Gesetze werden ignoriertWie das angebliche „Königreich Deutschland“ in den Kölner Raum drängt

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Peter Fitzek, selbsternannter Oberster Souverän und „König von Deutschland“, im Seitenporträt. Im Hintergrund sieht man ein Banner mit der Aufschrift „Königreich Deutschland“.

Peter Fitzek, selbsternannter Oberster Souverän und „König von Deutschland“

Peter Fitzek inszeniert sich als „König von Deutschland“. Was wie ein Spaß aussehen mag, beschäftigt seit Jahren Ermittler. Jetzt auch im Kölner Raum.

Im September 2012 wurde wieder ein „König von Deutschland“ gekrönt. Beziehungsweise: Er krönte sich selbst. Es sind skurrile Szenen, die in Videos noch immer im Internet kursieren. Peter Fitzek, Verschwörungstheoretiker, Koch und selbsternannter „Oberster Souverän“, schreitet auf einer Art Theaterbühne mit bedeutungsschwerer Miene zu einem Marmortisch und kniet nieder. Ein Anhänger legt ihm einen Hermelinmantel um, der ebenfalls wie die Requisite eines Schauspiels aussieht. Fitzek legt ein Schwert auf dem Tisch nieder, eine Frau in weißem T-Shirt reicht ihm „Reichsapfel und Zepter“, aus den Lautsprechern dröhnt eine Sinfonie von Strauss. Mitten in Sachsen-Anhalt ruft Fitzek einen Fantasiestaat aus: Das „Königreich Deutschland“, kurz KRD.

Seit elf Jahren sammelt Fitzek Esoteriker, Souveränisten und Verschwörungsideologen um sich, mit der Pandemie kamen auch Corona-Leugner dazu. Eine Ansammlung von Reichsbürgern will das selbsternannte Königreich nicht sein, auch wenn der Verfassungsschutz es unter genau dieser Kategorie führt.

Das „Königreich Deutschland“ wird in NRW aktiv

Lange konzentrierten sich die Aktionen des KRD auf die Lutherstadt Wittenberg in Sachsen-Anhalt. Doch der selbsternannte König will sein Reich expandieren: „Der Gemeinwohlstaat kommt nach NRW!“, schreibt das KRD auf seiner Webseite. Einige Firmen bezeichnen sich bereits als „Unternehmen im KRD“ und verstoßen mutmaßlich gegen Steuergesetze. Denn wer den Staat nicht anerkennt, hält sich meist nicht an dessen Regeln.

KRD: Eine sektenähnliche Gemeinschaft

„Das Königreich Deutschland lässt sich ins souveränistische Milieu einordnen“, sagt der Politikwissenschaftler Jan Rathje. Mit der Bewegung um Peter Fitzek beschäftigt er sich bereits seit der Gründung vor mehr als zehn Jahren. Souveränistisch bedeutet: Die Mitglieder des KRD glauben, die Bundesrepublik Deutschland sei kein souveräner Staat, sondern noch immer besetztes Gebiet. Deshalb, so die Logik der Monarchisten, könne man innerhalb der Bundesrepublik einen solchen „souveränen“ Staat gründen.

„Das Königreich Deutschland teilt die Grundauffassung, dass die Deutschen von einer geheimen Macht beherrscht werden, die im Hintergrund die Fäden zieht und auf die Vernichtung des deutschen Volkes abzielt“, so Rathje. „Es ist bisher nicht vornehmlich durch Gewalttaten aufgefallen, aber unterhält gute Kontakte zu Menschen, die dem rechtsextremen Spektrum zugeordnet werden.“ Fitzek hält beispielsweise die Grenzen von 1937 für die „völkerrechtlich behaupteten Grenzen des deutschen Staates“. Innerhalb der Reichsbürgerszene gibt es verschiedene Ideen, wie ein neuer Staat aussehen soll. Manche wollen ein viertes Reich, andere eine Rückkehr der Kaiserfamilie, die Wahl eines neuen Königs.

Sachsen-Anhalt, Wittenberg: Das Logo des «Königreich Deutschland» prangt am Fenster eines Pförtnerhauses.

Sachsen-Anhalt, Wittenberg: Das Logo des „Königreich Deutschland“ prangt am Fenster eines Pförtnerhauses. Die umgedrehte Deutschlandfahne in dem Logo gilt als Erkennungszeichen der Reichsbürger.

