Kreml-Medien berichten intensivStreit zwischen Ukraine und Polen: „Gefundenes Fressen“ für Putin

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Der ukrainische Präsident Wolodmyr Selenskyj (l.) und der polnische Regierungschef Mateusz Morawiecki bei einer gemeinsamen Pressekonferenz im April. Zwischen Kiew und Warschau ist ein Streit entbrannt.

Der ukrainische Präsident Wolodmyr Selenskyj (l.) und der polnische Regierungschef Mateusz Morawiecki bei einer gemeinsamen Pressekonferenz im April. Zwischen Kiew und Warschau ist ein Streit entbrannt.

In Polen ist Wahlkampf – nun will Warschau keine Waffen mehr an Kiew liefern. Zuvor hatte es zwischen den Nachbarländern bereits geknirscht. 

Ein Streit zwischen Polen und der Ukraine führt zu internationalen Reaktionen. Nachdem der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in seiner Rede vor der UN-Generalversammlung Kritik am polnischen Importverbot für ukrainisches Getreide geübt hatte, hat der polnische Regierungschef Mateusz Morawiecki am Mittwochabend einen den Stopp polnischer Waffenlieferungen an die Ukraine angekündigt. „Wir transferieren keine Waffen mehr an die Ukraine, weil wir uns selbst mit den modernsten Waffen ausrüsten“, erklärte Morawiecki.

Streit zwischen Polen und Ukraine: „Absolut inakzeptable Äußerungen und diplomatische Gesten“

Am Donnerstag bekräftigte Regierungssprecher Piotr Müller die Aussagen des Regierungschefs. „Im Zusammenhang mit Fragen zu Waffenlieferungen möchte ich Ihnen mitteilen, dass Polen nur zuvor vereinbarte Lieferungen von Munition und Rüstungsgütern ausführt. Einschließlich derjenigen, die sich aus unterzeichneten Verträgen mit der Ukraine ergeben“, sagte Müller und bemängelte zugleich „absolut inakzeptable Äußerungen und diplomatische Gesten“ auf der ukrainischen Seite.

Der Streit löst international Irritationen aus. Polen gehört seit Kriegsbeginn zu den stärksten Unterstützern der Ukraine. Der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius kündigte am Donnerstag ein Telefonat mit Warschau an und erklärte, er wolle sich erst nach dem Gespräch zu der Sache äußern.

Ukrainische Getreideimporte sind Wahlkampfthema in Polen

Die Ankündigung Polens wird als Reaktion auf einen Streit um die Einfuhr von ukrainischem Getreide zwischen Warschau und Kiew gewertet, der im polnischen Wahlkampf ein heißes Thema ist. Am 15. Oktober stehen in Polen die Parlamentswahlen an. In den letzten Tagen hatte sich der Streit bereits zugespitzt.

Durch Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine ist die klassische Exportroute für ukrainisches Getreide über das Schwarze Meer blockiert. Für den Transport über den Landweg verhängte die EU Handelsbeschränkungen gegen die Ukraine, um Landwirte in den Transitländern – darunter Polen, Ungarn, Bulgarien und Rumänien – zu schützen. Getreide aus der Ukraine durfte durch die Länder transportiert, jedoch nicht dort verkauft werden.

Streit zwischen Polen und Ukraine führt zu Irritationen: „Diese Spannungen sind bedauerlich“

Am Freitag hatte die EU-Kommission die Handelsbeschränkungen nun für beendet erklärt. Polen, Ungarn und die Slowakei kündigten aber umgehend an, sich nicht daranzuhalten. Polen drohte zudem mit Importbeschränkungen auf weitere Produkte. Selenskyj sagte daraufhin am Dienstag bei der UNO, einige Länder täuschten Solidarität nur vor und unterstützten indirekt Russland. Polen bestellte daraufhin den ukrainischen Botschafter ein, dann folgten die Worte Morawieckis.

