser. Es kann eine Unterströmung gegeben, die einen erfasst“, erklärt Zantis. „Durch Untiefen kann sich die Wassertemperatur in kurzer Zeit stark verändern.“ Der Kreislauf reagiere, der ganze Körper verkrampfe im Wasser und so könne man nicht mehr vernünftig schwimmen und auf die Notsituation aufmerksam machen. „Darüber ertrinkt man dann letztendlich. Man kommt gar nicht mehr dazu, zu schreien. Es ist furchtbar.“ Daher spreche man vom leisen Tod. 

Auch deshalb sollten Eltern ihre Kinder am Wasser immer im Blick haben. Die DLRG versuche, Badeseen nach Möglichkeit permanent zu bewachen; hier sei man auch auf die Mithilfe der Badegäste angewiesen. Stelle man etwa fest, dass ein Badegast sich im Wasser nicht rühre, solle man der Aufsicht lieber einmal zu oft Bescheid geben. „Es gibt unheimlich viele Hilfsbereite“, lobt Frank Zantis. Für ihn bilden sie das Gegengewicht zu Menschen, die etwa bei Rettungsversuchen dazwischenfunken.

Frank Zantis erinnert sich an freundliche Gesten und den Einsatz nach Katastrophen

Was ihm positiv im Gedächtnis blieb: „Wenn ich als Jugendlicher einen DLRG-Dienst am See hatte, gab mir der Inhaber der Pommes-Bude manchmal eine Pommes aus.“ Auch ein freundliches Lächeln, ein nettes „Auf Wiedersehen“ von den Badegästen, behalte er in Erinnerung. „Das hilft schon viel, gerade als Jugendlicher. Da sieht man, dass eine Anerkennung kommt.“ Auch bei Veranstaltungen wie Rhein in Flammen oder den Kölner Lichtern bedeute es den Mitgliedern von Hilfsorganisationen viel, wenn die Leute winkten, sich bedankten.

Bei seinen Diensten während der gefluteten Kölner Altstadt, Anfang der 90er Jahre, habe man ihn und die anderen Rettungskräfte gut mit Essen versorgt. Nach der Flutkatastrophe 2021 hätten sich die weniger stark Betroffenen für die anderen eingesetzt. In Fällen eines akuten Notstands während Extremwetters bittet der DLRG Pressesprecher dennoch um Verständnis: „Lasst uns erstmal die eine Sache abarbeiten. Wenn die Schadenslage noch akut ist, kommt bitte nicht – die Gefahr ist zu groß.“ Bei andauerndem Starkregen etwa sollten die Profis da sein, damit aus den Hilfsbereiten keine Hilfssuchenden würden. „Danach kann jeder helfen.“ 

Die Wasserrettungszüge – taktische Einheiten der Wasserrettung in Katastrophenfällen – werden seiner Einschätzung nach immer wichtiger. Im April des Jahres habe die DLRG Nordrhein zehn Fahrzeuge für die 20 Wasserrettungszüge in NRW bekommen, also nur eins für jeden Zweiten. Pro Wasserrettungszug brauche man aber weit mehr Fahrzeuge. „Ein Tropfen auf den heißen Stein“, findet Zantis. „Das Land NRW muss dringend mehr Fahrzeuge und Material für die Rettungszüge bereitstellen. Das darf jetzt nicht einschlafen.“

Schwimmen sollte an Grundschulen verpflichtend sein

Doch die meisten Ertrinkungstode passierten nicht bei Extremwetter. Frank Zantis vergleicht das Schwimmen im Rhein damit, auf einer Autobahn Fußball zu spielen. Letztens habe er mit seiner Frau und seiner 15-jährigen Tochter in Krefeld an einem Pop-up-Biergarten am Rhein gesessen. Trotz aller Warnungen seien im Rhein Menschen geschwommen. „Jetzt guck nicht die ganze Zeit da rüber“, habe seine Tochter zu ihm gesagt.

Auch Zantis‘ Töchter engagieren sich bei der DLRG. „Sie haben das selbst entschieden und das freut mich.“ Generell sei die Zahl der Ehrenamtler und Ehrenamtlerinnen bei der DLRG zufriedenstellend. Die DLRG Nordrhein gibt an, derzeit gut 80.000 Mitglieder zu haben. Im Sommer 2025 sollen fast 10.000 Rettungsschwimmer im Einsatz sein.

Zusätzlich lehrt die DLRG Nichtschwimmer das Schwimmen. Es sei wichtig, dass die Kommunen die Schwimmbäder als Ausbildungsstätten erhielten. Was Frank Zantis sich wünscht: „Dass Kinder an der Grundschule das Schwimmen, wie Schreiben und Lesen lernen würden. Wenn ein Kind nicht Fußball spielt oder turnt, ist das eben so. Wenn das Kind aber kein Schwimmen lernt, bezahlt es unter Umständen mit seinem Leben.“