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Spezialistin bei Aufklärung von VerbrechenWie man durch Blütenstaub Mörder fängt

Lesezeit 6 Minuten

Martina Weber an ihrem Arbeitsplatz im Labor

  1. Martina Weber aus Wien löst Kriminalfälle mit Hilfe von Blütenstaub. Die Proben können eindeutiger als eine DNA-Analyse sein. Porträt einer ziemlich ungewöhnlichen Wissenschaftlerin.

Die Rechtsmedizin rief die Wiener Wissenschaftlerin zu einer verstümmelten Leiche, um Proben zu entnehmen. „Als ich in den Sezier-Saal kam, hat es mich schon mal freundlich gestimmt, dass der Leichensack weiß war. Als der Sack aufgemacht wurde, fand ich es nur noch spannend.“ Die forensische Palynologin Prof. Martina Weber nahm den Fleischgeruch gar nicht mehr wahr.

„Ich habe den forensischen Schalter umgelegt. Ich war in einer anderen Welt.“ Die Kollegin nicht, sie hatte den Geruch noch wochenlang in der Nase. Polizei, Staatsanwälte und Beschuldigte sitzen nicht selten mit offenem Mund da, wenn die Professorin ihre Beweise offenlegt. Was die Expertin für forensische Palynologie nicht sonderlich erstaunt. „Wir sind Spurensicherer, aber zu wenige wissen von uns.“

Martina Weber hat sich auf Verbrechensaufklärung anhand der wissenschaftlichen Analyse von Pollenspuren spezialisiert. Sie gilt als eine der wenigen Spezialistinnen auf dem Gebiet. Weltweit gibt es eh nur noch eine Handvoll forensischer Palynologen. Der Seltenheitswert dieses Berufszweigs ist zum einen dem umfangreichen Wissensspektrum geschuldet, das sich diese Experten aneignen müssen, und zum anderen in der bitteren Erkenntnis begründet, dass „sich dieses Wissenschaftsgebiet nicht lohnt“. In der Klimaforschung beispielsweise kann die Wissenschaft derzeit mehr Meriten und Geld erzielen.

Martina Weber ist den Pollen auf der Spur und für Tatverdächte ein rotes Tuch. Pollen befinden sich nämlich überall. „Man kann Pollenspuren nicht beseitigen“, sagt Weber. Sie haften an Schuhen, in Haaren, besonders gern am Haaransatz bei Lebenden und Toten, auf der Haut, im Naseninnern und auf jedem Gewebe. „Wenn man atmet, atmet man auch Pollenkörner ein, die sich in den Nasenhöhlen andocken. Bei einer gesunden Nase wird der Pollen nach 40 Minuten abtransportiert. Bei einer Leiche nicht. Also hat man einen Nachweis, wo sich der Mensch in den letzten 40 Minuten seines Lebens aufgehalten hat. Diesen Nachweis konnten wir mehrfach erbringen.“

Die Pollenspur, die an einer Leiche und am mutmaßlichen Täter haftet, kann eindeutiger als eine DNA-Analyse sein. „Jeder, der einen Raum oder einen Ort betritt bringt Pollen mit und nimmt Pollen auf. Somit können wir nachweisen, dass derjenige an diesem und jenem Ort war“, sagt Martin Weber. Am besten klappt dieses kriminaltechnische Puzzlespiel, wenn Palynologen wie Martina Weber zusammen mit der Spurensicherung sofort in die Ermittlungen einbezogen werden.

Meist aber werden sie erst gerufen, wenn die Polizei mit ihrem Latein am Ende ist. Selbst dann werden Palynologen noch fündig – allerdings unter erschwerten Bedingungen. Viel zu viele sind bis dahin über den Tatort gelaufen. Noch größer ist das Pollen-Desaster, wenn Polizeihunde eingesetzt wurden. „Außer dass ich mich vor Hunden fürchte, ist eins klar: Wenn ein Hund über den Tatort gelaufen ist, haben wir den Super-GAU, denn im Hundefell ist eine enorme Bandbreite an Pollen, die verliert der Hund überall.“

Die österreichische Polizei hat daraus gelernt und holt die Wiener Wissenschaftlerin sofort zum Ort des Geschehens, denn in der Alpenrepublik steht die Palynologie im offiziellen Tatort-Leitfaden. In Deutschland nicht. Dennoch haben deutsche Ermittler registriert, was Experten wie Martina Weber können und fordern sie derzeit sogar öfter an als ihre österreichischen Kollegen. Meist hört Weber dann die erstaunte Aussage: „Hätten wir nur früher gewusst, was mit Pollen alles machbar ist.“

Wie beim Mordfall Peggy Knobloch, mit dem die Wiener Professorin auch in die Schlagzeilen kam. Die Neunjährige aus Oberfranken verschwand 2001, wurde 2016 tot aufgefunden. Ein Tatverdächtiger wurde festgenommen, zu lebenslanger Haft verurteilt, aber nach Wiederaufnahme des Verfahrens freigesprochen. Die Suche nach einem Täter wurde neu aufgerollt, Martina Weber wurde eingeschaltet und der Verdacht auf einen Mann, den die Ermittler schon vor Jahren im Visier hatten, konnte erhärtet werden.

