In Brüssel ringen die Staats- und Regierungschefs um die weitere Ukraine-Hilfe. Vor allem geht es um das in Belgien verwahrte russische Vermögen.
Russische MilliardenMerz geht auf Forderungen Belgiens ein – Ist De Wever kompromissbereit?

Bundeskanzler Friedrich Merz beim EU-Gipfel. Merz will den belgischen Premierminister Bart De Wever in der Frage der Russland-Milliarden umstimmen.
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Angesichts der Debatte in der EU über die künftige Finanzierung der Ukraine-Hilfe hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj zur Eile gemahnt. Die Entscheidung müsse „bis zum Ende dieses Jahres“ getroffen sein, sagte Selenskyj am Donnerstag beim EU-Gipfel in Brüssel. Darüber seien auch die europäischen Partner informiert.
Die EU hat sich bis zu ihrem Dezember-Gipfel Zeit gegeben, über die Finanzierung der Hilfe für die nächsten zwei Jahre zu entscheiden. Eine Mehrheit der Staats- und Regierungschefs möchte die in Europa eingefrorenen russischen Vermögen für ein sogenanntes Reparationsdarlehen für die Ukraine nutzen.
Knackpunkt ist dabei die Haltung Belgiens, wo der Großteil der eingefrorenen russischen Zentralbankgelder verwahrt wird. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) setzt sich vehement für eine solche Lösung ein. Er sagte in Brüssel: „Wir stehen im Grunde vor der Wahl, europäische Schulden oder russisches Vermögen für die Ukraine einzusetzen, und da ist meine Meinung klar: Wir müssen das russische Vermögen nutzen.“
Merz will auch russisches Vermögen in Deutschland nutzen
Dennoch ging der Bundeskanzler am Donnerstag auf die Bedenken des belgischen Premierministers Bart De Wever ein. Merz will den Forderungen Belgiens nachkommen und auch in Deutschland festgesetztes Vermögen der russischen Zentralbank für die Ukraine-Unterstützung bereitstellen. Das erfuhr die Deutsche Presse-Agentur am Rande des EU-Gipfels in Brüssel aus Verhandlungskreisen.
Letztlich geht es nur um einen kleinen Bruchteil von weniger als einem Prozent der insgesamt etwa 210 Milliarden Euro, die in der EU lagern. Trotzdem kommt dem Schritt eine symbolische Bedeutung in dem monatelangen Ringen zu.
Ukraine benötigt Milliarden
Die Mittel sollen nach Plänen der EU-Kommission genutzt werden, um der Ukraine in den kommenden beiden Jahren Darlehen in Höhe von bis 90 Milliarden Euro zu gewähren - langfristig sollen es sogar bis zu 210 Milliarden Euro werden können. Russland würde das Vermögen nur dann zurückbekommen, wenn es nach einem Ende seines Angriffskriegs gegen die Ukraine Reparationszahlungen leistet.
Die EU geht davon aus, dass die Ukraine für die nächsten zwei Jahre ein Finanzierungsloch von rund 135 Milliarden Euro stopfen muss. Demnach droht dem Land ab April das Geld auszugehen.
Kiew müsste das Geld erst zurückzahlen, wenn es von Moskau Reparationszahlungen erhalten hat. Russland hätte erst wieder Zugriff auf seine in Europa angelegten Vermögen, wenn die EU die Sanktionen gegen das Land aufhebt.
Russisches Vermögen: Können andere EU-Staaten Belgien überzeugen?
Beim EU-Gipfel geht es vor allem darum, Belgien zu einer Zustimmung zu dem Vorschlag zu bewegen. Premierminister Bart De Wever fürchtet finanzielle und rechtliche Konsequenzen sowie russische Vergeltung gegen sein Land und verlangt verbindliche und langfristige Garantien der andern Mitgliedstaaten.
Selenskyj argumentierte, dass ein Stopp der Finanzierung der Ukraine gefährlicher sei, als die Nutzung der russischen Vermögen. „Rechtliche Schritte“ Russlands seien „nicht annähernd so beängstigend, wie wenn Russland an den eigenen Grenzen steht“, sagte er. Solange die Ukraine Europa verteidige, „müsst ihr der Ukraine helfen“, forderte Selenskyj.
Selenskyj und De Wever treffen sich
Laut belgischen Medien traf sich Selenskyj am Donnerstag am Rande des Gipfels zu einem persönlichen Gespräch mit De Wever. Selenskyj sagte anschließend, man habe sich ausgetauscht. Ob das Gespräch produktiv gewesen sei, müsse sich noch herausstellen. In jedem Fall begrüßte der ukrainische Präsident De Wevers Zusicherung, dass Belgien weiterhin an einer finanziellen Lösung für die Ukraine interessiert sei. „Das ist ein positives Zeichen“, sagte er.

Wolodymyr Selenskyj (r.) und der belgische Premierminister Bart De Wever am Donnerstag in Brüssel
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Vor Beginn des Gipfels hatte De Wever an einer Sitzung der belgischen Abgeordnetenkammer teilgenommen und noch einmal seine Position dargelegt. In der Frage der Liquiditätsgarantie für das Finanzunternehmen Euroclear sei „keinerlei Flexibilität möglich“, sagte De Wever nach Angaben des „Spiegel“. Für den Fall, dass Russland die Herausgabe der Vermögenswerte verlange, brauche Belgien Sicherheiten.
Das Finanzinstitut Euroclear mit Sitz in Brüssel verwaltet Vermögenswerte von mehr als 40 Billionen Euro. Notenbanken lagern ihre Reserven dort, große Investoren und Banken nutzen das Institut als Abrechnungssystem. Rund 185 Milliarden Euro der Einlagen bei Euroclear gehören der russischen Zentralbank, sie sind derzeit eingefroren.
Deutet De Wever Kompromissbereitschaft an?
In Bezug auf die Rechtsrisiken zeigte sich De Wever bei der Sitzung der Abgeordnetenkammer offenbar etwas kompromissbereiter. Die Verwendung russischer Vermögenswerte sei „rechtlich heikel“. „Wenn die Risiken jedoch vollständig auf beide Seiten verteilt und für unser Land ausgeschlossen sind, werden wir uns gemeinsam mit allen Europäern in dieses Abenteuer stürzen und hoffen, dass der Fallschirm uns auffängt“, so De Wever laut belgischen Medien weiter.
Er betonte aber auch die Notwendigkeit einer Lösung zur Unterstützung der Ukraine. Ein Kollaps des Landes wäre ein „geopolitisches Desaster für Europa, das noch in Jahrzehnten spürbar sein werde“. Belgien befürworte weiterhin einen gemeinsamen Kredit zur Unterstützung Kiews, sagte De Wever. (cme/afp/dpa)

