Nach Festnahme von Daniela Klette„Sie hatte innerhalb dieses Gefüges die Lizenz zum Töten“ – Die RAF und ihre Taten in NRW

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28.02.2024, Berlin: Beamte tragen einen als gefährlich eingestuften Gegenstand aus dem Wohnhaus der früheren RAF-Terroristin Daniela Klette, das wegen einer möglichen Gefahr geräumt wurde. Die frühere Terroristin der Roten Armee Fraktion (RAF), Daniela Klette, war am Montag in Berlin-Kreuzberg gefasst  worden. (bestmögliche Qualität)

Beamte tragen einen als gefährlich eingestuften Gegenstand aus dem Wohnhaus der früheren RAF-Terroristin Daniela Klette. Die frühere Terroristin der Roten Armee Fraktion (RAF) war am vergangenen Montag in Berlin-Kreuzberg gefasst worden.

RAF-Experte Butz Peters spricht im Interview darüber, was die Festnahme Daniela Klettes zur Aufklärung von Gewalttaten beitragen könnte. Und was der Beschuss der US-Botschaft in Bonn-Bad Godesberg damit zu tun hat.

Herr Peters, welche Rolle spielte Daniela Klette bei der RAF?

Butz Peters: Sie ist auf keinen Fall eine der Vordenkerinnen gewesen.  Nach den Erkenntnissen der Ermittler gehörte sie zwar seit Mitte der 1970er-Jahre zum linksextremistischen Umfeld der Roten Armee Fraktion, endgültig dabei war sie als Mitglied der 3. Generation aber wohl erst Ende 1989. Zur Erinnerung: Im November 1989 wurde der Mord an Deutsche-Bank-Chef Alfred Herrhausen verübt. Ob Klette daran beteiligt war, ist unbekannt. Sie gehörte jedenfalls schnell der Kommandoebene der RAF an. Der Instanz, die den Ermittlungen zufolge aus mindestens zwölf Personen bestand. Die, die Anschläge plante und durchführte, die innerhalb dieses Gefüges auch die Lizenz zum Töten hatte.

Was konkret werfen die Ermittler Klette denn vor?

Bei drei der politischen Straftaten der RAF wurden Fingerabdrücke oder DNA-Material von Klette gefunden. Da war der Beschuss der US-Botschaft in Bonn-Bad Godesberg. Von Königswinter aus wurden von drei Personen mit zwei Nato-Gewehren und einer Kalaschnikow 250 Schüsse über den Rhein gejagt, 60 Geschosse haben getroffen. Der Fluchtwagen wurde 170 Kilometer entfernt in einem Wald gefunden.

ARCHIV - 18.01.2016, Sachsen, Dresden: Rechtsanwalt und RAF-Experte Butz Peters in seiner Kanzlei. Peters hofft nach der Festnahme der Terroristin Daniela Klette auf eine weitreichende Aufklärung der Taten der dritten Generation der Roten Armee Fraktion. (zu dpa: «RAF-Experte: Chance, Licht ins Dunkel der Taten zu bringen.») Foto: Arno Burgi/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Rechtsanwalt, RAF-Experte und ehemaliger „Aktenzeichen XY... ungelöst“ Moderator Butz Peters in seiner Kanzlei.

Dort klebte ein Haar auf dem Beifahrersitz. Und viele, viele Jahre später, die DNA-Technik hatte sich enorm weiterentwickelt, konnte das Haar Daniela Klette zugeordnet werden.

Bei der bislang einzigen in Deutschland erfolgten „Knastsprengung“, so damals die Formulierung der RAF, wurde ihre DNA am Tatort gefunden. 1983 ist ein fünfköpfiges Kommando mit einer Strickleiter über eine sechs Meter hohen Mauer der Justizvollzugsanstalt JVA Weiterstadt geklettert, die ein paar Tage später eingeweiht werden sollte. Etwa zehn Justizwachmeister wurden überwältigt, gefesselt und in einem Kleinbus ein paar hundert Meter von dem Gefängnis entfernt abgestellt. Anschließend wurde die JVA in die Luft gesprengt, mit bemerkenswerten 200 Kilogramm Sprengstoff. Niemand weiß bis heute, woher der stammte. Und der Schaden? 123 Millionen Mark. Das ist der größte Schaden in Folge einer Explosion in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg.