Frankreichs Außenministerin Catherine Colonna nannte Polens Verhalten ungerechtfertigt. „Diese Spannungen sind bedauerlich“, erklärte sie am Rande der UN-Generalversammlung in New York. Morawiecki verteidigte seine Haltung derweil: „Für uns sind die Interessen unserer Landwirte das Wichtigste.“

„Die polnisch-ukrainischen Beziehungen sind Bestandteil des Wahlkampfes geworden“

„In Polen ist Wahlkampf und die polnisch-ukrainischen Beziehungen sind Bestandteil dieses Wahlkampfes geworden“, ordnete Peter Oliver Loew, Direktor des Deutschen Polen-Instituts in Darmstadt im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) den Streit am Donnerstag ein. „Die militärische Unterstützung durch Logistik und Munition wird weitergehen, davon bin ich fest überzeugt“, sagte Loew.

Morawieckis Äußerung sei allerdings „sehr unglücklich“ gewesen. Dass die Ukraine sich zuletzt stärkeren Kontakt zu westlichen Demokratien wie Deutschland suche, werde in Polen argwöhnisch betrachtet, erklärte Loew. Tatsächlich reagierte Warschau verschnupft auf eine Forderung Selenskyjs, dass Deutschland einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat bekommen solle.

Polen gegen ständigen Sitz für Deutschland im UN-Sicherheitsrat

Aus polnischer Sicht sei der ukrainische Vorstoß „ziemlich seltsam“ und „eine große Enttäuschung“, sagte Verteidigungsminister Mariusz Blaszczak am Donnerstag dem öffentlich-rechtlichen polnischen Rundfunk. Selenskyj scheine sich nicht zu erinnern, dass Deutschland der Ukraine zu Beginn des russischen Angriffskriegs nicht zu Hilfe gekommen sei.

Für den polnischen Stopp von Waffenlieferungen an die Ukraine finden sich derweil auch andere Erklärungen. So erklärte der Osteuropa-Experte Thomas Dudek im sozialen Netzwerk X (vormals Twitter) am Donnerstag, Polen könne „derzeit nicht mehr viel liefern“. Dennoch kritisierten Sicherheitsexperten wie der Politikwissenschaftler Carlo Masala von der Universität der Bundeswehr das Vorgehen Warschaus.

Streit zwischen Warschau und Kiew „ein gefundenes Fressen“ für Moskau

„Polen liefert Russland eine Steilvorlage“, schrieb Masala am Donnerstag X. Kremlchef Wladimir Putin setze darauf, dass der „gesellschaftliche Konsens zur Unterstützung der Ukraine bröckelt“ und diese dadurch „erodiert“. Die Ukraine hätte nach Einschätzung Masalas im Getreide-Streit zwar durchaus mit mehr Feingefühl vorgehen können, Polens Reaktion sei jedoch dennoch ein „gefundenes Fressen“ für Russland.

Tatsächlich wurde der Streit in Moskau mit viel Interesse und Aufmerksamkeit bedacht. Die russische staatliche Nachrichtenagentur RIA veröffentlichte seit Morawieckis Äußerung zahlreiche Artikel zum Streit zwischen Kiew und Warschau und ließen dabei auch russische Politikwissenschaftler analysieren, warum Polen nun angeblich „nicht mehr an die Ukraine glaube“.

Kritik aus Deutschland an Polen: „Kein Wahlkampf ist es wert, die Ukraine schäbig im Stich zu lassen“

Deutsche Politiker kritisierten Warschau derweil für den angekündigten Stopp von Waffenlieferungen. „Kein Wahlkampf ist es wert, die Ukraine schäbig im Stich zu lassen“, schrieb SPD-Politiker Michael Roth auf X und lobte zugleich, dass Polen dem „russischen Imperialismus die Stirn geboten“ habe, als Deutschland ihn noch „verharmlost“ habe.

Der außenpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Ulrich Lechte, meldete sich im „Tagesspiegel“ zu Wort. „Dass ausgerechnet Polen, als bisher verlässlicher Partner, ausgerechnet jetzt die militärische Unterstützung für die Ukraine einstellt und dies auf diese Weise kommuniziert, ist eine Schande“, erklärte Lechte.

Warschau wolle damit offenbar Druck ausüben, um eine Lösung für die ukrainischen Getreideimporte zu finden. Der FDP-Politiker sprach zudem von einem „wahlkampftaktischen Manöver“ der Regierung in Polen. (mit dpa/afp)

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