Marschflugkörper für KiewUS-General kritisiert Deutschland: „Warum gebt ihr nicht einfach Niedersachsen auf?“

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Ein Bundeswehr-Tornado bestückt mit dem Lenkflugkörper Taurus bei einer Übung. Verteidigungsminister Pistorius will nach wie vor keine Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine liefern. Für diese Haltung gibt es scharfe Kritik. (Archivbild)

Ein Bundeswehr-Tornado bestückt mit dem Lenkflugkörper Taurus bei einer Übung. Verteidigungsminister Pistorius will nach wie vor keine Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine liefern. Für diese Haltung gibt es scharfe Kritik. (Archivbild)

Die SPD will keine Marschflugkörper liefern – und bekommt dafür nicht nur Kritik aus der CDU zu hören. Nun bröckelt der Kurs der Genossen.  

Der ehemalige Oberbefehlshaber der US-Armee in Europa, Ben Hodges, hat scharfe Kritik an den Unterstützern der Ukraine im Krieg gegen Russland geäußert – darunter auch Deutschland. Der General a.D. forderte im Gespräch mit der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ Raketenlieferungen an Kiew.

Scharfe Kritik an Deutschland und Nato: „Wir haben zu wenig geliefert“

„Ohne die würden wir niemals einen amerikanischen oder deutschen Soldaten in einen Kampf gegen solche Verteidigungsanlagen schicken“, erklärte Hodges angesichts der in Deutschland entbrannten Debatte um eine mögliche Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern. In der SPD bröckelt unterdessen der Widerstand gegen eine Lieferung des Waffensystems. 

Dass die Gegenoffensive der Ukraine bisher „nicht so schnell“ vorangekommen sei, sei auch Verantwortung der Nato, so Hodges. „Das Problem ist, dass der Westen, angeführt von den USA und Deutschland, nie gesagt hat, dass unser Ziel ein ukrainischer Sieg ist. Und weil wir uns nicht verpflichtet haben, der Ukraine zum Sieg zu verhelfen, haben wir zu wenig geliefert“, führte der General a.D. aus.

Der US-Regierung um Präsident Joe Biden warf Hodges eine Art „Selbstabschreckung“ vor, die auf die Sorge vor einem Atomwaffeneinsatz Russlands beruhe. „Selbstverständlich will keiner so eine Eskalation. Aber ich fürchte, die amerikanische Regierung denkt in einer Absolutheit darüber nach, die sie zögern lässt.“

Ukraine-Krieg: Führen russische Atom-Drohungen zur „Selbstabschreckung“ im Westen?

Auch in Deutschland entfalte die wiederholte Drohung mit dem Einsatz von Atomwaffen ihre Wirkung, hatte zuvor bereits der Politikwissenschaftler Thomas Jäger von der Universität zu Köln im Gespräch mit dieser Zeitung erklärt. „Das fällt in Deutschland auf den fruchtbarsten Boden“, so Jäger. Der Kreml setze derartige Warnungen gerade deshalb immer wieder als „politische Drohungen“ ein.

Tatsächlich hatte noch am Wochenende der SPD-Politiker Ralf Stegner eine Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern abgelehnt – und als Grund dafür die Sorge vor eine Eskalation angeführt. Es liege im deutschen Interesse, eine Eskalation des Krieges zu vermeiden, sagte Stegner im Deutschlandfunk.

Boris Pistorius will keine Taurus liefern: „Furchtbare Hybris der SPD“

Aus der Union gab es dafür scharfe Kritik: Eine „furchtbare Hybris der SPD“ sei diese Haltung, erklärte CDU-Politiker Roderich Kiesewetter auf X, vormals als Twitter bekannt. Die SPD-Fraktion trage mit dieser Haltung „Verantwortung für zehntausende ukrainische Opfer und millionenfache Flucht“, fügte Kiesewetter an. CDU-Politiker Norbert Röttgen war zuvor bereits ähnlich deutlich geworden: „Statt wieder zu blockieren, sollte die Bundesregierung endlich liefern“, forderte Röttgen auf X.

Zuvor hatte der ukrainische Botschafter in Deutschland, Makeiev, um die Lieferung von Langstreckenwaffen gebeten. Neben den CDU-Politikerin Kiesewetter und Röttgen hatten sich zuletzt auch Politiker aus FDP und Grünen in den vergangenen Tagen für eine Lieferung ausgesprochen. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) lehnt eine Lieferung derzeit allerdings weiterhin ab. Die Bundeswehr verfügt über rund 150 einsatzbereite Taurus-Marschflugkörper.

Ablehnung in der SPD bröckelt: „Waffenlieferungen sind keine Eskalation“

Doch auch in der SPD scheint sich die Bewertung der Lage allmählich zu ändern: So zeigten sich am Sonntag erstmals SPD-Politiker grundsätzlich offen für eine mögliche künftige Lieferung. „Ich schließe nicht aus, dass wir im Verbund mit den Amerikanern auch zusätzliche andere Systeme wie Taurus liefern werden“, sagte der außenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Nils Schmid, dem Tagesspiegel.

Außenpolitiker Michael Roth (SPD) zeigte auf X am Sonntag Unterstützung für die Worte seines Parteikollegen. „Waffenlieferungen an die geschundene Ukraine sind keine Eskalation, sondern im Einklang mit dem Völkerrecht“, schrieb Roth.

Konkreter wurde Andreas Schwarz (SPD): Die Gegenoffensive stocke, eine nennenswerte Luftwaffe zur Unterstützung habe die Ukraine nicht, sagte er dem „Spiegel“. „Da bleiben nur Lenkwaffen wie Taurus-Marschflugkörper.“ Schwarz sprach von einem bevorstehenden „Déjà-vu“: „Wie schon in der Panzerfrage lehnen wir jetzt die Abgabe von wichtigem Gerät ab, das am Ende wohl doch geliefert werden wird.“

US-General a.D. kritisierte deutsche Debatte um Verhandlungen: „Das würde Deutschland niemals tun“

Auch US-General Hodges sprach sich nun deutlich für die Lieferung der Marschflugkörper aus – und kritisierte explizit die in Deutschland immer wieder aufkommenden Forderungen nach einem Waffenstillstand und Verhandlungen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin.

Ben Hodges, damals noch Oberbefehlshaber der US-Armee in Europa, bei einer Pressekonferenz in Polen. (Archivbild)

Ben Hodges, damals noch Oberbefehlshaber der US-Armee in Europa, bei einer Pressekonferenz in Polen. (Archivbild)

„Die Krim ist das entscheidende Landstück in diesem Krieg. Solange Russland sie besetzt hält, kann es alle ukrainischen Häfen blockieren“, erklärte Hodges, warum es derzeit keine Grundlage für Verhandlungen mit Moskau gebe. Ohne die Rückeroberung der Krim – für die Marschflugkörper nötig seien – könne die Ukraine ihre Wirtschaft nicht wieder aufbauen.

„Jeder, der sagt: ‚Liebe Ukrainer, die Krim müsst ihr wohl abtreten’ hat keine Ahnung von Wirtschaft und Geografie“, führte Hodges aus und kritisierte die deutsche Debatte mit scharfen Worten: „Ich würde diese Leute gerne fragen: ‚Warum gebt ihr nicht einfach Niedersachsen oder Mecklenburg-Vorpommern auf?’ Das würde Deutschland niemals tun, aber genau das verlangen wir von der Ukraine.“ (mit dpa)

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