Kommentar zu UN-TreffenVier von fünf Atommächten sind zu arrogant für diese Welt

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17.09.2023, USA, New York: Blick auf das Gelände des Hauptquartiers der Vereinten Nationen (UN) am East River in New York. Für die Generaldebatte der UN-Vollversammlung, dem größten diplomatische Treffen der Welt vom 19. bis zum 26. September haben sich über 140 Staats- und Regierungschefs angekündigt. Foto: Michael Kappeler/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

New York: Blick auf das Gelände des Hauptquartiers der Vereinten Nationen (UN) am East River. Hier findet die Generaldebatte der UN-Vollversammlung statt.

Auf dem Planeten Erde gibt es kein größeres diplomatisches Forum als die UN-Generalversammlung. Doch Xi, Putin, Sunak und Macron fehlen.

Gegen Olaf Scholz, noch Neuling auf der Weltbühne, kann man sagen, was man will. Aber er gibt sich immerhin Mühe mit den Vereinten Nationen.

Der Kanzler nimmt jetzt zum zweiten Mal an einer UN-Generalversammlung teil. Am Dienstag wird er dort auch selbst das Wort ergreifen. Noch bedeutsamer als seine Rede sind seine Treffen am Rande des UN-Treffens, diesmal unter anderem mit Staatschefs aus Afrika, Lateinamerika und Asien.

So wie Deutschland machen es viele. 140 Staats- und Regierungschefs reisen an, stecken die Köpfe zusammen, ziehen Strippen. Dies alles stärkt das friedliche Miteinander auf der gesamten Erde.

Xi schickt nicht mal seinen Außenminister nach New York

Für die Menschheit als Ganzes sind die UN ein Ort der Hoffnung, schon seit ihrer Gründung im Jahr 1945. Damals war der Gedanke eines organisierten Zusammenrückens der Staaten noch neu, hier und da gab es Fragen und Widerstände. Der damalige US-Präsident Franklin D. Roosevelt aber setzte sich durch mit dem Gedanken, man brauche eine wie auch immer geartete Weltorganisation, um einen weiteren Weltkrieg zu verhindern. Ein Schlüssel dazu schien gefunden, als vereinbart wurde, dass im Rahmen der UN die fünf Atommächte USA, Russland, China, Großbritannien und Frankreich sich laufend in einem Gremium namens Weltsicherheitsrat austauschen.

Doch ausgerechnet diese Fünfergruppe enttäuscht jetzt den Rest der Welt. Als einziges Sicherheitsratsmitglied sind in diesem Jahr die USA mit ihrem Staatschef in der UN-Generalversammlung vertreten. Dem Amerikaner Joe Biden, einem redlichen Kümmerer, wird die Bühne gehören. Auf Distanz zu den Vereinten Nationen blieben dagegen Wladimir Putin, Xi Jinping, Rishi Sunak und Emmanuel Macron.

Die Gründe fürs Fernbleiben dieser mächtigen Vier sind sehr unterschiedlich. Gemeinsam aber setzen sie damit in schwierigen Zeiten ein düsteres Signal. Was, fragt man sich, kann es gerade Wichtigeres geben als den Versuch, beizutragen zu einer besseren weltweiten Verständigung? Unterm Strich ergibt sich jetzt beim Blick nach New York eine für die Menschheit beklemmende Szenerie: Während der ukrainische Staatschef vor einem Dritten Weltkrieg warnt, bleiben vier von fünf Staatschefs der Sicherheitsratsmächte dem alljährlichen UN-Treffen fern.

Der chinesische Diktator Xi Jinping schickt noch nicht mal seinen Außenminister. Als protokollarischer Platzhalter Pekings fungiert in den kommenden Tagen in New York ein chinesischer Vizepräsident, ein formaler Würdenträger, der politisch nichts zu sagen hat. Den aus westlicher Sicht viel interessanteren Mann, Außenminister Wang Yi, schickte Xi ausgerechnet jetzt nach Moskau. Irritiert blickt der Westen auf einen eiskalten neuen Ost-Block, dem der Rest der Welt nicht mehr so wichtig ist. Die damit verbundene chinesische Botschaft an die UN und insbesondere an Biden läuft auf etwas hinaus, was sich vulgär als ausgestreckter Mittelfinger übersetzen lässt.

Putin ist doppelt verunsichert

Die Absage Putins zeigt nicht nur dessen Verachtung für die UN, sondern ist zugleich auch Ausdruck einer doppelten Verunsicherung des russischen Präsidenten. Weil gegen ihn ein internationaler Haftbefehl vorliegt, verzichtete Putin bereits auf die Teilnahme am jüngsten G20-Gipfel im August in Johannesburg. Hinzu kommen Putins Ängste vor Anschlägen: Der russische Präsident, der seine Vorkoster schon einen halben Tag vorher seine Speisen probieren lässt, um dann das Befinden der Versuchspersonen überwachen zu lassen, fühlt sich auf Schritt und Tritt bedroht.

Das Fernbleiben der beiden Diktatoren Xi und Putin hätte eigentlich nahegelegt, dass nun wenigstens die westlichen Mächte im Sicherheitsrat Präsenz und Einigkeit zeigen. Doch der britische Premier Rishi Sunak und auch der französische Präsident Emmanuel Macron haben Wichtigeres zu tun.

Sunaks Abwesenheit wird in London mit einem „vollen Terminkalender“ erklärt. Zudem heißt es, Sunak halte nichts von bestimmten klimapolitischen Vorgaben der Vereinten Nationen. Zwischen London und UN-Generalsekretär Antonio Guterres gibt es bei diesem Thema seit geraumer Zeit immer wieder Funkenflug.

Macron hätte keinen großen Auftritt

In Frankreich deutet man ebenfalls auf „andere terminliche Verpflichtungen“, unter anderem auf einen Besuch des britischen Königs Charles III. in Paris, der bereits einmal verschoben wurde. Auch der Papst sei im Anmarsch, heißt es achselzuckend im Élysée-Palast.

Termine wie diese sind allerdings nicht gottgegeben, Frankreich selbst hat sie vereinbart. Verräterisch ist der Hinweis eines namentlich nicht genannten Ministers aus Paris, der gegenüber „Politico“ sagte, Macron könne derzeit ohnehin keine „große Rede“ (“big speech“) vor der UN-Generalversammlung halten: In letzter Zeit habe es ja keine Neuausrichtung der französischen Außenpolitik gegeben.

Die traurige Wahrheit ist: In Downing Street 10 wie im Élysée-Palast blickt man auf das größte diplomatische Treffen auf dem Globus durchs enge Schlüsselloch des Nationalen - und sagt im Zweifelsfall ab.

Zu besichtigen ist im September 2023 ein Tiefpunkt in der Geschichte der UN. Vier von fünf Atommächten, jede auf ihre Art, sind zu arrogant für diese Welt

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