Machterhalt trotz TodesgerüchtenPutin will „ewigen Krieg“ statt Verhandlungen

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Dürfte in Russland noch eine Weile an der Wand hängen: Ein Porträt von Kremlchef Wladimir Putin, der laut Quellen im Kreml-Umfeld weiterregieren möchte.(Archivbild)

Dürfte in Russland noch eine Weile an der Wand hängen: Ein Porträt von Kremlchef Wladimir Putin, der laut Quellen im Kreml-Umfeld weiterregieren möchte. (Archivbild)

Erneut gibt es Geraune um eine Verhandlungslösung für die Ukraine. Putin dürfte andere Pläne haben – auch wenn mancher ihn für tot hält.

Während in Russland weiterhin dubiose Kanäle tagtäglich behaupten, Wladimir Putin sei bereits vor Wochen gestorben, somit ein „wandelnder Toter“ und werde von Doppelgängern vertreten, verdichten sich die Anzeichen, dass der Kremlchef – offenbar lebendig – auch nach 2024 an der Macht bleiben will. So meldet es die Nachrichtenagentur Reuters, gleich sechs Quellen aus dem Umfeld des Kremls hätten die Pläne für eine weitere Amtszeit demnach bestätigt.

Putin will also weitermachen – an der Spitze Russlands, und auch mit dem Krieg gegen die Ukraine? Zuletzt machte es mal wieder den Anschein, als würde der Westen auf eine baldige Verhandlungslösung spekulieren. Medienberichten zufolge forcierten US-Regierungsvertreter die Bemühungen um mögliche Gespräche zwischen Kiew und Moskau.

Verhandlungen gefordert: Auf das „Patt“ folgt das Geraune

Das Geraune folgte auf einen Gastbeitrag des ukrainischen Armeechefs in „The Economist“. Walerij Saluschnyj schrieb darin von einer „Patt-Situation“ auf dem Schlachtfeld. Größere Gebietsgewinne seien bei der somit nicht unbedingt erfolgreichen ukrainischen Gegenoffensive nicht zu erwarten.

In Kiew sorgte das für Wirbel – Wolodymyr Selenskyj widersprach dem beliebten Oberbefehlshaber schließlich. Es gebe kein „Patt“, versicherte der Präsident, und kündigte prompt eine Offensive innerhalb der Gegenoffensive an. Die Ukraine sei nicht bereit, sich dem „Fucking Terrorist“ zu beugen, sagte Selenskyj. Gemeint war Wladimir Putin.

Wladimir Putin: „Fucking Terrorist“ und wandelnder Toter

Der Kremlchef mutiert unterdessen in seiner Heimat langsam zu einem Untoten. Zuletzt musste Putin, falls er es denn war, sich sogar von einem Kind bei einem PR-Termin die Frage gefallen lassen, ob er denn überhaupt echt sei.

Bei einem Treffen mit Kadetten wurde Wladimir Putin kürzlich gefragt, ob er denn echt sei. Die Doppelgänger-Gerüchte sind in Russlands heimliches Topthema.

Bei einem Treffen mit Kadetten wurde Wladimir Putin kürzlich gefragt, ob er denn echt sei. Die Doppelgänger-Gerüchte sind in Russlands heimliches Topthema.

Die Doppelgänger- und Todesgerüchte sind in der russischen Bevölkerung angekommen, spätestens seitdem der Kreml auf sie mit Dementis reagiert hat. Der Abgang des Präsidenten scheint dennoch nicht in Sicht – und ebenso wenig eine Verhandlungslösung für die Ukraine.

„Der Krieg hält Putin an der Macht und verleiht seiner Herrschaft einen Sinn“, erklärt der Politikwissenschaftler Aleksandar Djokic in einem ausführlichen Beitrag im sozialen Netzwerk X (vormals Twitter). Ohne eine „Bedrohung von außen“ könne Putin sich in einem „Russland unter Sanktionen“ nicht an der Macht halten. „Der ewige Krieg ist für Putin zur Notwendigkeit geworden.“

Kremlchef will Machterhalt: „Der ewige Krieg ist für Putin zur Notwendigkeit geworden“

Die jüngsten Meldungen über mögliche Verhandlungslösungen zeigen laut Djokic lediglich, dass man im Westen davon ausgehe, die Haltung Kiews sei der entscheidende Faktor auf dem Weg zu Gesprächen mit Moskau. Das aber sei falsch. „Putin ist nicht bereit, dem Westen zu gehorchen“, mit nur „einem Stück der Ukraine“ werde der Kremlchef sich nicht zufriedengeben, so Djokic.

