Moskaus geheimer Einfluss in Europa„Eine einfache Übung“ für Putin und seine Spione

Lesezeit 7 Minuten
Ein Porträt von Wladimir Putin im Vetoshny Kunstzentrum in Moskau. Der russische Präsident war einst selbst für den sowjetischen Geheimdienst KGB aktiv. (Archivbild)

Ein Porträt von Wladimir Putin im Vetoshny Kunstzentrum in Moskau. Der russische Präsident war einst selbst für den sowjetischen Geheimdienst KGB aktiv. (Archivbild)

Der Fall Seipel macht Moskaus Manipulationen offensichtlich. Welche Methoden der Kreml dabei anwendet – und was das mit Köln zu tun hat.

Es ist fast schon erschreckend, wie gut die Worte von Nathalie Vogel zur seit Dienstag scheinbar gesicherten Realität in Deutschland passen: Hubert Seipel, einer der prominentesten Russland-Erklärer des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, soll sehr viel Geld aus Russland bekommen und gleichzeitig sehr wohlwollende Bücher über Wladimir Putin und den Kreml veröffentlicht haben. Das haben gemeinsame Recherchen mehrerer internationaler Medienhäuser gezeigt.

Und es macht ganz den Anschein, als sei Russland bei Seipel exakt so vorgegangen, wie Vogel, Expertin für hybride Kriegsführung am Institute of World Politics in Washington, die Methoden der russischen Geheimdienste in einem bisher wenig beachteten Interview beschrieben hatte.

Wladimir Putins langer Arm

Der lange Arm Moskaus reiche insbesondere in Deutschland und Österreich bis weit hinein in die Redaktionen, die Universitäten und auch in die Politik, erklärte Vogel bereits im Gespräch mit dem Osteuropa-Experten und ehemaligen Direktor der Heinrich-Böll-Stiftung in Kiew, Sergej Sumlenny. Vogel beschrieb dabei ausführlich, wie Russland dabei üblicherweise vorgehe.

Für die Annäherung an die Zielpersonen nutze der russische Geheimdienst vergleichsweise simple psychologische Methoden, erklärte Vogel. Mit Einladungen in elitäre Kreise schmeichle Russland den Personen zunächst, die nach sorgfältiger Analyse vom russischen Geheimdienst zuvor als beeinflussbar eingestuft worden seien. Danach sei Moskau mitunter in der Lage, „ganze Karrieren für solche Kandidaten aufzubauen.“

Hubert Seipel und der exklusive Zugang zu Wladimir Putin

Die ersten Parallelen zum Fall Seipel scheinen bereits hier offensichtlich: Der Journalist, der zuvor nie in Russland gelebt hatte, wurde überaus freundlich vom Kreml empfangen – und bekam wie von Wunderhand nicht nur persönlichen Zugang zum Kremlchef, sondern auch das weltweit erste Interview mit US-Whistleblower Edward Snowden, der nach Russland geflüchtet war.

Das passt ins von Vogel beschriebene Bild: Insbesondere im Bereich der Wissenschaften setze Moskau auf die „Access Academia“ genannte Methode der Beeinflussung, führte Vogel aus. Dabei gehe es dem Kreml darum, die Karrieren bestimmter Personen zu fördern, weil diese „Zugang zu bestimmten Kreisen“ haben.

„Einkaufszentrum für den russischen Geheimdienst“

So werde so mancher „mittelmäßige Universitätsprofessor, der das richtige Lied singt“, schließlich zu hochkarätigen Konferenzen nach Russland eingeladen – und befinde sich dort plötzlich im direkten Gespräch mit russischen Ministern.

Derartige Konferenzen und Gesprächsforen, die in Russland regelmäßig stattfinden, seien wie ein „Einkaufszentrum für den russischen Geheimdienst“, führte Vogel aus. Den Fokus lege der russische Geheimdienst (FSB) dabei vor allem auf Personen, die bisher keine Beziehungen zu Russland gehabt hätten – und probiere dann, dieses „leere Feld“ mit der Ideologie zu füllen, die in Moskau erwünscht sei.

Der deutsche Journalist Hubert Seipel (l.) schaut sich mit Wladimir Putin sein Buch „Putin – The Logic of Power“ an. Dem preisgekrönten Journalisten wird in Medienberichten vorgeworfen, Unterstützung aus Russland für Buchprojekte erhalten zu haben. (Archivbild)

Der deutsche Journalist Hubert Seipel (l.) schaut sich mit Wladimir Putin sein Buch „Putin – The Logic of Power“ an. Dem preisgekrönten Journalisten wird in Medienberichten vorgeworfen, Unterstützung aus Russland für Buchprojekte erhalten zu haben. (Archivbild)

Auch das könnte bei Seipel zutreffen. Laut Russland-Expertin Franziska Davies „beherrscht er kein Russisch“, das schrieb die Historikerin, die einst Seipels Buch über Putin für die „Süddeutsche Zeitung“ rezensiert – und bereits damals kritisiert hatte – im sozialen Netzwerk X (Twitter). Auch arbeitete Seipel, so wird es berichtet, nie als Korrespondent in Moskau. Die russischen Alltäglichkeiten kannte er den Berichten zufolge nicht.