„Die spannende Frage ist jetzt: Wird Daniela Klette aussagen?“

Und dann noch Bad Kleinen?

Genau, im Juni 1993, als die RAF-Vordenkerin Birgit Hogefeld verhaftet wurde und ihr Komplize Wolfgang Grams sich während eines Feuergefechtes am Bahnhof in Bad Kleinen mit der eigenen Waffe selbst hingerichtet hat. Im Gepäck des Paares wurde ein Papier gefunden, auf dem sich ein Fingerabdruck von Daniela Klette befand. Also das ist das, was die Ermittler bei den Bekenntnistaten der RAF bislang festgestellt haben. Hinzu kommen offensichtlich einige DNA-Spuren, die bei Raubüberfällen in Nord- und Westdeutschland gesichert wurden, die wohl nur der Geldbeschaffung für das Leben im Untergrund gedient haben.

Zudem könnte Klette die Beteiligung an einem versuchten Autobomben-Anschlag auf die Computerzentrale der Deutschen Bank in Eschborn im Februar 1990 nachgewiesen werden, heißt es. In dem zur Bombe umfunktionierten VW Golf hätten sich ebenfalls ausgefallene Haare von ihr befunden. Stimmt das?

Ja, davon ist die Rede. Ein Haar oder DNA-Spuren am Tatort beweisen aber nicht immer zwingend eine Täterschaft, das muss man klar sagen. Die Spuren beweisen nicht automatisch, dass die betreffende Person auch zum Tatzeitpunkt vor Ort gewesen ist. Das müssen jetzt die Richter entscheiden, ob diese Indizien zwingend sind.

Nicht nur die Straftaten, die Daniela Klette begangen hat, sind interessant. Könnte nicht auch wichtig sein, was sie alles weiß?

Unbedingt! Sie hat möglicherweise sehr viel mitbekommen und das macht ihre Verhaftung halt so spannend. Weil die RAF nach 1989 ja gebombt und getötet hat, im April 1991 etwa wurde der Treuhandchef Karsten Rohwedder in seinem Düsseldorfer Privathaus von einem Scharfschützen hingerichtet. Insgesamt ermordete dieses letzte Aufgebot der Terrororganisation zwischen 1984 und 1993 zehn Menschen – erst eine einzige Tat ist bislang aufgeklärt. Unbekannt ist bis heute, wer alles mit von der Partie gewesen ist.

Und die spannende Frage ist jetzt: Wird Daniela Klette aussagen, etwa nach dem Angebot einer Kronzeugenregelung? Das würde vermutlich eine Vielzahl neuer Erkenntnisse bringen. Oder wird sie eisern schweigen, wie dies Birgit Hogefeld nach ihrer Verhaftung getan hat? Die hat mal berichtet, dass ihr von der Bundesanwaltschaft ein sehr attraktiver Strafnachlass angeboten worden sei, wenn sie umfassend aussagt. Sie hat dies abgelehnt, zwar viel Grundsätzliches zu der Geschichte der RAF gesagt, aber weder Komplizen noch Kommandounternehmen verraten.

„Bis heute weiß man nicht, wo die Täter der 3. Generation während der aktiven Phase wohnten“

Und auch nicht, welche Personen bei der 3. Generation die Kommandoebene überhaupt gebildet haben.

So ist es, selbst das weiß man noch nicht. Die RAF war in der 3. Generation jedenfalls darauf fixiert, Spuren vermeidend zu arbeiten. Und deswegen wissen die Ermittler bis heute überhaupt nicht, wer mit dabei gewesen ist. Deswegen wäre es auch ein Fehlschluss zu sagen, Daniela Klette war beweissicher dabei. Obwohl es aufgrund der Ermittlungen nahe liegt. Man muss ein bisschen vorsichtig sein, wenn man versucht, faktenbasiert zu denken und zu argumentieren. Denn das ist ein großer Unterschied, glaube ich, zwischen der dritten sowie der zweiten und ersten Generation der Terrorgruppe: Die dritte war viel professioneller, was die Verbrechen anging. Die haben kaum Spuren hinterlassen.

