Irreführende Fotos bei XWie Björn Höcke die Demos gegen rechts mit Desinformationen kleiner machen will

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Björn Höcke, AfD-Landeschef, sitzt im Saal des Hotel Pfiffelburg während des Landesparteitags der AfD.

Auch Björn Höcke stellte auf X Behauptungen auf. (Archivbild)

In den sozialen Netzwerken versuchen Akteure, die Teilnehmerzahlen der Demos gegen rechts in Zweifel zu ziehen. 

Nach den Demonstrationen gegen Rechtsextremismus mit deutschlandweit etwa 300.000 Teilnehmenden hat in den sozialen Medien ein Kampf um die Deutung der Proteste begonnen. AfD-Politiker und ihre Anhängerinnen und Anhänger ziehen in Dutzenden Social-Media-Beiträgen die Teilnehmerzahlen der Demonstrationen in Zweifel. Genutzt werden dafür mitunter irreführende Fotos.

In einem prominenten Beispiel geht es um die Demonstration in Hamburg, zu der laut der Organisatoren am Freitag etwa 80.000 Menschen gekommen waren. Blogger und Internetpersönlichkeiten der rechten Szene stellen in Posts zwei verschiedene Bilder des Hamburger Jungfernstiegs gegenüber – das eine wurde vom Hamburger Senat auf der Plattform X gepostet, das andere vom ZDF. Auf der Collage rot eingekringelt ist eine Auffälligkeit: Auf dem Senatsfoto sieht man am linken Bildrand das Wasser der Alster, auf dem ZDF-Foto sieht man dort nur eine Menschenmasse.

Die Akteure drehen auf X daraus nun eine Verschwörungstheorie: Die Alster sei wegretuschiert worden, stattdessen seien Menschenmassen per Photoshop ins Bild gezaubert worden, so der Vorwurf. Die Erzählung ist auch zum Thüringer AfD-Chef Björn Höcke vorgedrungen: Er postete das Bild am Samstag auf X mit der spöttischen Textzeile: „Die Demonstration in Hamburg war lauf ZDF so überfüllt, daß die Menschen sogar in der Alster stehen mussten …“ In der Bildüberschrift spricht Höcke von „Bildmanipulationen“ und fragt Medien: „Warum haben sie das nötig?“

Ein Bild, zwei Perspektiven

Tatsächlich wird auf den zweiten Blick schnell klar, warum sich die beiden Fotos so unterscheiden – und warum auf dem ZDF-Foto die Alster nicht sichtbar ist: Die Bilder wurden aus verschiedenen Blickwinkeln aufgenommen. Das Senatsfoto wurde hoch oben in der Luft geschossen, das ZDF-Bild deutlich näher am Boden. Die Menschenmasse wirkt auf letzterem Foto dadurch gewaltiger, breiter – und die Alster am linken Bildrand ist wegen der Perspektive kaum zu erkennen.

Die Urheberin des ZDF-Fotos, die Nachrichtenagentur dpa, hatte am Samstag unmittelbar auf den Höcke-Beitrag reagiert. „Es handelt sich bei dem von @ZDFheute veröffentlichten Bild um ein Original-@dpa-Foto, an dem selbstverständlich nichts manipuliert wurde“, schrieben die Journalistinnen und Journalisten auf X.

Gelöscht oder korrigiert wurde der Beitrag des Thüringer AfD-Chefs seither nicht. Auf eine Anfrage des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND), ob dies noch geplant sei, antwortete Höcke am Sonntag zunächst nicht. Verbreitet wurde die Desinformation auch von anderen AfD-Politikern, darunter etwa der ehemalige Fraktionsvorsitzende im Berliner Abgeordnetenhaus Georg Pazderski.

Angebliche „Fakes“ sind schnell erklärbar

Von Posts dieser Art sind derzeit mehrere im Umlauf. In einem oft geteilten Beitrag etwa behaupten User, auf einer Luftaufnahme aus Münster seien Hinweise auf Manipulationen zu erkennen. Der Urheber des Bildes erklärte die auffälligen Bildartefakte später auf X mit einem technischen Problem: Er habe ein Panoramabild in Photoshop erstellen wollen und dieses mit vier einzelnen Bildern gefüttert – das Programm habe dann „Murks“ gemacht. Der Domplatz in Münster war am Freitag aber tatsächlich sehr voll: 20.000 Menschen kamen nach Angaben der Polizei.

In einem anderen Post behauptet ein User, das Foto eines Instagram-Fotografen aus Köln sei in Wirklichkeit mit KI erstellt worden. Der Grund: Auf dem Bild sei mitten im Winter ein grüner Baum zu sehen. Tatsächlich hatte der Fotograf auf seinem Instagram-Account nicht nur Fotos, sondern auch eine Videoaufnahme geteilt. Sie zeigt: Auf dem Heumarkt waren am Dienstag tatsächlich sehr viele Menschen – nach offiziellen Angaben der Polizei kamen rund 30.000. Der Baum auf dem Foto trägt derweil gar keine Blätter – er wird nur durch grüne Beleuchtung angestrahlt.

Eine weitere oft verbreitete Szene zeigt wieder den Jungfernstieg in Hamburg. Auf der Collage eines Bloggers sind zwei Bilder gegenübergestellt. Das obere zeigt den Jungfernstieg mit relativ wenigen Menschen, das untere einen angeblichen Fake mit vielen Menschen. Als vermeintlichen Beweis führt der Nutzer an, dass das Eis auf der Alster im zweiten Bild nicht mehr sichtbar sei, im ersten aber schon. Bei dem vermeintlichen Fake-Foto handelt es sich einmal mehr um das Foto des Hamburger Senats. Die Herkunft des ersten Bildes ist nicht ganz klar. Vieles spricht aber dafür, dass es zu einem früheren Zeitpunkt aufgenommen wurde – und das Eis zwischenzeitlich geschmolzen ist.

X hat ein Problem mit Desinformationen

Gezielte Desinformationen in den sozialen Medien haben sich in den vergangenen Jahren zu einem immer größer werdenden Problem entwickelt. Auch der Verfassungsschutz warnt inzwischen davor. Der frühere Niedersächsische Verfassungsschutzpräsident Bernhard Witthaut sieht in Fake News eine zentrale Herausforderung für die Sicherheitsbehörden und nannte 2022 gegenüber der dpa mitunter Rechtsextremisten, die sogenannte „Querdenker“-Szene, aber auch Russland als Akteure. Das Land setzt Desinformationen auch zur hybriden Kriegsführung ein, um Gesellschaften und das politische System zu destabilisieren.

Insbesondere die Plattform X war nach der Übernahme durch den Techmilliardär Elon Musk wegen immer neuer Fälle von Desinformation in die Kritik geraten. Die EU‑Kommission hatte den Dienst im Oktober wegen der Verbreitung von Falschinformationen im Zusammenhang mit dem Krieg zwischen Israel und der Hamas verwarnt, später leitete sie ein Verfahren wegen der „Verbreitung illegaler Inhalte“ ein.

Ob die Plattform X gegen die irreführenden Fotos zu den deutschen Demos vorgehen will, bleibt unklar. Auf eine Anfrage des RND verschickte der Dienst am Sonntag nur eine automatische Antwort: „Busy now, please check back later“ – „Im Moment beschäftigt, bitte versuchen Sie es später.“

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