Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

West vs. OstZwei Blicke auf die deutsche Wiedervereinigung

Lesezeit 4 Minuten
Deutsch-blau-01

Ein VW-Käfer und ein Trabant - die Symbole der zwei Welten.

  1. Wie fremd oder nah sind sich Ost- und Westdeutsche 28 Jahre nach der Wiedervereinigung?
  2. Markus Schwering, Redakteur des „Kölner Stadt-Anzeiger“ und Andreas Montag, Redakteur der „Mitteldeutschen Zeitung“, schreiben schon mal aufeinander zu.

Köln/Halle – Neulich geschah es mit mir wieder – absurderweise, denn die deutsche Vereinigung liegt fast 30 Jahre zurück. Angestrengt hielt ich auf der Bahnfahrt zwischen Fulda und Eisenach Ausschau, wo der ICE wohl die (einstige) innerdeutsche Grenze passiere. Die ist nicht mehr zu sehen, irgendwann merkte ich, dass ich „drüben“ war: an hektisch-farbenfroher Modernisierung und gut restauriertem Bestand wie an Relikten überwundener DDR in Gestalt von hässlichen Baracken und Pultdächern.

„Drüben“ – wie bitte? Ja, ich kann mich nicht dazu konditionieren, solche Kategorien aus meinem Hirn zu verbannen. Wenn der Thalys die belgische oder französische Grenze überfährt, erwischt mich nie jenes Gefühl interessanter Fremdheit, das mich bei der Reise in die neuen Bundesländer ankommt.

In Ilmenau halte ich einen Vortrag über die Goethe-Rezeption von Marx und Engels. Das Gespräch, das sich entwickelt, dünkt mich vergleichsweise offen und vertrauensbasiert. Ich schweige, höre zu – und erhalte Einblicke in Lebens- und Erfahrungswelten, die mir fremd bleiben: Es ist halt etwas anderes, in der Zeitung zu lesen, wie radikal-destruktiv der Einschnitt nach 1989 in ostdeutsche Biografien war, als es am eigenen Leib mitzubekommen.

Da ist der Fabrikant, der sich nach 1989 selbstständig machte und von seinem US-Partner über den Tisch gezogen wurde. Da ist der ehemalige Lehrer für Staatsbürgerkunde, der seinen Job verlor und schlecht und recht an der Volkshochschule unterkam. Dieser schwamm unverdient obenauf, während es andere hart traf. Und ich? Meine Lebensumstände haben sich seit 1984 nicht wesentlich geändert – dies eine Auskunft, die mit der geschäftsmäßigen Verbitterung der Betrogenen zur Kenntnis genommen wird.

Manches verstehe ich wirklich nicht: Woher kommt das verbreitete Wohlwollen für den russischen Autokraten Putin? Woher diese offensichtlich-besondere Anfälligkeit für Rechtsradikalismus im Osten? Vielleicht daher, dass die Einführung der Demokratie hier eben mit zerstörenden Verwerfungen einherging? Solche Fragen will ich eigentlich weder stellen noch beantworten, denn da ist er dann ja wieder – der hässliche Westdeutsche mit seinem selbstgerechten Erklärungsdünkel. Ist es erstrebenswert, sich am Ende von Reflexionen über die Einheit selbst nicht leiden zu können?

Wie aber sieht die aus, im Alter von 28 Jahren? Schlecht, würde ich spontan sagen: käsig, rachitisch, hinkend. Schließlich bleibt mir nur der Rekurs auf eine hegelianische Denkfigur: Vielleicht ist ja gerade ihr Nichtvorhandensein das zentrale Merkmal der deutschen Einheit. Das Anwesende definiert sich durch seine Abwesenheit. Ob solcher Auskunft kann doch kein Thüringer oder Sachse über mich schimpfen. Oder?

Hier geht es zum Ost-Standpunkt

Einheit dpa neu

Mit einem Feuerwerk am Brandenburger Tor in Berlin feierten rund eine Million Menschen in der Nacht vom 02. auf den 03. Oktober die deutsche Wiedervereinigung.

Es hatte so großartig angefangen. Im Herbst 1989 kündigte das DDR-Volk seiner Obrigkeit die Gefolgschaft. Ein Jahr später kam, was viele nicht für möglich gehalten hätten: Das Ende der Teilung Deutschlands, die ein Ergebnis des von den Deutschen begonnenen und verlorenen Weltkrieges sowie der nachfolgenden Konfrontation der beiden globalen Machtblöcke war.

Nun aber sollte einig Vaterland sein, dessen Leitwährung Freiheit hieße. Milch und Honig flössen fortan, in Magdeburg wie auf Mallorca, erwarteten nicht wenige aus Neufünfland. Ostdeutschland würde sich in einen einzigen, duftenden Intershop für jedermann verwandeln – mit allen Sicherheiten der alten, knirschend untergegangenen Rundum-Versorgungsrepublik.

Dort war vieles schlecht gewesen. Aber nicht alles. Letzteres sollte schnell zum Schlagwort werden, nachdem die blühenden Landschaften zum Beispiel im mitteldeutschen Chemiedreieck bald ziemlich verdorrt aussahen. Arbeitslosigkeit war ein Wort, das man im Osten nicht gekannt – und in der „Tagesschau“ offensichtlich überhört hatte. Der „Jammer-Ossi“ war geboren. Und zuhören brauchte man dem sowieso nicht. Das ist einer der verhängnisvollsten Fehler im Einigungsprozess gewesen. „Es wächst zusammen, was zusammen gehört“ hatte Willy Brandt nach dem Mauerfall gesagt. Aber er hatte dabei garantiert weder an Gleichgültigkeit noch an Wildwuchs gedacht.

Wenn heute, die rechtsextremen Auswüchse von Chemnitz und Köthen vor Augen, mit den Fingern auf die ostdeutschen Länder gezeigt wird, die stärker gespalten sind als es der Westen ist, macht wieder das Wort von den undankbaren Ossis die Runde. Denen ist tatsächlich viel zugute gekommen, allein in der Infrastruktur. Da entwickelt man in mancher westdeutschen Kommune zu Recht Neid. Aber Einigkeit und Recht und Freiheit wachsen weder aus Wohltaten noch aus Beschwörungen.

Natürlich geht es den meisten Ostdeutschen relativ gut. Aber die Enttäuschung vieler, die vom Protest bei Montagsdemonstrationen über den politischen Unmut der Pegida-Aktivisten und ihrer Mitläufer bis zur wachsenden Wählerbasis für die rechtspopulistische AfD manifestiert ist, hat auch nachvollziehbare Gründe. Durch Arroganz und eine fehlende Nähe zu den „kleinen Leuten“ haben Politiker der etablierten Parteien selbst daran mitgewirkt.

Die innere Einheit der Deutschen ist noch weit entfernt. Es geht dabei aber nicht primär um Ost oder West, sondern um Haltung. Sie fehlt, wo Menschen Orte nicht verlassen, an denen Extremisten den Hitlergruß zeigen. Andere rufen zu Hass auf.

Diese sind es, die die Republik spalten wollen. Und an einem Demokraten ist es, das nicht zuzulassen.