Die Palynologin untersucht einen Tatort.

Das Faszinierende und zugleich Unheimliche an Pollen ist, dass sie Jahrmillionen überleben können und „man sogar Pollen im Gletschereis isolieren kann“. Pollen lassen sich nicht abwaschen, nicht wegduschen, nicht verbrennen oder sonst wie vernichten. Ein paar mögen egal welchen Prozeduren zum Opfer fallen – aber nie alle. „Wir in der Forensik brauchen nur die Pollenwand. Die ist das Charakteristische. Die Pollenwand muss man sich vorstellen wie ein Haus mit Dach, Wänden, Fußboden und Estrich.“ Das Pollenkorn ist der Transportbehälter des männlichen Erbguts und wird durch diese robuste Wand geschützt. Um Ergebnisse wie die Wiener Wissenschaftlerin bei Kriminalfällen zu erzielen, sollte man „alle Pollenkörner und die Zuordnung zu den Pflanzen kennen, ein Verständnis dafür haben wie die Vegetation aussehen und wo die Vegetation sein könnte, und wir müssen detektivisch vorgehen, wenn wir Plätze und Orte, wo bestimmte Pollenkombinationen auftreten könnten, noch nicht kennen“.

Schon im Biologiestudium war Martina Weber fasziniert von Pollen, widmete ihnen ihre Doktorarbeit, wollte ursprünglich als Gymnasiallehrerin arbeiten, stellte aber schnell fest, dass „das Schulsystem und ich nie Freunde werden können“. So verschrieb sie sich der Wissenschaft rund um den Pollen, der sie in den Bann zog.

Dafür sorgte Prof. Wilhelm Klaus, Paläobotaniker an der Uni Wien, der den ersten forensischen Fall aufklärte. Von da an gab es kein Zurück mehr. Martina Weber lud Dr. Dallas Mildenhall aus Neuseeland als Gastprofessor mehrfach nach Wien ein. Der Pollen-Pionier Mildenhall lehrte sie „allein zu laufen“ und fortan widmete sich die junge Wissenschaftlerin Leichen, Tatorten, Tötungswaffen und Mordverdächtigen – mit durchschlagendem Erfolg.

Zu Person und Arbeitsgebiet

Prof. Martina Weber ist forensische Palynologin am Department für Botanik und Biodiversitätsforschung an der Universität Wien und Expertin auf dem Gebiet der forensischen Palynologie für den gesamten deutschsprachigen Raum. Weltweit gibt es nur wenige Wissenschaftler, die sich darauf spezialisiert haben, Verbrechen aufzuklären mittels akribischer Analyse von Pollen.

Damit Pflanzen sich fortpflanzen können, muss Pollen, also Blütenstaub, produziert werden. Der Pollen wird von Wind, Wasser oder durch Tiere verbreitet und findet sich überall, von den Haaren bis hin zum Enddarm und vom Gletschereis bis hin zum Wohnzimmer. Pollen ist weit mehr als nur Auslöser für Heuschnupfen, Asthma und Hautausschläge, sondern ein wichtiges Werkzeug in der Forensik. (ksta)

Die humorvolle Burgenländerin, die nach eigenem Bekunden „entspannt Urlaub machen kann, ohne dass ich überall am Wegesrand Pflanzen suche und presse“, macht sich jedoch einen Spaß daraus, am Frühstückstisch in Hotels Honigproben mitzunehmen und zu untersuchen. Honig sei das optimale Lebensmittel für Fälschungen, denn „Honig muss nur süß und braun sein“. Das Ergebnis ihrer Tests ist manchmal deprimierend. Bis zu 40 Prozent völlig unbekannte Pollenkörner tummeln sich in angeblich sortenreinen Produkten. Das meiste Geld machen Fälscher jedoch mit Manuka-Honig. Der Echte wird nur in Neuseeland produziert und als Heilmittel teuer verkauft. Der gefälschte Manuka-Honig auch. Weber: „Nachgewiesene 17.000 Tonnen dieses Honigs werden in Neuseeland produziert, aber 100.000 Tonnen weltweit verkauft.“ Bei einem Preis von 70 bis 90 Euro für kleinste Mengen ein lohnendes Fälscher-Geschäft.

Deren Eifer macht sich auch bei Safranfäden, jenem teuren Gewürz, bezahlt. „Die lassen sich prima mit den Röhrenblüten der Ringelblume fälschen“, sagt Martina Weber. Für echte Safranfäden müssen aus der Krokusblüte die weiblichen Fäden gerupft werden. „Jede Krokusblüte hat nur drei scharlachrote Narbenlappen, sprich Safranfäden. Um ein Kilo zu ernten, müssen aus 200.000 Blüten die Fäden gezogen werden. Das sind 50 Arbeitstage für ein Kilo.“ Das „total günstige“ Safran-Mitbringsel einer Freundin aus fernen Ländern hat den Test bei Professor Weber nicht bestanden. Andere Proben übrigens auch nicht.