Wieso konnten die das?

Auch das ist noch nicht geklärt. Klar jedoch scheint zu sein, dass unter anderem Hogefeld und Grams die Fehler der vorherigen Generation genau analysiert haben, bevor sie im Sommer 1984 in den Untergrund gegangen sind. Die Terroristen vor ihnen hatten extrem viele Spuren hinterlassen, etwa in den konspirativen Wohnungen. Und man konnte auch gut nachvollziehen, woher das Geld gekommen ist. Teilweise sogar, woher der verwendete Sprengstoff stammte. Das ist bei der 3. Generation alles unbekannt. Nicht eine einzige konspirative Wohnung wurde bisher entdeckt. Bis heute wissen die Ermittler nicht, wo die Täter der 3. Generation während der aktiven Phase gewohnt haben.

Und wovon leben die Terroristen dann bis heute, wenn sie wie Daniela Klette als „normale“ Bürger irgendwo unter uns leben sollten?

Na ja, die Vermutung geht halt dahin, dass sie von Raufüberfällen etwa auf Geldboten leben, die der Roten Armee Fraktion bisher aber nicht zugeordnet werden. Die 3. Generation hat sich 1998 aufgelöst. Schon 1999 hat es in Duisburg dann einen Überfall gegeben, bei der ungefähr eine Million Mark erbeutet wurden. Heute wird vermutet, dass die RAF-Leute das waren. Seitdem hat es dann etwa ein Dutzend ähnlicher Überfälle auf Geldtransporter gegeben, bei denen insgesamt etwa zwei Millionen Euro geraubt wurden.

Es hat dann ja viele Hypothesen gegeben, wo sich die Ex-Terroristen versteckt haben könnten. Im europäischen Ausland beispielsweise, oder im Libanon oder bei Unterstützern der linksextremen Szene in Deutschland. Die zweite RAF-Generation beispielsweise hatte nach dem Deutschen Herbst 1977 Paris als Fluchtburg, wo anderthalb Dutzend Mitglieder in fünf Wohnungen lebten.

Ich glaube nicht, dass es eine große Unterstützerszene gab und gibt. Vor allem, weil Unterstützer auch Mitwisser sind und deshalb immer ein Risiko, das man im Unterschied zu den vorherigen Generationen nicht eingehen wollte. Naheliegend ist eher, dass die Ex-Terroristen zahlreiche Tarnexistenzen und Legenden benutzen, wie dies beispielsweise auch die rechtsextremistische Beate Zschäpe getan hat.

Sie war, ähnlich wie man das jetzt von Klette hört, am Wohnort gut integriert. Hat Kuchen und Plätzchen gebacken und war immer bereit für ein Schwätzchen mit den Nachbarn. Keiner ist auf die Idee gekommen, dass da womöglich etwas nicht stimmt. Aber das ist alles immer auch spekulativ, manchmal sogar Kaffeesatzleserei – zu gut ist die Tarnung der 3. Generation bisher, die die Ermittler zu großen Teilen noch nicht geknackt haben.

Gerade bei Daniela Klette ist das doch eine irre Geschichte. Wenn Sie mal gucken, wie lange nach ihr gefahndet wurde. Und ihr Fahndungsfoto hing bis vor Kurzem doch noch in Polizeistationen, in Rathäusern und Gerichten.

Wie ist man ihr denn jetzt auf die Spur gekommen?

Das LKA Niedersachsen sagt, durch einen Hinweis aus der Bevölkerung. Na ja, könnte so gewesen sein, immerhin war noch eine Belohnung von 150.000 Euro ausgesetzt. An Spekulationen, dass beispielsweise die Zielfahnder der Polizei einen wichtigen Anteil bei der Festnahme hatten, möchte ich mich nicht beteiligen.


Zur Person: Butz Peters ist Rechtsanwalt, Moderator und Buchautor. Von 1997 bis 2001 moderierte er die TV-Sendung „Aktenzeichen XY... ungelöst“. Über die Rote Armee Fraktion (RAF) hat er vier Bücher geschrieben.

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