Vielmehr habe Putin Pläne, „an der Macht zu sterben“, so der Politikwissenschaftler. Um dieses Ziel zu erreichen, sei ein langwieriger Krieg für den 71-Jährigen schlichtweg innenpolitisch notwendig. „Der Westen muss nicht Selenskyj knacken, sondern Putin“, sagt Djokic. Das gehe nur mit noch mehr Militärhilfe für die Ukraine. Ansonsten werde der Krieg weitergehen – und Putin sei damit „vollkommen einverstanden“.

Spiel auf Zeit: Wartet Wladimir Putin auf die Rückkehr von Donald Trump?

In die gleiche Kerbe schlägt auch Michael McFaul, ehemaliger US-Botschafter in Russland. „Putin hat derzeit kein Interesse an Friedensverhandlungen“, erklärt der Politikprofessor auf X. „Er glaubt noch immer, dass er die eingenommenen Regionen verteidigen kann, und wartet auf die Rückkehr von Trump.“

Zuletzt war bekannt geworden, dass der ehemalige US-Präsident Donald Trump in seiner Amtszeit gegenüber Nato-Partnern damit gedroht hatte, dass die USA bei einem Angriff Russlands nicht gemäß dem Bündnisfall zur Hilfe eilen würden. Der Republikaner will bei der nächsten Wahl ins Weiße Haus zurückkehren.

„Würde die Ukraine aufhören, käme kein Waffenstillstand“

Auch der deutsche Sicherheitsexperte Nico Lange reagierte bei X auf das Verhandlungsgeraune, das auch in Deutschland für neue politische Forderungen gesorgt hat. „Dass es Krieg gibt, liegt nicht daran, dass die Ukraine sich verteidigt“, erklärt Lange. „Würde die Ukraine aufhören zu kämpfen, käme kein Waffenstillstand, sondern Russland würde weiter angreifen, weiter vorrücken, weitere Städte zerstören, foltern, morden, Kinder entführen.“

„Dieses ganze Gerede und Geraune darüber, dass man die Ukraine doch jetzt zu Verhandlungen bewegen (aka zwingen) sollte, wird in Moskau als Aufmunterung verstanden“, kritisiert auch der Politikwissenschaftler Carlo Masala, ebenfalls bei X. Aus Sicht Moskaus sei „die einzige Lösung die Aufgabe der Ukraine“, das habe der Kreml jüngst noch klargestellt.

Schleppende Gegenoffensive: Zwei Optionen im Krieg gegen Russland

Masala erinnerte zudem daran, dass Armeechef Saluschnyj keineswegs von einer aussichtslosen Lage berichtet, sondern zwei Möglichkeiten für die Zukunft skizziert habe. Die eine sei, die Ukraine mit „Luftüberlegenheitsmitteln“ auszustatten – und somit die „Patt-Situation“ aufzulösen. Die andere, die Unterstützung in bisherigem Ausmaß beizubehalten, und einen „Stellungskrieg“ in Kauf zu nehmen, „bis Putin nicht mehr Präsident ist“. Das wiederum sei das „Prinzip Hoffnung“.

Tatsächlich bleibt der Ukraine angesichts des derzeitigen Kurses der westlichen Partner und den Zukunftsplänen Putins wohl erst einmal nichts anderes als die Hoffnung, dass an den kurios-komischen Gerüchten um Doppelgänger und Kühlkammern vielleicht doch ein bisschen was dran sein könnte.

Der Ukraine droht der Winterkrieg: „Ich habe dutzende Kerzen gekauft“

Humor empfahl da kürzlich auch der Kiewer Regierungsberater Anton Geraschtschenko seinen Hunderttausenden Lesern bei X. „Gute Nachrichten sind ja im Moment Mangelware“, schrieb der Ukrainer. Auch wenn nichts dafürspreche, dass die Gerüchte um Putins Ableben zutreffen, seien sie doch eine willkommene Aufmunterung in schweren Zeiten, erklärte Geraschtschenko – und forderte zu Witzen über den „toten“ Putin auf.

Noch aber scheint der Kremlchef zu leben – und der ukrainische Galgenhumor weiterhin täglich auf die harte Realität zu treffen. 19 ukrainische Soldaten wurden am vergangenen Freitag bei einem verheerenden russischen Raketenangriff auf eine Militärzeremonie getötet, gab Kiew nun bekannt. „Ich habe dutzende Kerzen gekauft“, erklärte Außenminister Dmytro Kuleba kürzlich. „Wir stellen uns auf den schlimmsten Winter jemals ein.“

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