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Vorsichtiger OptimismusDer Wald in NRW verlässt die Intensivstation

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05.11.2024, Hessen, Schmitten: Eine Spaziergängerin läuft mit ihrem Hund durch den nebligen Herbstwald im Taunus. Nachts liegen die Temperaturen bereits spürbar unter dem Gefrierpunkt. Foto: Etienne Dötsch/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Eine Spaziergängerin läuft mit ihrem Hund durch den nebligen Herbstwald. Die NRW-Wälder erholen sich nach sieben Jahren langsam. Foto: dpa

Den Wäldern im Land geht es etwas besser. Buche, Eiche, Kiefer und Fichte haben sich nach Angaben von Fachleuten erholt.

Das ist die erste gute Nachricht, die aus den von Stürmen, Borkenkäfer-Plage, Fichtensterben und den Folgen des Klimawandels gestressten Wäldern in Nordrhein-Westfalen seit sieben Jahren zu vernehmen ist: „Der Patient Wald lag auf der Intensivstation und ist gerade entlassen worden. Er hat wieder etwas an Kraft gewonnen“, sagt Landwirtschaftsministerin Silke Gorißen (CDU) bei der Vorstellung des Waldzustandsberichts 2025 am Donnerstag in Düsseldorf. „Er befindet sich aber weiter unter Beobachtung. Wir müssen noch eine Menge mit ihm arbeiten.“

Ist das nur Wunschdenken oder woran machen die Experten das fest? Wir beantworten die wichtigsten Fragen.

Zunächst an den Zahlen. Gute Witterungsbedingungen, also vor allem die regenreichen Jahre 2023 und 2024 haben wegen der guten Versorgung mit Wasser für eine Erholung gesorgt. 29 Prozent der Bäume können in diesem Jahr mit gesunden und dichten Baumkronen aufwarten, das sind zwei Prozent mehr als 2024. Auch der Anteil der Bäume, deren Kronen nur leicht geschädigt oder – wie es in der Forstwirtschaft heißt – verlichtet sind, hat sich um drei auf 37 Prozent erhöht. Das mag nach wenig klingen, ist aber aus der Sicht der Fachleute ein Fortschritt. Schließlich ist die Anzahl der schwer geschädigten Bäume um fünf auf 34 Prozent gesunken.

Das ist immer noch mehr als ein Drittel. Und das soll ein Erfolg sein?

Ja. Weil es auch in diesem Jahr in der Vegetationszeit immer ausreichend geregnet hat, kann Forstexperte Ralf Petercord bei nahezu allen Baumarten und in allen Altersklassen von einer „allgemeinen Verbesserung“ sprechen. 2025 seien „die Niederschlagsmengen so gefallen, wie es die Bäume gebraucht haben“, sagt er. „Das war ein großes Glück und ist jetzt die Chance für den Wald, sich zu revitalisieren.“ Den deutlichsten Sprung macht die Buche mit plus acht Prozent, gefolgt von der Eiche mit fünf Prozent. Auch Kiefer und Fichte haben sich erholt. Bei den beiden Nadelhölzern ist der Anteil der gesunden Bäume um vier Prozent gestiegen.

Die Fichte galt nach der Borkenkäfer-Plage doch als verloren?

Das stimmt nur bedingt. Die riesigen Flächen mit Monokulturen vor allem im Sauerland sind verschwunden und werden auch so nicht wieder aufgeforstet. Im Bergischen Land und auch im Sauerland sind aber durchaus noch Fichten-Bestände in Mischwäldern vorhanden, die gute Überlebenschancen haben, so Petercord. Die Fichte konnte sich in den letzten Jahren „deutlich verbessern“, weil durch das Absterben vieler alter Bäume die jüngeren einen größeren Anteil am Gesamtbestand haben. Ein Trend gilt für alle Baumarten: Die jüngeren Altersklassen sind deutlich vitaler als die älteren.

ARCHIV - 24.10.2024, Nordrhein-Westfalen, Arnsberg: Silke Gorißen (CDU), Landwirtschaftsministerin von Nordrhein-Westfalen, macht sich ein Bild von den Inventur-Arbeiten im Wald.  (zu dpa: «Bericht: Wälder in NRW erholen sich schleppend») Foto: Dieter Menne/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Silke Gorißen (CDU), Landwirtschaftsministerin von Nordrhein-Westfalen, macht sich ein Bild von den Inventur-Arbeiten im Wald. Foto: dpa

Was bedeutet das? Stirbt die deutsche Eiche aus?

Nein. Aber der Trend, jung ist vitaler als alt, ist nicht nur positiv zu werten. Besonders kritisch ist die Lage bei alten Eichen, weil dort nur drei Prozent aller Bäume, die über 60 Jahre alt sind, keine Kronenschäden aufweisen. „Das beunruhigt uns schon“, sagt Petercord. „In Trockenperioden macht die Eiche etwas völlig Verrücktes. Sie wirft ihre kleinen Äste ab und schon sieht die Krone deutlich schlechter aus als ihr Zustand eigentlich ist. Das ist eine Trockenstressreaktion.“ Davon erholen sich ältere Eichen nur sehr langsam.

