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Putins PropagandaWarum man dem Kreml wenig glauben sollte

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Wladimir Putin an seinem Schreibtisch. Auf Angaben aus Moskau sollte man nicht vertrauen, erklärt Historiker Timothy Snyder. Tatsächlich finden sich viele Beispiele für russische Lügen. (Archivbild)

Wladimir Putin an seinem Schreibtisch. Auf Angaben aus Moskau sollte man nicht vertrauen, erklärt Historiker Timothy Snyder. Tatsächlich finden sich viele Beispiele für russische Lügen. (Archivbild)

Der Historiker Timothy Snyder erklärt, warum man auf die Worte von Wladimir Putin und Co. nicht vertrauen kann – ob bei zerstörten Leoparden oder dem Kachowka-Dammbruch. 

Die Worte Moskau und Propaganda – sie gehören spätesten seit dem Kalten Krieg bereits fest zueinander. Und dennoch spielen die Angaben der russischen Behörden auch in diesem Krieg immer wieder eine prominente Rolle – und werden in vielen Berichten zunächst als gleichwertige Informationen neben den Angaben aus der Ukraine behandelt.

So war es auch nach dem Dammbruch in Nova Kachowka am Mittwoch. Russland beschuldige die Ukraine, für die Katastrophe verantwortlich zu sein, las man da vielerorts – oftmals ohne jegliche Einordnung. Kiew sagt das, Moskau sagt das – weiter im Text. Doch auch wenn dieses Vorgehen auf den ersten Blick journalistisch nachvollziehbar wirkt, ist es das nicht. 

Propagandagrüße aus Moskau: Russland lügt – zumindest ziemlich oft

Da nicht alle Angaben der Kriegsparteien unabhängig verifizierbar sind, bleibt oft zunächst nur, die Aussagen beider Seiten mit einem Hinweis auf die Quelle und die mangelnde Überprüfbarkeit zu zitieren. Das Problem daran: Russland lügt – zumindest ziemlich oft.

Davor warnte zuletzt auch Timothy Snyder. „Wenn ein russischer Sprecher behauptet, die Ukraine habe etwas getan, ist das nicht Teil einer Geschichte über ein Ereignis in der realen Welt“, schrieb der Historiker der US-Eliteuniversität Yale, der sich vor allem mit dem Holocaust und osteuropäischer Geschichte befasst. „Es ist Teil einer anderen Geschichte: über all die empörenden Behauptungen, die Russland seit dem Einmarsch in die Ukraine im Jahr 2014 aufgestellt hat.“

Propaganda aus Moskau: Keine große Mühe, sich in ein valides Gewand zu hüllen

Ein Blick auf die vergangenen Tage genügt bereits, um die These zu unterfüttern. Stolze acht Leopard-Panzer wollte Russland zu Wochenbeginn abgeschossen haben – und präsentierte prompt ein Video, das die Abschüsse der deutschen Panzer belegen sollte. Es war eine Propaganda-Meldung, die sich nicht einmal große Mühe gab, sich in ein valides Gewand zu hüllen. Selbst russische Militärexperten kamen schnell zu dem Schluss: In dem Video sieht man gar keine Leopard-Panzer, sondern Mähdrescher und Traktoren, die von russischen Truppen zerstört wurden.

Und auch rund um den Dammbruch in Nova Kachowka fallen russische Angaben immer mehr in sich zusammen. Während russische Nachrichtenagenturen noch in früh am Morgen meldeten, es habe überhaupt keine Explosion am Staudamm gegeben, änderten sie ihre Version plötzlich am Vormittag – und verkündeten fortan die gleiche Version wie der Sprecher von Wladimir Putin, Dmitri Peskow.

Die Angaben fielen dabei „oddly specific“ („merkwürdig präzise“) aus, wie ein geflügeltes Wort im Englischen es beschreibt. Die Ukraine habe den Damm mit Geschossen eines Raketenwerfers des Typs „Vilkha“ zerstört, hieß es nun also aus den Quellen, die wenige Minuten zuvor noch erklärt hatten, es sei alles in bester Ordnung in Nova Kachowka. In nahezu allen Meldungen fand sich fortan diese Angabe – Wort für Wort gleich. Bevor Moskau sich eingeschaltet hatte, unterschieden sich die russischen Angaben derweil noch deutlich. 

Historiker Timothy Snyder: „Was russische Sprecher sagten, war fast immer unwahr“

Im Krieg sagt keine Partei immer die Wahrheit – wenigstens das kann man als gesicherte Information betrachten. Dennoch gibt es einen erheblichen Unterschied zwischen Angaben aus Kiew und jenen aus Moskau: „Was russische Sprecher sagten, war fast immer unwahr, wohingegen die Aussagen ukrainischer Sprecher weitgehend zuverlässig waren“, stellt Snyder fest. „Die Gegenüberstellung suggeriert eine falsche Gleichheit.“

Dafür, dass Moskau nun auch im Falle des Kachowka-Damms nicht die Wahrheit sagt, habe es bereits am Mittwoch starke Indizien gegeben, analysierte Snyder. Russland hatte seit Monaten bereits die Kontrolle über Wasserkraftwerk und Staudamm. Bereits im letzten Herbst kursierten Warnungen, dass russische Truppen Sprengladungen an dem Bauwerk deponiert hätten. Immer wieder geisterten zudem Videos von russischen Soldaten durchs Netz, die davon sprachen, im Zweifel könne man ja einfach die Staudämme in der Ukraine in die Luft jagen.

Objektivität bedeutet nicht, ein Ereignis als Münzwurf zwischen zwei öffentlichen Äußerungen zu behandeln
Timothy Snyder

„Die Geschichte beginnt nicht mit der Explosion des Damms“, schreibt Snyder. „Objektivität bedeutet nicht, ein Ereignis als Münzwurf zwischen zwei öffentlichen Äußerungen zu behandeln“, kritisiert der Historiker die Gleichstellung von ukrainischen mit russischen Angaben.

Zumal die russische Propaganda-Maschinerie im digitalen Zeitalter ohnehin an ihre Grenzen zu stoßen scheint. Während man in einer langsamen, analogen Welt noch viel Kontrolle über die eigenen Narrative hatte, versucht der Kreml im Ukrainekrieg oftmals nur noch das vorher bereits entstandene Kommunikationschaos zu beseitigen, so auch am Mittwoch.

Geklappt hat das nicht – das wurde auch am Freitag noch einmal deutlich. Die ukrainischen Behörden veröffentlichten einen Audio-Mitschnitt eines Gesprächs zweier russischer Soldaten, die sich darüber unterhielten, dass die eigenen Truppen den Damm gesprengt hätten – allerdings wohl eher aus Inkompetenz als wirklich beabsichtigt. Auch das passt ins Bild – und zeigt erneut, warum man dem Kreml nur wenig glauben sollte.

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