Fitzek selbst – oder Peter I., wie er sich nennt – bezeichnet das KRD als „basisdemokratische Wahlmonarchie“, der „König von Deutschland“ wird auf Lebenszeit gewählt. In dieser Struktur ist er der „oberste Souverän“ – der, der letztendlich die Entscheidungen trifft, bis der erste König von einem „Staatsrat“ offiziell gewählt wird. Der Verfassungsschutz spricht von einem Personenkult um Fitzek, von einer sektenähnlichen Gemeinschaft, die er um sich aufgebaut habe. Er könne Menschen so für sich einnehmen, dass sie kostenlos KRD-Gebäude renovieren, hunderte Euro für Seminare ausgeben und große Geldmengen spenden. Eine Anfrage dieser Zeitung an Peter Fitzek, wie hoch die Summe an Spenden an das KRD ist, ließ er unbeantwortet.

Das „Königreich Deutschland“ ist eine der mitgliederstärksten Bewegungen der deutschen Reichsbürgerszene. Laut eigenen Angaben hat es rund 5000 Anhänger, etwa 710 davon seien „Staatsangehörige“. Insgesamt zählte der Verfassungsschutz bundesweit 2022 rund 23.000 Reichsbürger – ein Anstieg um zehn Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Seminare für den angeblichen Ausstieg aus der Bundesrepublik in NRW

Der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz schreibt in seinem Bericht von aktuell 3400 Reichsbürgern und Selbstverwaltern in dem Bundesland. Ein Mann, der diese Entwicklung in NRW vorantreibt, ist Holger Wiese. In einem Film des selbsternannten Königreichs wird er bei seiner Ausbildung zum „Vortragsredner“ begleitet. Wiese zeigt, wie er die selbstgeschriebene „Verfassung“ studiert, wie er lernt, Betriebe angeblich außerhalb des deutschen Rechtssystems zu führen. Alles nach den Vorstellungen des Monarchen Fitzek natürlich. „Explodieren wird das“, sagt Wiese in dem Video. „Ich bin total elektrisch.“

Wer die Bewegung nicht kennt, könnte beim Schauen des Videos schnell denken, es handele sich beim KRD um eine harmlose Organisation, die scheinbar ohne Probleme nach eigenen Gesetzen handelt. Dass die Anhänger im Zweifelsfall handfeste Konsequenzen erwarten, dass das KRD scheinbar einen rechtsnationalen Parallelstaat aufbauen will, wird nicht erwähnt.

Der Aufbau dieser Strukturen in NRW hat längst begonnen. Seit Herbst 2022 finden regelmäßig Treffen der Bewegung statt, die ersten davon in Bottrop. Im Mai 2023 organisierte das KRD ein Einsteigerseminar im Raum Bergisch Gladbach. In der Seminarbeschreibung wird von „Freiheit“ und „Selbstbestimmung“ gesprochen, aber dahinter verbirgt sich vor allem eins: Den Eintritt in den Fantasiestaat von Peter Fitzek.

Die Kung-Fu-Schule "Campus Concept" in Düsseldorf

Die Kung-Fu-Schule Campus Concept in Düsseldorf

Holger Wiese engagiert sich in der Kung-Fu-Schule „Campus Concept“ an der Düsseldorfer Kreuzstraße. Das Studio liegt an einer Straßenecke der Innenstadt, neben einem Tattoostudio und Cafés. „Campus Concept“ ist das einzige KRD-Unternehmen, das im Verfassungsschutzbericht NRW 2022 auftaucht. Im Schaufenster stehen mehrere weiße Schilder: „Zutritt nur für Staatsangehörige und -zugehörige des Königreiches Deutschland“, steht dort. „Anträge auf Zugehörigkeit hier erhältlich.“ Das KRD differenziert zwischen der „Staatszugehörigkeit“, durch die Leistungen des KRD genutzt werden können, und „Staatsangehörigkeit“, mit der man Teil des „Staatsvolks“ wird.

Hinweis an der Eingangstür zum Kampfsportstudio "Campus Concept" in Düsseldorf

Hinweis an der Eingangstür zum Kampfsportstudio Campus Concept in Düsseldorf

Ein Elternpaar, dessen Kind bis vor kurzem in dem Studio trainiert hat, sagt im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“, nichts von den Verbindungen des Clubs gewusst zu haben. Das Ehepaar möchte anonym bleiben, sie sind zugezogen. Das Gespräch findet auf Englisch statt, den Begriff „Reichsbürger“ kennen sie nicht. „Ich hatte nie den Eindruck, dass Kevin den Kindern seine Meinung aufdrängen wollte“, erzählen sie. Gemeint ist Inhaber Kevin Mender. Die Eltern erinnern sich aber an eine Szene, die ihnen im Nachhinein merkwürdig vorkommt. Ganz am Anfang, als sie ihr Kind anmeldeten, habe man ihnen einen Vertrag vorgelegt. Oben auf dem Papier hätten drei Buchstaben gestanden: KRD, die Abkürzung für „Königreich Deutschland“. Außerdem erzählen sie, wie Mender von „besonderen Strukturen“ gesprochen habe – was er damit meinte, war ihnen damals nicht klar. Auch Kevin Mender und Holger Wiese antworteten eine Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“ nicht.  

