Lieferung von StreumunitionJoe Bidens fatale Blindgänger

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US-Präsident Joe Biden winkt.

US-Präsident Joe Biden

Ultrarechte Republikaner protestieren energisch gegen die Entscheidung des US-Präsidenten.

Joe Biden machte aus seiner eigenen Zerrissenheit keinen Hehl. „Es war eine sehr schwierige Entscheidung für mich“, sagte der US-Präsident in einem am Sonntag ausgestrahlten CNN-Interview: „Es hat eine Weile gedauert, bis ich überzeugt war.“ Doch nun wird Washington der Ukraine umstrittene Streumunition liefern. Den dramatischen Grund sprach Biden offen aus: „Der Ukraine geht die Munition aus.“

Mit der Lieferung der auch für Zivilisten gefährlichen Munition setzt sich Biden von vielen Verbündeten und befreundeten Staaten ab, die – wie Deutschland und Österreich – Streubomben geächtet haben. Innenpolitisch muss der Präsident aber trotz der Proteste von Menschenrechtsorganisationen und Parteilinken mit keinem massiven Widerstand rechnen. Die Spitzen von Demokraten und Republikanern im US-Kongress unterstützen das Vorhaben. Allerdings gibt es Zweifel an der offiziellen Blindgänger-Quote, die das Pentagon genannt hat.

Streumunition für Ukraine: Joe Biden spricht von schwieriger Entscheidung

Als Streumunition werden Raketen oder Bomben bezeichnet, die über dem Zielgebiet explodieren und dabei viele kleine Granaten auswerfen. Diese „Bomblets“ genannten Sprengkörper können ein fußballplatzgroßes Gebiet abdecken, explodieren aber beim Aufprall auf den Boden nicht immer. Noch Jahre nach dem Abwurf können sie Kinder, Landwirte oder andere Zivilisten schwer verletzen oder töten, die unbeabsichtigt mit ihnen in Berührung kommen. Bei einigen Munitionsarten liegt die Blindgänger-Quote bei 40 Prozent. Vor allem deshalb drängen Hilfs- und Menschenrechtsorganisationen vehement auf ein weltweites Verbot. Russland, die Ukraine und die USA haben die von 111 Staaten unterzeichnete Streubomben-Konvention nicht ratifiziert.

Immerhin hat der US-Kongress 2009 beschlossen, dass das Land keine Streumunition mit einer Blindgänger-Quote von über einem Prozent exportieren darf. Doch kann der Präsident diese Auflage aussetzen, was Biden nun tut. Laut Pentagon beträgt die Blindgänger-Quote der nun für die Ukraine vorgesehenen Waffen weniger als 2,35 Prozent. Da jedes 155-Millimeter-Geschoss 72 kleinere Granaten freisetzt, würden selbst bei dieser Relation bei zwei Abwürfen im Schnitt drei lebensgefährliche, nicht-detonierte Bomblets am Boden zurückbleiben.

Präzision der Streumunition soll verbessert sein

Doch nach einem Bericht der New York Times ist die offizielle Zahl deutlich zu niedrig angesetzt. Zwar hat die Industrie in den vergangenen Jahren die Präzision der Streumunition deutlich verbessert, in der Lieferung des Pentagon für die Ukraine soll aber eine modifizierte Version von Granaten enthalten sein, die bereits 1991 im Zweiten Golfkrieg gegen irakische Ziele eingesetzt wurden. Deren Reichweite wurde erhöht, doch sie sollen die alten Bomblets freisetzen, deren Blindgänger-Quote das Pentagon zwischenzeitlich als unakzeptabel hoch bezeichnet hatte.

Laut New York Times liegt der Prozentsatz der Blindgänger deshalb tatsächlich bei 14 Prozent oder höher. Die Abweichung von der offiziellen Zahl ergibt sich offenbar auch, weil die Streubomben im Wüstenstaat Arizona auf hartem, ebenen und vegetationsfreien Grund getestet werden. Landen die Mini-Granaten hingegen in Wasser, Sand oder Matsch oder bleiben in Bäumen und Gebüsch hängen, ist das Risiko einer Nicht-Detonation wesentlich höher.

Ultrarechte Republikaner protestieren gegen die Bidens Entscheidung

„Die Realität ist: es gibt keine sicheren Streubomben“, kritisieren deshalb linke Politiker der Demokraten die Entscheidung von Biden. Insgesamt 19 Parlamentarier um die Abgeordnete Pramila Jayapal haben einen Appell gegen die Lieferung unterzeichnet: „Wir können und werden weiter die Verteidigung unserer ukrainischen Verbündeten gegen die russische Aggression unterstützen“, heißt es darin: „Aber diese Unterstützung erfordert nicht, dass wir die Führung der Vereinigten Staaten im Kampf für Menschenrechte rund um die Welt untergraben.“

Freilich benennen die Unterstützer keine Alternative angesichts der offensichtlichen dramatischen Nachschubprobleme für konventionelle Munition. Auch fällt auf, dass die prominente Parteilinke Alexandria Ocasio-Cortez den Aufruf nicht unterzeichnet hat.  So bleibt die politische Wirkung des Protestes eher verhalten.

Umso lauter protestieren derweil einige ultrarechte Republikaner gegen die Entscheidung des Präsidenten: „Statt sich auf eine friedliche Lösung zu konzentrieren, schickt Biden uns in den Dritten Weltkrieg“, erregte sich etwa der Abgeordnete Andy Biggs aus Arizona. Und Richard Grenell, der einstige Trump-Botschafter in Berlin, ätzt: „Die Regime-Presse hat die Mitteilung erhalten: Streubomben sind in Ordnung, wenn die Demokraten sie bereitstellen.

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