Ein SPD-Bürgerforum warf Fragen möglicher Vorteilsnahme auf. In sozialen Netzwerken wurde vor allem ein Interview-Video bekannt.
„Ein ortsüblicher Preis gezahlt“Politiker wird unfreiwillig mit kuriosem Interview bekannt – SPD wehrt sich

Fraktion in Mecklenburg-Vorpommern: Vorsitzender Julian Barlen (l) und parlamentarischer Geschäftsführer Philipp da Cunha (r) in einer Sitzung. Ein Interview mit da Cunha zu einem SPD-Bürgerforum wurde ein viraler Hit. (Symbolbild)
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Die Szene wirkt zunächst wie politischer Alltag: Ein Reporter des Norddeutschen Rundfunk (NDR) stellt dem SPD-Abgeordneten Philipp da Cunha eine Frage zu einer Partei-Veranstaltung. Da Cunha, der seit 2016 Landtagsabgeordneter in Mecklenburg-Vorpommern ist, antwortet sachlich, die Antworten wirken bedacht und abgestimmt.
Doch der Frage, wie viel das Bürgerforum denn gekostet habe, weicht der Sozialdemokrat immer wieder aus. Nun kursierte in sozialen Netzwerken wie Twitter ein fast vierminütiger Video-Clip des Interviews – und verhalf dem SPD-Abgeordneten zu unfreiwilliger Berühmtheit.
Denn immer wieder beruft sich da Cunha auf seine – offenbar vorher einstudierten – Antworten. Er erzählt, dass man einen guten Austausch mit den Bürgerinnen und Bürgern gehabt habe, dass der Veranstaltungsort Golchener Hof, einem Vier-Sterne-Hotel, nicht die erste Wahl gewesen sei und dass ein „ortsüblicher Preis“ bezahlt worden sei. Aber konkrete Zahlen zum Preis? Keine Auskunft.
SPD-Bürgerdialog im Golchener Hof: Landtagsfraktion weist Vorwürfe zurück und wehrt sich gegen NDR
Hintergrund des nun viral gegangenen Videoclips ist das Bürgerforum, das die SPD-Landtagsfraktion bereits am 27. Juni im „Golchener Hof“ ausgerichtet hatte. Rund 200 Gäste kamen zu der SPD-Veranstaltung, darunter laut „NDR“ auch Ministerpräsidentin Manuela Schwesig. Der NDR berichtete weiter, dass Essen und Getränke für Gäste kostenlos waren – bezahlt offenbar vom Steuerzahler.
Kritik wurde lauter, weil es möglicherweise eine Vorteilsnahme zwischen SPD-Fraktion und der Event-Location gegeben haben könnte. So führte das Partei-Profil von Christine Klingohr (SPD) von ihrer Webseite direkt zum Golchener Hof, auf der Homepage des Landtags gibt Klingohr unter „berufliche Funktionen“ an: Aufbau des Golchener Hofes. Klingohrs Ehemann soll der Besitzer des Vier-Sterne-Hotels sein. Die NDR-Berichterstattung legte nahe, dass eine Absprache gegeben haben könnte.
Die SPD wehrte sich gegen die Berichterstattung und wies den Vorwurf der Vorteilsnahme zurück. Der NDR rücke das SPD-Bürgerforum in ein „übles Licht“, teilte die Fraktion mit. Sie betonte außerdem die positiven Auswirkungen des Bürgerdialogs. Die Sozialdemokraten verteidigten ihre Abgeordnete Klingohr und bekräftigten – wie auch Philipp da Cunha im viralen Video – dass man sich erst für das Vier-Sterne-Hotel Golchener Hof entschieden habe, als es von einem anderen Veranstaltungsort eine Absage gab.
Virales Video auf Twitter: SPD-Abgeordneter zieht Spott von Nutzerinnen und Nutzern auf sich
Die Hintergründe des Vorfalls wurden von vielen Nutzerinnen und Nutzern in sozialen Netzwerken wie Twitter nur beiläufig beachtet. Vor allem in den vergangenen Tagen wurde der vierminütige Videoclip des Interviews vielfach geteilt und kommentiert – und hat schon eigene Memes hervorgebracht.
So wurden die Sätze des SPD-Abgeordneten da Cunha, die er immer wieder wiederholte, vielfach in die Kommentare und Timelines gespült. Viele Userinnen und User kritisierten das stoische Verhalten des Politikers: „Man wird wirklich von Sekunde zu Sekunde dieser Nicht-Antwort politikverdrossener“, schrieb etwa Journalist Julius Betschka. „Das ist doch von Loriot geschrieben“, kommentierte ein anderer Nutzer den Videoclip. Manche User warfen dem SPD-Mann vor, er würde „scholzen“ – die Wortschöpfung beschreibt diffamierend die Redensart von Kanzler Olaf Scholz, der ebenfalls häufig Fragen ausweicht.
Gert Wöllmann, FDP-Landesvorstand in Hamburg, warf ein, dass es sich bei dem Interview um ein bewusstes Vorgehen handelt. So wisse der SPD-Politiker genau, dass etwa für einen TV-Beitrag nicht der gesamte Videoclip ausgestrahlt werde, sondern lediglich ein Ausschnitt. So bleibe beim Zuschauer nur die Botschaft, die der SPD-Politiker auch transportieren will – auch „Message Control“ genannt . Die unfreiwillige Komik des Clips durch die ständigen Wiederholungen werde damit ausgeblendet.
Mittlerweile hat auch der SPD-Fraktionsvorsitzende, Julian Barlen, das vermeintliche Rätsel gelöst: Das SPD-Event im Golchener Hof kostetet rund 15.000 Euro. (mab)