„Wahl“ in Russland vor AbschlussProtestaktion und massive Angriffe stören Putins Wahlinszenierung

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Wladimir Putin, Präsident von Russland, muss sich mit Negativ-Berichten auseinandersetzen. (Archivbild)

Wladimir Putin, Präsident von Russland, muss sich mit Negativ-Berichten auseinandersetzen. (Archivbild)

Störfeuer trüben die Kreml-Show. Der russische Machtapparat reagiert mit vielen Festnahmen. 

Am letzten Tag der Präsidentschaftswahlen in Russland haben Anhänger der Opposition in Moskau an einer Protestaktion gegen Kreml-Chef Wladimir Putin teilgenommen. Als Ort ihres Protestes wählten die Demonstranten das Wahllokal, in dem der verstorbene Oppositionspolitiker Alexej Nawalny früher bei Wahlen seine Stimme abgegeben hatte.

Julia Nawalnaja, die Witwe von Nawalny, hatte dazu aufgerufen, sich am letzten Wahltag um 12.00 Uhr mittags zu versammeln, um ihr Einigkeit gegen den aktuellen Machthaber im Kreml zu demonstrieren.

Protestaktion am letzten Tag der russischen Scheinwahlen

Die Teilnehmer der Protestaktion „Mittags gegen Putin“ sollten für einen der Gegenkandidaten Putins stimmen. In Nawalnys früherem Wahlbüro äußerte sich ein 29-jähriger IT-Spezialist namens Alexander: „Das ist die letzte Form des Protests, bei der du dich frei ausdrücken kannst.“ Eine 52-jährige Teilnehmerin namens Elena äußerte Zweifel an der Effektivität der Proteste.

Der von der Präsidentenwahl ausgeschlossene Oppositionspolitiker Boris Nadeschdin hat sich an der friedlichen Protestaktion „Mittag gegen Putin“ in der russischen Hauptstadt ebenfalls beteiligt. Im Moskauer Institut für Physik und Technik, wurde er mit großem Applaus von Studenten empfangen, wie ein von ihm am Sonntag bei Telegram veröffentlichtes Video zeigt. „Ich denke, ihr werdet noch die Chance haben, für mich zu stimmen“, sagte er den Versammelten. Er kündigte die Veröffentlichung eigener Nachwahlbefragungen nach Schließung der Wahllokale. Deren Ergebnisse unterschieden sich stark von dem, was die Obrigkeit erwartet habe, sagte er.

Ausgeschlossener Oppositionspolitiker Nadeschdin protestiert gegen „Wahl“

Auf dem Video ist Nadeschdin von Dutzenden Studenten umgeben, die seinen Namen und später den Namen der Universität skandieren. Der Politiker, der an der Uni lehrt, bedankte sich für die Unterstützung und versprach, weiter kämpfen zu wollen. Sein Ziel sei der Sieg seiner Partei Bürgerinitiative schon bei der kommenden Parlamentswahl.

Wähler stehen in einem Wahllokal Schlange. Die Wähler in Russland gehen am letzten Tag der Präsidentschaftswahlen an die Urnen. Es ist so gut wie sicher, dass die Herrschaft von Präsident Wladimir Putin verlängert wird, nachdem er gegen Andersdenkende vorgegangen ist.

Wähler stehen in einem Wahllokal Schlange. Die Wähler in Russland gehen am letzten Tag der Präsidentschaftswahlen an die Urnen. Es ist so gut wie sicher, dass die Herrschaft von Präsident Wladimir Putin verlängert wird, nachdem er gegen Andersdenkende vorgegangen ist.

Bei den kremlkritischen Protestaktionen wurden am Sonntagmittag Bürgerrechtlern zufolge Dutzende Menschen festgenommen worden. Insgesamt zählte die Organisation Ovd-Info bis zum frühen Sonntagnachmittag landesweit rund 50 Festnahmen, unter anderem in Moskau und St. Petersburg, andere Quellen sprechen gar von mindestens 74 Festnahmen. 

