Niedergang der SozialdemokratieFünf Gründe, warum die NRW-SPD in Trümmern liegt

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Niedergang SPD NRW Symbolbild

Die SPD dümpelt in NRW in Umfragen bei 20 Prozent der Wählerstimmen. Wie ist es dazu gekommen?

Einst regierte die SPD mit absoluten Mehrheiten. Nun berät sie über eine Neuaufstellung. Was sind die Ursachen für den Niedergang? Eine Analyse. 

Die Rücktrittserklärung dauert keine zwei Minuten. Am 14. Mai 2017, um 18.17 Uhr, tritt Hannelore Kraft bei der Wahlparty der NRW-SPD in der Düsseldorfer Altstadt ans Mikro. „Liebe Genossinnen und Genossen, das ist kein guter Tag für die Sozialdemokratie“, sagt Kraft mit Grabesstimme. Satte 7,9 Prozentpunkte hatte die NRW-SPD bei der Landtagswahl verloren – und Rot-Grün die Regierungsmehrheit. Ein Debakel für die Partei, von dem sie sich bis heute nicht erholt halt.

Aktuell dümpelt die NRW-SPD in Umfragen bei 20 Prozent, das sind rund sechs Punkte weniger als bei der Landtagswahl im vergangenen Jahr, als die Partei mit 26,7 Prozent das schlechteste Ergebnis in der Geschichte einfuhr. Wie kommt es dazu, dass die SPD in Trümmern liegt? Fünf Grunde.

Verlor an Glaubwürdigkeit: Hannelore Kraft

Verlor an Glaubwürdigkeit: Hannelore Kraft

1. Kraft scheitert als Hoffnungsträgerin Als Hannelore Kraft 2010 Ministerpräsidentin wird, ist sie der neue Star der SPD. Der politischen Seiteneinsteigerin war es gelungen, Amtsinhaber Jürgen Rüttgers abzulösen. Nach Krafts Triumph stehen ihr alle Türen offen. In der Bundes-SPD wird die Ökonomin aus Mülheim an der Ruhr bereits als künftige Kanzlerkandidatin gehandelt. Kraft hatte die Menschen als glaubwürdige Kümmerin überzeugt.

Ein Orkan, bei dem 2015 zwei Menschen in Münster sterben, markiert den Wendepunkt. Die Landesmutter war nicht zu den Betroffenen geeilt – mit der Begründung, sie sei bei einem Urlaub in Brandenburg in einem Funkloch gewesen. Später stellt sich heraus, dass Kraft sehr wohl über die Lage informiert worden war. Der Vorwurf, die Unwahrheit gesagt zu haben, führt zu einem schweren Image-Schaden, von dem sich Kraft nicht mehr erholt. In der Folgezeit wirkt sie zunehmend gereizt und amtsmüde. Nur wenige verstehen, warum sie nach dem Staatsversagen in der Kölner Silvesternacht eisern an ihrem Innenminister festhält. Krafts Authentizitätsverlust trägt einen maßgeblichen Anteil an der SPD-Niederlage. Die Partei hatte sich zu stark auf die Wirkkraft ihrer Frontfrau verlassen.

2. Krafts Erben verzetteln sich Als Kraft abtritt, bleibt Norbert Römer, der Chef der SPD-Fraktion im Landtag, im Amt. Er will den Parlamentarischen Geschäftsführer der Landtagsfraktion, Marc Herter, als seinen Nachfolger auf den Schild heben. Das Problem: Herter ist bei den Abgeordneten nicht beliebt. Er hat Referenten aus seinem Juso-Freundeskreis eingestellt, die den Parlamentariern ihren Job erklärten. Als sich eine gefährliche Opposition gegen Herter formiert, glaubt Römer, das Problem mit einem Kunstgriff heilen zu können.

Geriet wegen Hinterzimmer-Deal in die Kritik: Ex-Parteichef Michael Groschek

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Gemeinsam mit dem damaligen Parteichef Michael Groschek ersinnt er den Plan, mit dem Bundestagsabgeordneten Sebastian Hartmann einen Politiker aus der Region Mittelrhein als neuen Parteivorsitzenden zu installieren. Seine Logik: Wenn Hartmann die Partei anführt, spült die Proporzregel in der SPD den westlichen Westfalen Herter an die Fraktionsspitze. Die Personalpläne der alten Garde wurden allerdings durchkreuzt. Im April 2018 entschließt sich der ehemalige Justizminister Thomas Kutschaty – allen Hinterzimmerabsprachen zum Trotz – zur Kampfkandidatur gegen Herter und setzt sich durch. Hartmann wird in der Folge, wie geplant, zum Parteichef gewählt, was sich zum Problem entwickeln wird.

3. Dauerkonflikt blockiert NeuanfangNach dem Streit um die Führung der Fraktion kehrt in der NRW-SPD keine Ruhe ein. Schnell zeichnet sich ab, dass Kutschaty wenig von Hartmann hält und umgekehrt. Es entsteht der Eindruck, dass Kutschaty nur deshalb nicht sofort nach der Parteispitze greift, um mit Hartmann einen Sündenbock für die drohenden Niederlagen bei Kommunal- und Europawahlen präsentieren zu können. Genauso kommt es auch. Erst 2021 übernimmt Kutschaty auch den Parteivorsitz. Durch den Dauerkonflikt wurden drei Jahre vertan, in denen die NRW-SPD wieder zu einer schlagkräftigen Truppe hätte werden können.

Wahlkampf missglückte: Thomas Kutschaty gibt den Parteivorsitz ab

Wahlkampf missglückte: Thomas Kutschaty gibt den Parteivorsitz ab.

4. Das Russland-Problem verhagelt den Landtagswahlkampf 2022 Der Landtagswahlkampf 2022 wird vom Krieg in der Ukraine überschattet. Über Wochen muss sich Kutschaty für die von der CDU unterstellte Russland-Nähe von führenden SPD-Politikern verantworten. Der Slogan „Mit Euch gewinnen wir das Morgen“ wirkt inhaltsleer und überholt. Kutschaty begeht taktische Fehler. Er tut der CDU den Gefallen, im TV-Duell den unaufgeregten Staatsmann zu geben. Die SPD glaubt den Demoskopen, die ein Kopf-an-Kopf-Rennen vorhergesagt hatten – ein fataler Fehler.

5. Kutschaty bleibt, aber auf verlorenem PostenAm Wahlabend war Kutschaty nicht klar, ob er die Schmach politisch überleben wird. Doch der Putsch bleibt aus, wohl auch deshalb, weil viele alte Haudegen aus der Fraktion ausgeschieden sind und von den Neumitgliedern keine Gefahr ausgeht. Beim aufwendig inszenierten Aufarbeitungsprozess zur Wahlniederlage kommt Kutschaty mit einem blauen Auge davon. Er glaubt, fest im Sattel zu sitzen – und bemerkt die zunehmende Kritik an seiner angeblich autistischen Amtsführung nicht. Als er in einer Spitzenrunde unabgestimmt eine Generalsekretärin vorschlägt, verweigert die Region Westliches Westfalen die Gefolgschaft. Nach Kutschatys Rückzug übernimmt ausgerechnet der alte Rivale Marc Herter die Parteiführung. Fünf Jahre nach seiner bitteren Niederlage obliegt es jetzt Herter, die Partei aus der Dauerkrise zu steuern.

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