SPD-Chef Lars Klingbeil im Interview„Niemand im politischen Berlin redet so viel über das Gendern wie Friedrich Merz“

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Lars Klingbeil (SPD) ist Bundesvorsitzender der SPD

Lars Klingbeil (SPD) ist Bundesvorsitzender der SPD

Der Politiker will den Streit ums Elterngeld anders lösen – und warnt vor einer Normalisierung rechten Gedankenguts.

Der SPD-Vorsitzende schlägt der Ampel die Abschaffung des Ehegattensplittings statt Einsparungen beim Elterngeld vor. Mit Blick auf das AfD-Umfragehoch warnt er vor einer Normalisierung rechten Gedankenguts. Einen Nato-Beitritt der Ukraine vor Kriegsende schließt er aus, Deutschland dürfe nicht Kriegspartei werden. Ein Interview.

Herr Klingbeil, die Ampelkoalition hat das Land wochenlang mit Streit in Atem gehalten. Nun ist parlamentarische Sommerpause. Wie urlaubsreif sind Sie?

Ich war gerade am Wochenende noch mal zu politischen Gesprächen in Rumänien und der Slowakei und habe die Bundeswehr dort besucht, jetzt stehen noch ein paar Termine im Wahlkreis und auch in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg an. Und dann freue ich mich auf ein paar ruhige Tage.

Das Heizungsgesetz war der größte Aufreger, aber auch so etwas wie die Kappung des Elterngeldes für Besserverdienende sorgt für Unruhe. Dabei trifft das nur knapp zwei Prozent der Familien. Wurde wieder schlecht kommuniziert?

Ich hätte einen Vorschlag, wie man die Debatte um das Elterngeld jetzt nutzen und den öffentlichen Streit zwischen Grünen und FDP nach vorne auflösen könnte.

Wir sind gespannt.

Wir schaffen endlich das Ehegattensplitting ab. Damit würden wir dem antiquierten Steuermodell, das die klassische Rollenverteilung zwischen Mann und Frau begünstigt, ein Ende setzen. Und der Staat würde Geld sparen. Ich glaube übrigens, der Aufschrei beim Elterngeld liegt weniger daran, dass es Paare mit 180.000 bis 190.000 Euro Bruttojahreseinkommen nicht mehr bekommen sollen.

Sondern?

Das Elterngeld ist eingeführt worden als wichtiges Instrument der Gleichstellung von Männern und Frauen und zur Stärkung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf - gerade für Frauen. Es ist keine Sozialleistung, es soll dazu motivieren, dass auch Männer mehr Verantwortung in der Familie übernehmen. Ohne Elterngeld - auch für die Spitzenverdiener - wird es wohl wieder die Frau sein, die zu Hause bleibt, weil der Mann häufig mehr Geld bekommt. Das ist ein Rückschritt für die Gleichberechtigung. Ja, ich bin dafür, dass höhere Einkommen mehr schultern und mehr Verantwortung tragen. Aber Verteilungsfragen klärt man über die Steuerpolitik, nicht über das Elterngeld.

Und nun?

Erstens: Das Ehegattensplitting für alle neugeschlossenen Ehen abschaffen und unser Steuersystem stärker auf Partnerschaftlichkeit ausrichten. Zweitens: Das Elterngeld modernisieren und neue Anreize für eine gleichmäßigere Verteilung der Betreuungszeiten schaffen. Derzeit ist es ja so, dass die meisten Männer, wenn überhaupt, zwei Monate Elternzeit nehmen, weil das die Minimalgrenze ist, ab der es sich finanziell lohnt. Sollten nicht besser beide Elternteile jeweils sechs Monate nehmen können und die restlichen unter beiden aufgeteilt werden? Als SPD haben wir ein solches Modell vorgeschlagen. Ich finde, wir könnten die Wucht dieser öffentlichen Debatte nutzen, die jetzt entstanden ist.

Kommen wir zur Wucht der anderen Art: Die AfD erlebt ein Umfragehoch. Treibt die Ampel ihr die Anhänger zu?

Die ehrliche Antwort ist, dass wir mit dem Streit über das Heizungsgesetz zur ohnehin vorhandenen Verunsicherung der Bürgerinnen und Bürger beigetragen haben. Das kann man nicht schönreden. Die Gesellschaft ist müde. Das Land ist seit drei Jahren im Krisenzustand: Pandemie, Krieg in Europa, Energiekrise, Inflation. Die Leute haben Zukunftsängste. Das sorgt dafür, dass ein Nährboden für Populismus entsteht wie ihn die Rechtsextremen verbreiten.

Warum haben es Demokratiefeinde in solchen Zeiten leichter als Demokraten?

Die AfD gauckelt den Leuten vor, es könne alles bleiben, wie es ist. Das macht die AfD auch, weil sie für die Herausforderungen unserer Zeit wie den Klimawandel oder den Fachkräftemangel exakt keine Lösung hat. Die sind inhaltlich völlig blank. Ich bin fest davon überzeugt: Wir müssen den Wandel vorantreiben, damit Deutschland ein wirtschaftlich starkes Land bleibt und den Menschen in diesen Zeiten Sicherheit geben. Was dabei aber nicht funktioniert ist eine Politik von oben herab, die den Menschen vorschreibt, wie sie sein sollen.

Es redet niemand im politischen Berlin so viel über das Gendern wie Friedrich Merz
Lars Klingbeil

Genau das wird der Ampel von vielen vorgeworfen: Sie mache von oben herab lauter Vorgaben, wie die Menschen sein sollen.

