Nach der Blockade des Bürgergelds wird scharfe Kritik an der Union laut – nicht nur von politischen Konkurrenten. Zustimmung für die Haltung der Christdemokraten gibt es derweil von der AfD.
Nach Abstimmung im Bundesrat„Soziale Kälte“ – Scharfe Kritik an Union wegen Bürgergeld-Blockade

Friedrich Merz, CDU-Bundesvorsitzender, verfolgt eine Debatte im Bundestag. Am Montag hat die Union das Bürgergeld im Bundesrat blockiert. (Archivbild)
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Das Bürgergeld der Ampel-Koalition ist vorerst gestoppt. In einer Sondersitzung des Bundesrats erhielt der Gesetzentwurf für die Sozialreform am Montag nicht die erforderliche Mehrheit. Damit kann die zum 1. Januar geplante Sozialreform vorerst nicht in Kraft treten.
Wie zuvor angekündigt, verweigerten mehrere Landesregierungen unter Führung beziehungsweise mit Beteiligung der Union dem Vorhaben ihre Zustimmung. Nach der Abstimmung wurde scharfe Kritik an der Haltung von CDU und CSU laut.
„Die Union hat kein Interesse daran, dass es Menschen, die wenig haben, zukünftig etwas leichter haben. Die Union hat kein Interesse daran, Menschen auf den Arbeitsmarkt zu bringen. Die Union hat kein Interesse daran, Armut zu bekämpfen“, kritisierte die Aachener SPD-Politikerin Ye-One Rhie auf Twitter. „Sie hat nur an sich Interesse.“
Kritik an Bürgergeld-Blockade: „Union zeigt Verachtung für in Not geratene Menschen“
Auch die „Jusos“ kritisierten die Ablehnung von CDU und CSU mit scharfen Worten. „Die Union zeigt im Bundesrat ihre Verachtung für in Not geratene Menschen“, hieß es bei der SPD-Jugendorganisation. „Sie verweigern Menschen Respekt“, kommentierte unterdessen die SPD-Bundestagsabgeordnete Josephine Ortleb.
Grünen-Politiker machten ihrem Ärger über das Veto ebenfalls Luft. „Falls ihr euch wundert, warum es heute so kalt ist: Das ist die soziale Kälte der Union zum Bürgergeld“, schrieb der Bundessprecher der „Grünen Jugend“, Timon Dzienus bei Twitter. Parteichefin Ricarda Lang hatte die Blockade-Haltung der Union bereits vor der Abstimmung kritisiert.
Bürgergeld: Linke mit scharfer Kritik an Union, AfD freut sich über Blockade
Von den weiteren Oppositionsparteien gab es unterschiedliche Reaktionen. Die Linken äußerten scharfe Kritik in Richtung der Union. „Stell dir vor du hast 16 Jahre lang regiert, bist jetzt die größte Oppositionspartei und nutzt deine ganze Energie dafür, armen Menschen noch den letzten Cent zu neiden und die Gesellschaft mit Fakenews übers Bürgergeld zu spalten“, schrieb das Vorstandmitglied der Linken-Fraktion, Heidi Reichinek, auf Twitter und fragte in Richtung der Union: „Fühlt man da noch was?“
Lob für die Blockade der Union gab es unterdessen von der AfD. Es sei „ein guter Tag für unser Sozialsystem“, erklärte Parteichefin Alice Weidel auf Twitter. Auch von den Freien Wählern in Bayern gab es Zustimmung. Ein Bürgergeld „ohne Sanktionen gegen arbeitsfähige Arbeitsunwillige ist unsozial“, erklärte Parteichef Hubert Aiwanger. CSU-Chef Markus Söder hatte das Bürgergeld bereits vor der Abstimmung als „sozial ungerecht“ bezeichnet.
Ökonom widerspricht Söder bei Bürgergeld: „Unsoziale Definition von ‚sozialer Gerechtigkeit‘“
Kritik an der Haltung der Union entbrannte am Montag auch außerhalb der politischen Arena. Ulrich Schneider, Geschäftsführer des Deutschen Paritätischen Wohlfahrverbands, warf der Union vor, mit ihrer Haltung ihrer „staatspolitischen Verantwortung“ nicht gerecht zu werden. In „diesen Zeiten“ brauche es „Solidarität“.
„Wenn die Politik mehr Gerechtigkeit für Beschäftigte mit geringen Einkommen möchte, dann sollte sie besser deren Einkommen erhöhen und Abgaben senken“, hatte der Ökonom Marcel Fratzscher zudem bereits vor der Abstimmung die Blockade-Haltung der Union kritisiert und Söder direkt widersprochen. „Der Entzug von Leistungen und Chancen für Bezieher des Bürgergelds ist eine unsoziale Definition von ‚sozialer Gerechtigkeit‘“, erklärte der Ökonom auf Twitter.
Bürgergeld: Arbeitsminister Heil will Vermittlungsausschuss anrufen
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) kündigte unterdessen bereits kurz vor der Abstimmung im Bundesrat an, dass die Bundesregierung noch an diesem Montag den Vermittlungsausschuss anrufen werde. Der gemeinsame Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat solle dann möglichst zeitnah einen Kompromiss zu dem Gesetzentwurf erarbeiten. Bis Ende November müsse das Gesetz in beiden Kammern beschlossen sein, um zum 1. Januar in Kraft treten zu können, bekräftigte Heil. Zuvor hatte der Minister noch einmal eindringlich dafür geworben, das Bürgergeld nicht scheitern zu lassen.
Mit dem neuen Bürgergeld soll das umstrittene System Hartz-IV überwunden werden. Die Ampel-Pläne sehen für alleinstehende Leistungsempfänger eine Erhöhung des heutigen Regelsatzes von 449 Euro auf 502 Euro vor. Das ist unstrittig und wird auch von der Union befürwortet. Arbeitslose sollen zudem künftig weniger durch einen angedrohten Leistungsentzug (Sanktionen) unter Druck gesetzt werden, speziell im ersten halben Jahr des Bürgergeldbezugs („Vertrauenszeit“). Vorgaben zur erlaubten Vermögenshöhe und zur Wohnungsgröße bei Leistungsbeziehern will die Ampel lockern. Bei all diesen Punkten hält die Union seit Wochen ihr Stoppschild hoch. Dass es bei der Reform zu einem Vermittlungsverfahren kommen sollte, hatte sich in den vergangenen Tagen immer stärker abgezeichnet.
Der Bundestag hatte den Entwurf zum Bürgergeld am vergangenen Donnerstag mit der Mehrheit der Regierungsfraktionen von SPD, Grünen und FDP verabschiedet. Dem vorausgegangen war eine heftige Parlamentsdebatte. Einen Vorschlag der Union, die Erhöhung der Regelsätze aus dem Entwurf auszukoppeln und separat zum 1. Januar in Kraft treten zu lassen, hatten die Ampelfraktionen im Bundestag abgelehnt. (mit dpa)