Wie sieht es mit der Vitalität der einzelnen Baumarten konkret aus?

Über alle Altersklassen haben nur noch drei Prozent der Eichen in den NRW-Wäldern eine völlig gesunde Krone. Und Schädlinge wie der Eichenkernkäfer warten schon. Bei der Buche sind es sechs, bei der Kiefer zehn und bei der Fichte elf Prozent. Das ist nach Auffassung der Experten auch eine Folge des Klimawandels und bedeutet, dass man sie nicht zu hoch bewerten sollte, was ihre Speicherleistung von CO2 betrifft.

Und die Buche?

Der geht es deutlich besser. 24 Prozent zeigen keine, 40 Prozent nur geringe Schäden.

Brauchen wir mehr junge Bäume, um die Klimaschutzleistung des Waldes zu stabilisieren?

Ja. Das Fichtensterben und die „Vorratsverluste waren vor allem in ökonomischer Hinsicht für die Waldbesitzer katastrophal“, so Petercord. „Für die Klimaschutzleistung des Waldes aber weniger. Aber die jungen Wälder wachsen, sind vital und können deshalb mit ihrer Leistung für den Klimaschutz den Klimawandel zumindest ein wenig abdämpfen.“

Was macht der Borkenkäfer? Wann droht die nächste Plage?

Seit 2018 hat NRW rund 139.000 Hektar Fichte verloren. Das ganze Holz möglichst schnell aus dem Wald zu holen, sei eine „enorme Kraftanstrengung gewesen“, sagt Tim Scherer, Leiter des Landesbetriebs Wald und Holz. Die Population des Borkenkäfers habe wieder ihr normales Niveau erreicht. „Heute beschränkt sich der Befall in der Regel auf einzelne Bäume.“ Die müsse man nur schnell genug aus Wäldern entfernen. „Das ist Alltagsgeschäft.“

Sieben Jahre nach dem Beginn des Fichtensterbens wird erkennbar, dass der Waldumbau erste Wirkungen zeigt. Der Wald wird jünger und reicher an Baumarten. Das zeigen auch die Ergebnisse der Landeswaldinventur. Die Fläche der Wälder, auf denen junge Bäume bis 20 Jahre wachsen, hat um gut 35.000 Hektar zugenommen. In dieser Altersklasse dominiert das Laubholz mit einem Anteil von 72 Prozent. Um diesen Erfolg zu verstetigen, ist in den kommenden Jahren eine besondere Pflege notwendig. „Wir arbeiten stetig daran, gesunde Mischwälder zu bekommen.“

Wer kommt für die Kosten auf?

Die Landesregierung hat die Waldbesitzer seit 2018 mit mehr als 160 Millionen Euro bei der Beseitigung der Waldschäden und der Wiederbewaldung unterstützt. 2025 wurden mehr als 16,5 Millionen Euro Fördergelder bereitgestellt, um vor allem die großen Schadflächen wieder zu bewalden. Bis Ende dieses Jahres werden damit sogenannte Kalamitätsflächen im Umfang von 15.000 Hektar wieder aufgeforstet. Das Programm wird auch 2026 fortgesetzt.

Drei regenreiche Jahre liegen hinter uns. Welche Folgen hätte eine erneute extreme Dürreperiode im kommenden Jahr?

„Das macht uns schon große Sorgen“, sagt Ministerin Gorißen. „Wir haben gedacht, dass der Wald vor Kraft doch fast schon strotzen muss. Leider nein. Ein Blick ins Wurzelwerk hat uns gezeigt, dass er sich nur langsam erholt.“ Jedes neue extreme Dürrejahr bedeute einen schweren Rückschlag vor allem für die Flächen, die gerade erst neu bewaldet wurden. „Wir sehen ja schon, was das für unsere Gärten bedeutet. Im Wald geht keiner mal eben mit dem Schlauch drüber. Die volle Sonne von oben und junge Bäume mit zarten Wurzeln, die kein Wasser von unten bekommen. Bei enormer Hitze werden die vertrocknen.“

Immer mehr Menschen zieht es in die Wälder. Was hat das für Folgen?

Die Meldungen der Regionalforstämter zu Schäden nehmen zu, so die Landwirtschaftsministerin. „Immer mehr Mountainbike-Fahrer rasen quer durch die Wälder ohne Rücksicht auf Verluste.“ Das gelte auch für das Abkippen von Müll. Nahezu alle Waldbrände seien auf Rauchen oder Grillen zurückzuführen. Auch Vandalismusschäden kämen immer wieder vor. „Da werden von sehr alten Bäumen die Rinden abgerissen, die dann erkranken und entfernt werden müssen.“ Das Landwirtschaftsministerium habe eigens neue Schilder mit Verhaltensregeln anfertigen lassen, „die jetzt überall aufgehängt werden“, so Gorißen.