Hubert Seipel: Gern gesehener Gast in deutschen Talkshows

Kritik an Seipels Darstellung und Umgang mit Putin ist keineswegs neu. Bereits nach dem Interview mit dem Kremlchef im Jahr 2014 betitelte die „Welt“ ihren Bericht mit der Zeile: „ARD verwandelt sich in Putins Kreml-TV“. Auch Experten wie Davies brachten bereits in der Vergangenheit ihr Unverständnis für Seipels wohlwollende Darstellung des Kremls zum Ausdruck. Gehört wurde diese Kritik bei den Öffentlich-Rechtlichen jedoch nicht. Der Journalist blieb weiterhin beliebter Talkshow-Gast – und beeinflusste so das Russland-Bild der Deutschen mit.

Bei der Manipulation ihrer Zielpersonen habe Russland viel Ausdauer, schilderte Vogel. So erstrecke sich die Beeinflussung in manchen Fällen über Jahrzehnte. „Sie bürsten die Egos und geben der Zielperson das Gefühl, etwas Besonderes zu sein“, erklärte Vogel. Während der Kreml gegen Kritiker mit allen Arten der Denunziation vorgehe, würden die potenziellen Propaganda-Multiplikatoren „verhätschelt“ und mit dem exklusiven Zugang in hochrangige Kreml-Kreise belohnt. Der Nachteil dieser Methode sei jedoch, dass es für westliche Geheimdienste ziemlich einfach zu erkennen sei, wen Russland zu beeinflussen versucht.

„Ich würde Gerhard Schröder als erfolgreichste russische Operation bezeichnen“

Andere Methoden, wie die Erpressung mit kompromittierenden Informationen oder das Ausnutzen finanzieller Notlagen, würden die russischen Geheimdienste zwar durchaus auch anwenden, wenn sie dafür eine Gelegenheit sehen, „das erste Mittel der Wahl“ sei jedoch die gewaltlose Beeinflussung.

Freundschaftlich verbunden: Kremlchef Wladimir Putin (r.) mit dem ehemaligen deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder. (Archivbild)

Freundschaftlich verbunden: Kremlchef Wladimir Putin (r.) mit dem ehemaligen deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder. (Archivbild)

Die Tricks des FSB seien dabei weitreichend, erklärte Vogel. So stelle Moskau in manchen Fällen ganz bewusst bestimmte „Hürden“ auf, nur damit diese von einer ganz bestimmten und vom Kreml ausgewählten Person übersprungen werden könnten, um dieser im Westen so den Ruf des „Russlandverstehers“ zu verschaffen. Im Fall Seipel kommt da erneut das Exklusivinterview mit Putin in den Sinn. Zweifelsfrei eine „Hürde“, die man im Kreml nicht viele Journalisten überspringen lässt.

Die Manipulation eines Journalisten sei jedoch nur die „Spitze des Eisbergs“, schreibt auch Sumlenny nun zum Fall Seipel. „Ich würde Gerhard Schröder als erfolgreichste russische Operation bezeichnen“, benannte Vogel die in ihren Augen bisher weitreichendste russische Einflussnahme auf die deutsche Politik und Meinungsbildung.

Putins Einfluss auf Wahlen und Politiker im Westen

Die Manipulation westlicher Politiker habe eine lange Tradition in Russland, erklärte Vogel zudem. Die Geheimdienste würden dabei mit viel Ausdauer vorgehen – und mitunter die Karrieren der ausgewählten Zielpersonen positiv beeinflussen. Auch dafür finden sich Indizien abseits des einstigen Bundeskanzlers, der seine „Freundschaft“ zu Wladimir Putin nicht aufgeben will.

Russische Einflussversuche auf die Wahlen in den Vereinigten Staaten gelten mittlerweile als gesichert, ebenso offensichtlich fällt die Unterstützung des Kremls für den ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump aus, der Putin auch nach Kriegsbeginn noch als „klugen Mann“ gelobt hat.

