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„Umgekehrte Inklusion“Sollen NRW-Grundschüler ohne Förderbedarf an Förderschulen unterrichtet werden?

Lesezeit 3 Minuten
Demonstration für Inklusion und Vielfalt anlässlich des Welt-Down-Syndrom-Tags in Köln.

In NRW wird über ein neues Modell des gemeinsamen Lernens diskutiert. Das Modell wird als „umgekehrte Inklusion“ bezeichnet.

Dass Kinder mit Förderbedarf an allgemeinen Schulen lernen, ist Normalität. Sollten sich auch Förderschulen für Kinder ohne Beeinträchtigung öffnen? 

Das gemeinsame Lernen von Kindern mit und ohne Behinderung gehört seit 2014 zum Alltag an den Schulen in NRW. Bei der „Inklusion“ werden Schülerinnen und Schüler mit besonderem Förderbedarf an Schwerpunktschulen in das allgemeine Bildungssystem einbezogen und individuell gefördert. Jetzt wird in NRW über ein neues Modell des gemeinsamen Lernens diskutiert. Das Modell wird als „umgekehrte Inklusion“ bezeichnet. Dabei sollen Kinder ohne sonderpädagogischen Förderbedarf gemeinsam mit Kindern mit Förderbedarf an Förderschulen lernen. Ist das eine gute Idee? An der Frage scheiden sich die Geister.

Die schulpolitische Sprecherin der FDP im Landtag, Franziska Müller-Rech, unterstützt den Ansatz. „Umgekehrte Inklusion denkt Vielfalt mal andersherum – und genau das macht sie so spannend“, sagte die Liberale aus Bonn dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. „Diese Perspektivumkehr eröffnet neue pädagogische Wege und kann für alle Beteiligten wertvolle Erfahrungen ermöglichen.“ Das Landesinstitut für Schule hatte bereits 2023 Praxis-Beispiele aus NRW veröffentlicht. So gibt es in Gelsenkirchen das Projekt „Extra-Klasse“, bei dem Grundschüler am Unterricht einer Förderschule mit dem Schwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung teilnehmen.  Ein „positives Signal“, so Müller-Rech.

Förderschulen: Soziale Kompetenzen wie Empathie und Rücksichtnahme entwickeln

Auch bei den Grünen im Landtag, die zusammen mit der CDU zu den regierungstragenden Fraktionen gehören, gibt es Unterstützung für das neue Konzept. „Auch Kinder ohne Förderbedarf können von einem Unterricht an Förderschulen profitieren. Durch den engen Kontakt mit Kindern mit Förderbedarf entwickeln sie soziale Kompetenzen, wie Empathie und Rücksichtnahme“, sagte Dennis Sonne, Sprecher für Inklusion und Behindertenpolitik, unserer Zeitung.

Zudem würden kleinere Klassen und die individuelle Förderung an Förderschulen eine intensivere Betreuung anbieten, die allen Kindern und Jugendlichen zugutekomme. „Eine gemeinsame Beschulung trägt dazu bei, Vorurteile abzubauen, Vielfalt als Normalität zu erleben und das gesellschaftliche Miteinander zu stärken“, so Sonne: „Damit das gelingen kann, ist eine gezielte Öffnung der Förderschulen notwendig. Sie könnten sich zu inklusiven Lernorten weiterentwickeln, in denen verschiedene Förderbedarfe und Bildungsbiografien selbstverständlich nebeneinander bestehen.“

Die Bildungsgewerkschaft GEW sieht „gute Ansätze“ bei dem neuen Modell. Wichtig sei jedoch, dass die „umgekehrte Inklusion nicht zum Ausweichmanöver“ werde, sagte GEW-Landeschefin Ayla Celik auf Anfrage. „Wo umgekehrte Inklusion notwendig wird, fehlt es an inklusiver Realität“, so die Schulexpertin. Inklusion bedeute nicht, dass „sich das Kind dem System anpasst, sondern das System dem Kind“. Dazu müssten die Schulen endlich mit den erforderlichen Ressourcen ausgestattet werden.

Ayla Celik: Schulen mit den erforderlichen Ressourcen ausstatten

NRW-Schulministerin Dorothee Feller betonte, es sei wichtig, die Qualität der Inklusion weiter zu verbessern. Modellprojekte zu Förderung der umgekehrten Inklusion seien allerdings derzeit nicht in Auftrag gegeben worden, erklärte die CDU-Politikerin in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Liberalen. Müller-Rech zeigte sich enttäuscht. „NRW braucht mehr Offenheit für neue pädagogische Wege – auch jenseits des klassischen Systems“, sagte die Liberale. „Unkonventionelle Konzepte“ wie die umgekehrte Inklusion müssten „stärker in den Blick“ genommen werden.