„Gemeinwohlkassen“ – Illegale Versicherungsgeschäfte in NRW?

Das Königreich Deutschland versucht, komplette gesellschaftliche Parallelstrukturen aufzubauen: Einen alternativen digitalen Marktplatz mit eigener Währung, vermeintlich alternative Kranken- und Rentenkassen. Neben der Kampfsportschule, die mutmaßlich als Stützpunkt der Bewegung in NRW dient, existieren laut Website des „Königreich Deutschland“ auch zwei sogenannte Gemeinwohlkassen in Düsseldorf. Unter diesem Namen betreibt Peter Fitzek seine eigene Krankenversicherung. Auch in Lechenich, Mülheim an der Ruhr und Fröndenberg soll es laut der Internetseite Filialen geben. Weil ihm aber die benötigten Lizenzen der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) fehlen, griff diese im Februar 2023 durch und schloss bundesweit mehrere dieser Filialen – unter anderem eine im nordrhein-westfälischen Menden, nicht aber die in Düsseldorf.

Blick auf eine Filiale der „Gemeinwohlkasse“

Eine Filiale der „Gemeinwohlkasse“

Solche Vorgänge sind nicht neu. Die Bafin liefert sich schon seit vielen Jahren ein Katz-und-Maus-Spiel mit Fitzek: Immer wieder geht die Behörde gegen eine Filiale von Fitzek vor, dieser ignoriert die Verwarngelder und sonstigen Maßnahmen und benennt seine Geschäfte einfach um. Die Bankengeschäfte der Bewegung liefen zunächst unter dem Namen „Kooperationskasse“, hießen dann „Königliche Reichsbank“ und später „Gemeinwohlkasse“.

Wieso kann so jemand einfach weitermachen, als gäbe es die Gesetze nicht?
Ermittler

Die Aktivitäten des selbsternannten Monarchen bleiben nicht immer ohne Folgen. Fitzek saß wegen seiner illegalen Krankenversicherungsgeschäfte und anderer Vergehen zwischen Oktober 2018 und Februar 2019 im Gefängnis. Ein weiteres Verfahren wegen Untreue und illegaler Bankengeschäfte vor dem Landgericht Halle liegt jedoch derzeit auf Eis – der Bundesgerichtshof hatte das Urteil zu drei Jahren und acht Monaten Haft aufgehoben. Seitdem steht ein weiteres Urteil aus.

Der selbst ernannte „König von Deutschland“, Peter Fitzek, betritt am 20.10.2016 in Handschellen den Gerichtssaal im Landgericht in Halle/Saale (Sachsen-Anhalt).

Der selbst ernannte „König von Deutschland“, Peter Fitzek, betritt am 20. Oktober 2016 in Handschellen den Gerichtssaal im Landgericht in Halle/Saale.

Ein zuständiger Beamter, der sich seit Jahren mit den illegalen Geschäften Fitzeks befasst, hat anonym mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ gesprochen. Er kann nicht nachvollziehen, dass Fitzek auch nach all den Jahren und Verfahren einfach weitermachen kann: „Wieso kann jemand, der das Aufsichtsrecht seit Jahren bewusst ignoriert und deswegen sogar schon einschlägig vorbestraft ist, ohne weitere strafrechtliche Konsequenzen einfach weitermachen, als gäbe es die Gesetze nicht?“

Natürlich sei es anstrengend, mit jemandem wie Fitzek umzugehen, der seit Jahren vorsätzlich gegen deutsches Recht verstoße, sagt er. Das könnten die zuständigen Behörden nicht hinnehmen, zumal Fitzek sich hiermit strafbar mache. Er habe jedoch den Eindruck, dass der Wille, Fitzek in die Schranken zu weisen, nicht in allen dafür zuständigen Behörden stark genug ausgeprägt sei.