Die von Kritikern als „Wahlfarce“ bezeichnete Abstimmung begann am Freitag. Es gilt als sicher, dass Putin sie gewinnen und eine weitere sechsjährige Amtszeit antreten wird. Gegen ihn treten drei unbedeutende Kandidaten an, während bedeutende Kritiker des Kreml-Chefs entweder gestorben, inhaftiert oder im Exil sind. Die Behörden hatten vor der Teilnahme an Protestaktionen während der „Wahl“ gewarnt.

Propaganda über die Wahl in den besetzten Gebieten der Ukraine

Das russische Staatsfernsehen veröffentlichte derweil Reportagen zur Abstimmung – auch in den besetzten umkämpften Gebieten der Ukraine. Dabei wurden angeblich westliche Wahlbeobachter gezeigt, die sich unter anderem in der besetzten Region Luhansk ein Bild machten. Im ebenfalls okkupierten Gebiet Saporischschja sagte der französische Publizist Lucien Cerise in die Kamera, dass er den Berichten in westlichen Medien nicht traue und sich deshalb selbst vor Ort von der Lage überzeugen wollte.

Dmitri Medwedew, stellvertretender Vorsitzender des russischen Sicherheitsrates und Chef der Partei ‚Einiges Russland‘, bei seiner Stimmzettelabgabe während der Präsidentschaftswahlen.

Dmitri Medwedew, stellvertretender Vorsitzender des russischen Sicherheitsrates und Chef der Partei 'Einiges Russland', bei seiner Stimmzettelabgabe während der Präsidentschaftswahlen.

Einschränkungen und Unregelmäßigkeiten an Wahltagen

Nach Angaben des russischen Parlamentspräsidenten Wjatscheslaw Wolodin waren 475 Beobachter aus 89 Ländern als Wahlbeobachter im Einsatz, um die Abstimmung zu verfolgen. Die Zahl gilt als sehr gering, um einen Urnengang im flächenmäßig größten Land der Erde mit den elf Zeitzonen wirklich ansatzweise nachvollziehbar kontrollieren zu können. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), deren Kontrolle als internationaler Standard gilt, wurde zu den aktuellen „Wahlen“ erst gar nicht als Wahlbeobachter eingeladen.

Das russische Staatsfernsehen zeigte die ausländischen Beobachter, die mit Kaviar und anderen russischen Spezialitäten verköstigt wurden, mit ausschließlich positiven Äußerungen über die Organisation der Wahl. Auch Menschen in den besetzten ukrainischen Gebieten Cherson, Donezk, Luhansk und Saporischschja lächelten in die Kameras des Staatsfernsehens und zeigten sich glücklich, erstmals an der russischen Präsidentenwahl teilnehmen zu können. Sie betonten, keine Angst zu haben und fest an einen Sieg Moskaus in dem seit mehr als zwei Jahren andauernden russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine zu glauben.

Berichte über Drohnenangriffe während der Wahl

Dagegen hatte die Ukraine die unter Bruch des Völkerrechts organisierte Abstimmung als illegal kritisiert und deren Ergebnis als bedeutungslos bezeichnet. Es gilt als sicher, dass Kremlchef Wladimir Putin bei seiner inzwischen fünften Wahlteilnahme einen haushohen Sieg zugesprochen bekommt.

Während der Präsidentschaftswahl hatte die ukrainische Armee ihre Angriffe auf russisches Staatsgebiet verstärkt, wobei laut russischen Angaben mehrere Menschen getötet wurden. Das Verteidigungsministerium in Moskau erklärte, dass 35 Drohnen in acht verschiedenen Regionen, darunter vier über der Hauptstadt Moskau, „abgefangen und zerstört“ wurden.

Russland und die Ukraine hatten sich in der Nacht zum Sonntag gegenseitig mit schweren Drohnen- und Raketenangriffen überzogen. Im Süden Russlands löste eine Drohnenattacke ein Feuer in einer Ölraffinerie aus. Die Flammen seien nach einem Großeinsatz der Feuerwehr gelöscht, ein Mensch habe bei dem Einschlag einen tödlichen Herzinfarkt erlitten, berichtete die russische staatliche Nachrichtenagentur Tass am Sonntag. Getroffen wurde eine Raffinerie im Schwarzmeergebiet Krasnodar. Im westrussischen Gebiet Belgorod wurde zudem eine 16-Jährige durch einen Raketeneinschlag in einem Wohnhaus getötet. (pst mit afp/dpa)

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