Das ist nicht der politische Stil der SPD. Grundsätzlich müssen wir als Gesellschaft allerdings wieder stärker lernen zuzuhören und andere Meinungen zu akzeptieren. In den letzten Jahren haben sich viele immer mehr in ihre eigenen Kreise zurückgezogen und ein wirklicher Austausch mit anders Denkenden findet oft nicht statt.

Sie sagen, Verunsicherung sei ein Grund, warum die AfD so stark sei. Welche Gründe gibt es noch?

Auch die Union liefert aus meiner Sicht einen Grund, weil sie sich eher mit der Frage ihrer Kanzlerkandidatur beschäftigt als mit wirksamen Alternativen zur AfD. Und wenn es bei CDU und CSU inhaltlich wird, dann geht es um irgendwelche Identitätsdebatten, die Wasser auf die Mühlen der Rechten sind. Ein Beispiel: Es redet niemand im politischen Berlin so viel über das Gendern wie Friedrich Merz. Wir müssen als Demokraten aufpassen, dass rechtsextreme Erzählungen nicht in der Mitte der Gesellschaft ankommen.

… die AfD findet im Bürgertum zunehmend Anklang und bürgerliche Milieus bestimmen darüber, was für normal gehalten wird …

Und deswegen liegt das Augenmerk in den nächsten Jahren darauf, dass die Brandmauer zur AfD steht. Das ist auch eine Erwartungshaltung an die CDU.

Wird ihr das gelingen?

Ich glaube Friedrich Merz, dass er das will, aber ob er die Kraft hat, es in der gesamten Partei durchzusetzen, das wird sich zeigen. Ich merke, dass genau diese Normalisierung - Dinge zu sagen, die auch die Rechten sagen - zumindest auf mancher lokalen Ebene in die CDU einsickert.

In dieser Woche ist in Vilnius der Nato-Gipfel. Das Militärbündnis will die Ukraine erst aufnehmen, wenn sie nicht mehr im Krieg ist. Bekommt Russlands Präsident Wladimir Putin damit nicht indirekt eine Art Veto? Solange er den Krieg fortsetzt, hält er die Ukraine aus der Nato.

Die Nato kann die Ukraine nicht aufnehmen, solange sie im Krieg ist, sonst wären Deutschland und die anderen Bündnisstaaten sofort Kriegspartei. Von Vilnius wird dennoch ein klares Signal der engen militärischen Kooperation mit der Ukraine ausgehen. Es geht darum, die Ausbildung ukrainischer Soldaten zu stärken und schon jetzt die Ukraine an Nato-Standards heranzuführen. Das sind alles Schritte, die jetzt schon gemacht werden können und die hilfreich sind für die Zukunft und das Abschreckungspotenzial gegenüber Russland. Putin merkt jeden Tag den erbitterten Widerstand der Ukraine und die wirklich große Unterstützung, die Europa, die USA, andere Staaten leisten, damit die Ukraine erfolgreich sein kann.

In der Ukraine werden auch unsere europäischen Werte verteidigt
Lars Klingbeil

Müsste der Westen insgesamt nicht viel mehr Waffen liefern, wenn man sich anschaut, wie schleppend die ukrainische Gegenoffensive vorankommt?

Was wir wirklich abgeben können, wird geliefert. Deutschland ist mittlerweile nach den USA der größte Unterstützer der Ukraine.

In Meinungsumfragen in den USA wächst der Anteil der Menschen, die sagen, dass die Unterstützung der Ukraine zu großzügig sei. Könnte die Stimmung in Deutschland kippen, wenn etwa die ukrainische Offensive jetzt keinen durchschlagenden Erfolg bringt?

Es gibt auch bei uns politische Kräfte, die solche Stimmungen fördern. Ich bin aber dankbar, dass wir mit den demokratischen Parteien hier sehr klar sind, was die Unterstützung der Ukraine angeht. Da wackelt niemand, wenn ich jetzt mal die Ampelkoalition plus die Union nehme. Wir müssen immer klarmachen, dass Putin nicht aufhören würde, wenn er in der Ukraine erfolgreich ist. In der Ukraine werden auch unsere europäischen Werte verteidigt.

Bleibt es beim Nein zu deutschen Kampfjets für die Ukraine?

Wir reden über F-16 Kampfjets für die Ukraine, und die haben wir gar nicht in Deutschland. Wir haben unsere Stärken bei Panzern, da machen wir wahnsinnig viel. Wir haben sie bei der Raketenabwehr, wir haben sie bei der Frage der Munition. Und bei der Ausbildung. Ich habe in meinem Heimatort Munster die ukrainischen Soldaten besucht, die in der Panzerausbildung sind. Verteidigungsminister Boris Pistorius hat mir gesagt, wir werden in Deutschland bis zum Ende des Jahres 9000 ukrainische Soldaten ausgebildet haben.

Eine Frage zu Sicherheitsgarantien noch aus anderer Sicht: Welche Sicherheitsgarantien könnten Russland gegeben werden, damit es zum Frieden kommt?

Putin kann diesen Krieg beenden, indem er seine Soldaten abzieht. Er kann selbst die Grundlagen für Gespräche schaffen.

Putin zeigt derzeit keinerlei Absichten, den Krieg zu beenden. Was wären aus Ihrer Sicht die Konsequenzen, sollte er eine atomare Katastrophe herbeiführen - durch einen Angriff auf das Atomkraftwerk Saporischschja oder durch den Einsatz einer taktischen Nuklearwaffe in der Ukraine?

Putin wäre international komplett isoliert, wenn er zum Einsatz von nuklearen Waffen greift. Ich bin überzeugt, dann würden auch Staaten wie China sich gegen Putin stellen. Niemand kann sicher sagen, dass er das deswegen nie tun wird. Aber ich bin mir schon sehr sicher, dass Putin diese Signale gehört hat.

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