Spionage-VorwurfInhaftierter US-Journalist in Moskau unter Anklage

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Evan Gershkovich (The Wall Street Journal via AP, File)

Evan Gershkovich: International erhebt sich scharfer Protest gegen die Inhaftierung des Russland-Korrespondent des „Wall Street Journal“.

Der Russland-Korrespondent des Wall Street Journal, Evan Gershkovich, sitzt seit Ende März in einem Gefängnis des Geheimdienstes FSB. Ihm wird Spionage vorgeworfen. International erhebt sich scharfer Protest.

Das hat es seit dem Kalten Krieg nicht mehr gegeben: die Inhaftierung eines US-amerikanischen Journalisten in Russland wegen des Vorwurfs der Spionage. Getroffen hat es jetzt Evan Gershkovich. Der  Korrespondent des „Wall Street Journal“ (WSJ) wurde Ende März auf einer Recherchereise festgenommen und sitzt seitdem in Untersuchungshaft. Wie die staatliche russische Narichtenagentur Tass am Freitag meldete, soll der 31-Jährige angeklagt werden. Ihm drohen bis zu 20 Jahre Haft.

Der Fall hat scharfe Proteste der US-Regierung und internationaler Organisationen hervorgerufen. US-Präsident Biden persönlich nannte die Vorwürfe lächerlich und verlangte Gershkovichs Freilassung. In Deutschland wandten sich Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne), Finanzminister Christian Lindner und Justizminister Marco Buschmann (beide FDP) gegen die Inhaftierung des Journalisten. In dieser Woche bekräftigte US-Außenminister Antony Blinken, es gebe seiner Meinung nach „keinen Zweifel“, dass Gershkovich von Russland zu Unrecht festgehalten werde.

„Bösartiger Affront gegen die freie Presse“

Das „Wall Street Journal“ sprach nach der Festnahme von einem „bösartigen Affront gegen die freie Presse“, die Empörung bei allen freien Menschen und Regierungen auf der ganzen Welt hervorrufen sollte. „Kein Reporter sollte jemals inhaftiert werden, nur weil er seinen Job gemacht hat“, heißt es in einer Erklärung des Magazins.

Nach seiner Verhaftung in Jekaterinburg – mutmaßlich am 29. März – wurde Gershkovich nach Moskau gebracht. Er sitzt dort in der berüchtigten Haftanstalt Lefortowo des russischen Geheimdienstes FSB ein, die schon zu Sowjetzeiten vom damaligen Geheimdienst NKWD für politische Gefangene genutzt wurde. Auf Antrag von Gershkovichs Anwälten soll ein Moskauer Gericht am 18. April über die Inhaftierung befinden. Es könnte diese bestätigen, die Verlegung in ein anderes Gefängnis anordnen, Gershkovich Hausarrest gewähren oder ihn gegen Kaution freilassen. Würde Gershkovich nach den Regeln des FSB der Prozess gemacht, fände dieser mutmaßlich hinter verschlossenen Türen, ohne jede Öffentlichkeit statt.

Anwalt findet Gershkovich „in guter körperlicher und mentaler Verfassung“ vor

Nach Angaben des WSJ-Deutschland-Korrespondenten Bojan Pancevski ist Gershkovich derzeit wohlauf. Überraschend durfte er am Mittwoch kurz den Besuch eines Anwalts erhalten. Dieser habe seinen Mandanten „in guter körperlicher und mentaler Verfassung“ angetroffen. Gershkovich dürfe russisches Fernsehen. Im Scherz habe er sich beklagt, dass er keine Kanäle mit seinem Lieblingssport Football empfangen dürfe. Als Lektüre habe man ihm ausgerechnet ein Buch einen sowjetischen Dissidenten und die Verbrechen des Stalinismus in die Hand gedrückt. Darin komme auch das Lefertowo-Gefängnis vor.

Was dem Journalisten genau vorgeworfen wird, ist unklar. Kreml-Sprecher Dmitri Peskov behauptete, Gershkovich sei vom Geheimdienst FSB „auf frischer Tat ertappt“ worden. Das Außenministerium ergänzte später, er habe in Jekaterinburg unter dem Deckmantel journalistischer Recherchen geheime Informationen beschaffen wollen. Auch sei er ohne Genehmigung dorthin gereist.

Gershkovich berichtet seit 2016 über Russland und die Ukraine

Pancevski nennt diese Erklärungen absurd. Gershkovich sei selbstverständlich offiziell als Korrespondent in Russland akkreditiert. Weitere Genehmigungen für Recherche-Reisen im Landesinneren brauche es nicht. „Ohne Akkreditierung dürfte beim „Journal“ kein einziger Kollege aus dem Ausland berichten.“

Die Arbeit seines Kollegen sei über jeden Verdacht erhaben. Gershkovich, Sohn von in der Sowjetunion geborenen jüdischen Exilanten, schreibt bereits seit 2016 aus Moskau über Russland, die Ukraine und die weiteren Staaten der früheren Sowjetunion, zunächst für die englischsprachige „Moscow Times“, dann für die Nachrichtenagentur AFP. 2022 wechselte er zum „Wall Street Journal“.

Kreml-Sprecher Dmitri Peskov: „Wir kennen seine Veröffentlichungen“

Seine kritischen Beiträge über die russische Gesellschaft, die Wirtschaft oder über die Einstellungen der Bevölkerung zum Angriffskrieg auf die Ukraine könnten der russischen Führung durchaus ein Dorn im Auge sein. „Wir kennen seine Veröffentlichungen“, sagte Kreml-Sprecher Peskov. „Selbstverständlich“ gebe es eine tägliche Auswertung der Auslandsmedien. Was Gershkovich schreibe, werde „berücksichtigt“.

In Gershkovichs Verhaftung sieht Pancevski ein Signal des russischen Regimes an die ausländische Presse, „den Mund zu halten“. Unmittelbar nach Kriegsbeginn vor einem Jahr zogen viele westliche Medien ihre Korrespondentinnen und Korrespondenten aus Russland ab, um sie nicht der Gefahr willkürlicher Strafverfolgung auszusetzen. Pancevski erinnert daran, dass ein russisches Gesetz schon die öffentliche Rede von einem „Krieg“ verbiete.

Nach und nach kehrten die Berichtenden aber wieder zurück. Sie hätten, so Pancevski, bislang einigermaßen unbehelligt ihre Arbeit tun können. Der Fall Gershkovich werfe aber nun Fragen auf. „Es wäre klug, wenn auch die deutschen Kolleginnen und Kollegen überlegten, wie sie jetzt weitermachen wollen.“

Im Hintergrund steht auch der Verdacht der USA, Russland bemächtige sich amerikanischer Staatsbürger, um sie gegen Russen in US-Haft auszutauschen.

Während das Außenministerium in Moskau von einem sinnlosen „Hype“ um Gershkovich sprach, um Druck auf die russischen Behörden und das Gericht auszuüben, hält Pancevski gerade die öffentliche Aufmerksamkeit für enorm wichtig. „Wir sind dankbar für jede Form der Berichterstattung. Das macht einen Riesenunterschied.“ 

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