Dutzende Betriebe in NRW ordnen sich als „Unternehmen im KRD“ zu

Es ist nicht nur der „Oberste Souverän” selbst, der versucht, jenseits des Rechtssystems in Deutschland wirtschaftlich aktiv zu sein. Für Interessierte gab es im Mai in Oberkassel einen Workshop zur „Betriebsgründung im KRD“. Alleine in Nordrhein-Westfalen ordnen sich laut einer Liste, die dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ vorliegt, über ein Dutzend Kleinunternehmen dem Königreich Deutschland zu. Verstecken tun sie es nicht: „Wir weisen darauf hin, dass Sie für die Dauer der Geschäftsbeziehung (...) eine Zugehörigkeit zum Königreich Deutschland (KRD) besitzen“, steht in jedem dieser Impressen. „Sie nutzen damit die Verfassung, die Gesetze und Gerichtsbarkeit des KRD, die Sie bei rechtlichen Streitigkeiten erstrangig zu wählen haben.“

Ein Unternehmen, das mitten in Deutschland außerhalb der Gesetze der Bundesrepublik agieren will – geht das überhaupt? Behaupten darf man es, sagt Christoph Schönberger, Professor für Staatsrecht an der Uni Köln. „Jeder kann Fantasien haben, wie er möchte. Es kann aber sein, dass das Handeln, was in solchen Unternehmen geschieht, nach der Rechtsordnung der Bundesrepublik rechtswidrig ist. Deshalb ist hier das Konfliktpotenzial sehr groß.“ Die angebliche Rechtsordnung des KRD sei dabei völlig irrelevant.

Eine Unternehmerin sagt, Deutschland sei seit dem Zweiten Weltkrieg kein souveräner Staat

Am offensichtlichsten macht es eine KRD-Anhängerin aus Bonn: „Ein Unternehmen im Königreich Deutschland arbeitet steuerfrei und kann dadurch seine Produkte und Dienstleistungen günstiger anbieten“, schreibt sie auf ihrer Webseite. Sie behauptet, Deutschland sei seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs kein souveräner Staat, sondern werde noch immer von den Alliierten verwaltet. Deshalb gelte die KRD-Rechtsordnung als Alternative dazu.

Auch auf seiner Webseite wirbt Fitzek, Betriebe im „Rechtekreis der KRD“ steuerfrei zu eröffnen. „Das ist ein großes Versprechen des KRD”, erklärt Schönberger. Während der Pandemie hätten sie Gastronomen umworben, mit dem skurrilen Versprechen, die Corona-Maßnahmen bei einem Staatsbeitritt zum Königreich nicht mehr einhalten zu müssen. „Das ist natürlich nicht richtig. Auch selbsternannte Angehörige des KRD müssen Steuern zahlen und wenn man es nicht tut, hat man entsprechende Verfahren bis hin zu Strafprozessen wegen Steuerhinterziehung am Hals.“

Ankündigung, keine Steuern zu zahlen, ist für die Behörden irrelevant

Was machen also Behörden, wenn eine Person online schreibt, sie müsse wegen der Zugehörigkeit zum KRD keine Steuern zahlen? „Erst einmal lachen“, sagte ein Staatsanwalt in einem Hintergrundgespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Viel mehr passiert laut dem Experten Schönberger tatsächlich erst einmal nicht. „Unsere Behörden sind ja nicht permanent damit beschäftigt zu prüfen, ob Unternehmen reichsbürgertypische Erklärungen von sich geben“, so der Rechtswissenschaftler. Und selbst wenn: Eine Ankündigung, keine Steuern zu zahlen, sei für die Steuerbehörden irrelevant. Es wird erst ernst, wenn die entsprechenden Unternehmen oder Personen tatsächlich keine Steuern zahlen. Wenn bei dem Finanzamt keine Steuererklärung eingeht, dann gelten die normalen Mechanismen – von Briefen über Vollzug und Gericht.

Alles Idioten? So jedenfalls sieht häufig die Kommentarspalte bei unabhängigen Dokumentationen zum KRD aus. Ein selbsternannter „König von Deutschland“ im Hermelinmantel, der hartnäckig behauptet, über den Gesetzen der Bundesrepublik zu stehen, und Unternehmer, die Steuerhinterziehung im Impressum ankündigen – das alles finden viele Zuschauer eher amüsant als besorgniserregend.

Doch während sich mancher im Netz über das KRD lustig macht, schaffen seine Anhänger Fakten. Sie hantieren mit hohen Geldsummen, kaufen Immobilien, bauen einen professionellen Internetauftritt auf. Und wie mancher Reichsbürger auf staatliche Gegenmaßnahmen reagiert, zeigte sich bei der bundesweiten Razzia um die Anhänger von „Prinz Reuß“ im März dieses Jahres: Es fiel ein Schuss, ein SEK-Beamter wurde verletzt. Auch wenn das KRD nicht explizit zur Gewalt aufruft, heißt es in der eigenen Verfassung, dass jedem Deutschen grundlegendes Wissen über Selbstverteidigung vermittelt werden soll – auch mit Waffen.

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