Soziales EngagementMehr junge Menschen als gedacht befürworten eine Dienstpflicht

Lesezeit 5 Minuten
Ein Freiwilligendienstler übt, wie man einen Gehbinderten Menschen in einen Transporter schiebt.

Ein Freiwilligendienstler übt, wie man einen Gehbinderten Menschen in einen Transporter schiebt (Symbolbild).

Bei den 18- bis 24-Jährigen sprechen sich 45 Prozent für einen verpflichtenden Gesellschaftsdienst aus. Trotzdem sehen ihn Hilfsorganisationen skeptisch.

Für Beyza Saglam gab es mehrere Gründe, nach der Schule ein Freiwilligen Soziales Jahr beim Deutschen Roten Kreuz (DRK) zu machen. Zum einen hofft sie, mit etwas Wartezeit Psychologie studieren zu können. Nach 13 Jahren in Klassenzimmern wollte die 19-Jährige zudem für eine Zeit raus aus den bekannten Strukturen, weg von Lehrbüchern und Prüfungen, rein in Praxis. „Mein Berufswunsch Psychologie hat ja viel mit dem Wunsch zu tun, Menschen zu helfen“, sagt sie. „Ich wollte erfahren, welche anderen Möglichkeiten es dafür gibt.“ Seit Herbst 2022 ist sie im Fahrdienst des DRK Köln für Menschen mit Behinderung aktiv. 

Saglam sitzt nicht auf dem Fahrersitz, sondern hinten im Wagen, neben den Menschen. Sie passt auf, beruhigt Kinder, die ganz aufgedreht ins Auto steigen, lernt, mit Menschen mit verschiedensten Beeinträchtigungen zu kommunizieren. „Es ist nicht für jeden was“, sagt sie. Weil sie nebenher als Kellnerin arbeitet, war ein Job, in dem sie hauptsächlich im Auto sitzt, für sie ideal. „Wenn man mit den Lebensrealitäten von Menschen mit Behinderungen konfrontiert wird, achtet man plötzlich auf ganz andere Dinge.“ Zum Beispiel darauf, ob das Gebäude, das sie betritt, eine Rampe für Rollstuhlfahrer hat. „Es ist häufig nicht leicht, mit solchen Einschränkungen umzugehen“, sagt Saglam. „Trotzdem sind viele Menschen, die ich begleite, mega glücklich - das hat auch einiges an meiner Sichtweise geändert.“

Braucht Deutschland einen Gesellschaftsdienst nach der Schulzeit? Diese Frage wird seit Jahren intensiv diskutiert. Einer repräsentativen Umfrage im Auftrag des Malteser Hilfsdienstes zufolge ist eine Mehrheit der Bevölkerung eher dafür. Doch gerade die Hilfsorganisationen stehen einem solchen Pflichtdienst kritisch gegenüber - und schlagen Alternativen vor.

45 Prozent der unter 25-Jährigen sind für einen Pflichtdienst

Zwei Drittel der Deutschen sind laut der Umfrage, durchgeführt vom Meinungsforschungsinstitut YouGov, für ein verpflichtendes Dienstjahr nach dem Schulabschluss. „Demnach wäre ein solcher Dienst - ob sozial, ökologisch oder bei der Bundeswehr - für Schulabgängerinnen und Schulabgänger eine gute Möglichkeit, sich zu orientieren“, schreiben die Malteser. „Gleichzeitig würden Werte vermittelt und die Solidarität mit der Gesellschaft gestärkt.“

Der Zuspruch für einen verpflichtenden Gesellschaftsdienst nach der Schule variierte jedoch stark zwischen den Altersgruppen. Während sich bei den über 55-Jährigen sogar 73 Prozent für einen solchen Dienst aussprach, waren es bei den 18- bis 24-Jährigen 45 Prozent. „Bisher wurde uns übermittelt, dass die betroffene Altersgruppe der 18 bis 24-Jährigen aus gutem Grund gegen den verpflichtenden Dienst sind“, sagt Albrecht Prinz von Croy, Vizepräsident des Malteser-Hilfsdienstes. „Diese Aussage finde ich mit 45 Prozent Zustimmung nicht mehr haltbar.“