„Eine einfache Übung für jeden, der eine KGB-Schule besucht hat“

Wenn die Beziehungen nach Moskau dann schließlich vertieft seien, sei eine allzu direkte Einflussnahme für die Geheimdienste oft gar nicht mehr nötig. „Alles andere ist dann eine einfache Übung für jeden, der eine KGB-Schule besucht hat“, fügte Vogel an. Der KGB war der Auslandsgeheimdienst der Sowjetunion. Putin war einst als Agent für den Dienst tätig, auch in Deutschland.

Dafür, dass sich der lange Arm Moskaus auch weiterhin bis tief nach Europa – und darüber hinaus – erstreckt, gibt es auch Indizien, die nicht auf der ganz großen Politik und Medienbühne zu finden sind. So berichtete Microsoft-Vizechef Brad Smith jüngst von eindeutigen Anzeichen für eine russische Desinformationskampagne zum Krieg in Nahost.

Steckt Moskau hinter antisemitischen Sprühereien in Paris?

Auch französische Behörden gehen mittlerweile davon aus, dass Frankreich das Ziel einer russischen „Destabilisierungskampagne“ geworden ist – und vermutet den Kreml hinter in Paris auf Häuser gesprühten Davidsternen. Die Urheber der Sprüherei werden verdächtigt, Kontakte nach Russland gehabt zu haben. Zudem habe Moskau mit „automatisierten Social-Media-Konten“ die „Kontroverse“ um die Davidsterne angeheizt, um so den Eindruck eines großflächigen Antisemitismus in Frankreich zu verstärken, heißt es aus Paris.

Der Vizechef des russischen Sicherheitsrats, Dmitri Medwedew, zusammen mit Kremlchef Wladimir Putin (r.). Medwedew gilt als der „Propaganda-Bluthund“ des Kremlchefs und äußert regelmäßig schrille Drohungen gegen den Westen, die Ukraine und das Baltikum. (Archivbild)

Der Vizechef des russischen Sicherheitsrats, Dmitri Medwedew, zusammen mit Kremlchef Wladimir Putin (r.). Medwedew gilt als der „Propaganda-Bluthund“ des Kremlchefs und äußert regelmäßig schrille Drohungen gegen den Westen, die Ukraine und das Baltikum. (Archivbild)

„Es brodelt in Europa“, kommentierte der russische Ex-Präsident Dmitri Medwedew kürzlich freudig die Demonstrationen und Debatten, die durch die laut Medwedew „vom Westen unterstützte“ Eskalation in Nahost in Europa losgetreten wurden. Dass Russlands Krieg gegen die Ukraine dadurch aus dem Fokus rückt, gefällt dem Kreml offensichtlich.

Moskaus Manipulationen: „Es begann mit einer Synagoge in Köln“

Auch diese Methode wäre für Moskau keine neue. Bereits bei einer internationalen Welle von Hakenkreuz-Malereien, die für erhebliche Verwerfungen im Westen sorgte, soll der Kreml seine Finger im Spiel gehabt und den im Westen nach wie vor vorhandenen Antisemitismus rechtsradikaler Gruppen gezielt angeheizt haben.

„Es begann mit einer Synagoge in Köln“, lautet der Einstieg in den Text, den US-Journalist Michael Weiss zu Moskaus Geheimdienstoperationen im Kalten Krieg 2017 für den US-Sender CNN verfasst hat. An Heiligabend im Jahr 1959 hatten zwei Mitglieder der Deutschen Reichspartei die gerade erst wiedereröffnete Kölner Synagoge mit Hakenkreuzen und der Aufschrift „Deutsche fordern: Juden raus“ beschmiert. In den Tagen danach folgten antisemitische Schmierereien in ganz Deutschland, aber auch in London, Paris, Stockholm, Oslo, Mailand, Kopenhagen und Athen. Auch in New York, Perth, Buenos Aires und Bogota tauchte Hitlers Hakenkreuz damals plötzlich auf.

Wladimir Putin beschreibt die Spinne, die Russland selbst ist

„Zwischen Heiligabend 1959 und Mitte Februar 1960“, berichtete der amerikanische Journalist John Barron später, „registrierten die westdeutschen Behörden 833 einzelne antijüdische Taten. Dann hörte die Epidemie fast so plötzlich und auf mysteriöse Weise auf, wie sie begonnen hatte.“

Unter Russland-Experten gibt es das geflügelte Wort, dass der Kreml anderen stets genau das vorwerfe, was er selbst tut. Zur Realität passt das mindestens genauso gut, wie Vogels Beschreibung russischer Geheimdienstmethoden zum Fall Seipel. Kürzlich nannte Wladimir Putin die Vereinigten Staaten eine „Spinne“, die versuche, „den gesamten Planeten in ihr Netz einzuhüllen“ und warf Washington vor, für antijüdische Ausschreitungen in Russland verantwortlich zu sein.

KStA abonnieren