Malteser schlagen vierjährige Selbstverpflichtung vor

Trotzdem sei auch die eigene Organisation eher skeptisch, was die Einführung eines Pflichtjahres angeht. „Ich habe noch nie viel davon gehalten, Menschen zu etwas zu zwingen“, so von Croy. „Insbesondere, wenn es um die Hilfe an der Gesellschaft geht. Das halte ich für schwierig. Wenn man sich selber dafür entscheidet, dann arbeitet man meist sorgfältiger mit den Menschen.“

Albrecht Prinz von Croy, Vizepräsident der Malteser, bei einer Veranstaltung in der Malteser-Uniform

Albrecht Prinz von Croy, Vizepräsident der Malteser

Eine Einschätzung, die andere Hilfsorganisationen teilen. „Abgesehen von inhaltlichen und rechtlichen Einwänden wären die Umsetzungskosten eines Pflichtdienstes gewaltig“, schreibt das Deutsche Rote Kreuz. „Es ist paradox: Während die öffentliche Debatte um einen Pflichtdienst weiter geführt wird, gerät das von Trägern zivilgesellschaftlich organisierte FSJ unter Druck.“ Die Kosten würden steigen, Einsatzstellen hätten zunehmend Probleme, die notwendigen Eigenmittel aufzubringen. Gleichzeitig habe die Bundesregierung angekündigt, Mittel für die Freiwilligendienste zu reduzieren. Statt einer Reduzierung der Förderung fordert das DRK deshalb, die Gelder für Freiwillige zu erhöhen. 

Neben dem Freiwilligenjahr schlagen die Malteser eine vierjährige Selbstverpflichtung vor: Junge Menschen, aber auch interessierte Ältere müssten dafür eine vierwöchige Grundausbildung absolvieren. Anschließend verpflichten sie sich selber, das Pensum eines Freiwilligendienstes innerhalb von vier Jahren zu leisten. „Wir schaffen damit eine deutlich höhere Flexibilität“, sagt Prinz von Croy. „Man kann es berufsbegleitend und studienbegleitend machen.“ Dieses Programm soll ergänzend zum FSJ angeboten werden, nicht als Ersatz. „Die Ergebnisse unserer Umfrage zeigen, dass wir mit unserem Ansatz der Selbstverpflichtung, einem Mittelweg zwischen Freiwilligkeit und Pflicht, genau richtig liegen“, so von Croy. „Wir bieten eine leicht veränderte Lösung, indem die Freiwilligen ihren Dienst auf vier Jahre strecken.“

„Eine Pflicht dazu fände ich irgendwie aufdringlich“

Der Katastrophen- und Bevölkerungsschutz der Hilfsorganisationen sei schließlich ehrenamtlich geprägt. Albrecht Prinz von Croy sieht dies als „Ausdruck einer funktionierenden Gesellschaft"; das Ehrenamt biete niedrigschwellige Unterstützung, vielen Menschen falle es leichter, Hilfe von Ehrenamtlern anzunehmen als von staatlicher Seite. Doch allein mit FSJ lasse sich der Bedarf an Helfern nicht decken.  „Die Freiwilligendienstler kommen um neun Uhr und gehen um 16.30 Uhr.“ Die Ehrenamtler dagegen kämen erst um 17.30 und treffen sich am Wochenende. „Das ist keine Abwertung von einem der beiden Dienste. Wir brauchen beides“, sagt Prinz von Croy.

Beyza Saglam sagt, sie würde sich immer wieder für den Freiwilligendienst entscheiden. Und es sei eine Erfahrung, die sie anderen jungen Menschen weiterempfehlen würde. Von einem verpflichtenden Jahr hält sie trotzdem nicht viel. „Wenn es darum geht, Menschen zu helfen, sollte man auch Lust darauf haben“, sagt sie. Ansonsten sei man womöglich nicht fokussiert genug und nicht mit voller Energie dabei. „Eine Pflicht dazu fände ich irgendwie aufdringlich.“ Ihre freiwillige Entscheidung für ein soziales Jahr fühle sich für sie richtig an, sagt sie. Als würde man der Gesellschaft etwas Gutes tun. „Wenn es eine Pflicht wäre, dann ist das Gefühl vermutlich eher: Ja gut, das muss ich jetzt eh machen.“

KStA abonnieren