In ihrer neuen Sicherheitsstrategie attackieren die USA die EU – und erwähnen Russland kaum. Berlin und Brüssel kontern. Politikexperten finden deutliche Worte.
Aufregung über neue US-Strategie„Die MAGA-Kriegserklärung an das liberale Europa“

US-Präsident Donald Trump zeigt beim Verlassen einer Bühne den Daumen nach oben. Die neue Sicherheitsstrategie der US-Regierung sorgt unterdessen für Aufregung in Europa. (Archivbild)
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Ein neues US-Dokument sorgt für Aufregung in Europa: Am Freitag (5. Dezember) haben die USA ihre lange erwartete neue globale Sicherheitsstrategie vorgelegt. Darin prophezeit die US-Regierung um Präsident Donald Trump den unmittelbar bevorstehenden kulturellen Zerfall Europas – und macht dafür die Europäische Union und Migration verantwortlich. Die wirtschaftlichen Probleme Europas würden „übertroffen von der realen und noch gravierenderen Aussicht auf den Untergang der Zivilisation“ innerhalb der nächsten 20 Jahre, heißt es in dem Dokument.
US-Regierung attackiert Europa in neuer Sicherheitsstrategie
„Zu den größeren Problemen, mit denen Europa konfrontiert ist, gehören Aktivitäten der Europäischen Union und anderer transnationaler Gremien, die die politische Freiheit und Souveränität untergraben, Migrationspolitiken, die den Kontinent verändern und Konflikte hervorrufen, Zensur der freien Meinungsäußerung und Unterdrückung der politischen Opposition, sinkende Geburtenraten und der Verlust nationaler Identitäten und des Selbstbewusstseins“, zitierte das US-Medium „Politico“ weiter aus der 33 Seiten umfassenden neuen Sicherheitsstrategie.
Zudem spiegelt sich in dem Dokument der Trump-Regierung die ideologische Annäherung zwischen der rechtspopulistischen „MAGA“-Bewegung in den USA und rechten und rechtsradikalen Parteien in Europa wider. Parteien wie die deutsche AfD haben bereits in der Vergangenheit Unterstützung von der US-Regierung erhalten, insbesondere von Vizepräsident J. D. Vance und dem ehemaligen Regierungsmitarbeiter Elon Musk.
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US-Vizepräsident J. D. Vance bei einem Truppenbesuch in Fort Campbell, Kentucky. (Archivbild)
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„Amerika ermutigt seine politischen Verbündeten in Europa, diese Wiederbelebung des Geistes zu fördern, und der wachsende Einfluss patriotischer europäischer Parteien gibt in der Tat Anlass zu großem Optimismus“, heißt es in dem Strategiepapier dazu. Die US-Regierung „scheine damit anzudeuten, dass sie bereit ist, ideologisch verbündeten Parteien in Europa zu helfen“, ordnete „Politico“ die Passage ein.
Politico: US-Regierung bereit, verbündeten Parteien in EU zu helfen
Die US-Regierung räumt in dem Dokument zwar auch ein, dass „Europa für die Vereinigten Staaten strategisch und kulturell nach wie vor von entscheidender Bedeutung ist“, insgesamt entsprechen die geäußerten Ansichten über Europa aber den bisherigen negativen Äußerungen, die seit Amtsantritt von Trump vor allem von Vizepräsident Vance vorgebracht worden waren. Bereits mit seiner Rede bei der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar, in der er Europa wegen angeblich zu hoher Migration und angeblich fehlender Meinungsfreiheit attackierte, hatte Vance ein politisches Erdbeben ausgelöst.
Die US-Regierung greift in dem Dokument auch die rassistische Verschwörungstheorie des „Großen Austausches“ auf, die von einem Geheimplan der Eliten ausgeht, bei dem die weiße Bevölkerung durch Einwanderung insbesondere aus afrikanischen und muslimischen Ländern geschwächt werden solle. „Langfristig ist es mehr als plausibel, dass spätestens in wenigen Jahrzehnten bestimmte Nato-Mitglieder mehrheitlich nicht-europäisch sein werden“, heißt es dazu in der US-Sicherheitsstrategie.
Johann Wadephul: Deutschland braucht „keine externen Ratschläge“
Bundesaußenminister Johann Wadephul (CDU) sagte zur neuen US-Strategie, Deutschland brauche „keine externen Ratschläge“ zu Fragen der freien Meinungsäußerung oder „der Organisation unserer freiheitlichen Gesellschaften“. Dies werde in Deutschland „durch unsere Verfassungsordnung organisiert“, betonte Wadephul bei einer Pressekonferenz in Berlin.

Außenminister Johann Wadephul (CDU, l) und Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) unterhalten im Bundestag. (Archivbild)
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Der Außenminister verwies dabei auf Gewaltenteilung und Pressefreiheit und kündigte außerdem an, er werde die neue US-Sicherheitsstrategie nun „intensiv auswerten“. Die USA „sind und bleiben unser wichtigster Verbündeter“ in der Nato, betonte der Außenminister jedoch auch.
EU-Kommission weist US-Vorwürfe zurück
Auch die EU-Kommission wies die in der US-Sicherheitsstrategie enthaltene Vorwürfe gegen die Europäische Union entschieden zurück. Auf die Frage, ob die EU aus Sicht der Kommission eine Institution sei, die die politische Freiheit und Souveränität untergrabe, mit ihrer Migrationspolitik den Kontinent schädige und die freie Meinungsäußerung behindere, antwortete Chefsprecherin Paula Pinho mit einem klaren Nein. Darüber hinaus wollte sie sich zunächst nicht zu der neuen US-Strategie äußern.
Während die US-Regierung in dem Dokument „vernichtende Kritik an den europäischen Partnern“ übt, wie die „Washington Post“ einordnete, bleibt die Sicherheitsstrategie gegenüber Russland zurückhaltend. „Viele Europäer betrachten Russland als existenzielle Bedrohung“, heißt es dort. Die USA sollten der „Gestaltung der europäischen Beziehungen zu Russland Priorität einräumen“, schreibt die US-Regierung überdies. So solle strategische Stabilität auf der eurasischen Landmasse wiederhergestellt und das Risiko eines Konflikts zwischen Russland und europäischen Staaten gemindert werden.
Die letzte US-Sicherheitsstrategie, die 2022 unter dem damaligen Präsidenten Joe Biden veröffentlicht wurde, hatte sich vorrangig der Haltung der USA gegenüber Russland und China gewidmet. Sie verurteilte Russlands „brutalen und unprovozierten Krieg“ gegen die Ukraine und erklärte die „Eindämmung Russlands“ zur Priorität. In Trumps Sicherheitsstrategie ist davon keine Rede mehr.
„Dieser Wunsch findet keine Umsetzung in die Politik“
Explizit spricht sich das Papier gegen eine mögliche Nato-Erweiterung aus, was Russlands Zielen entspricht. Auch das Moskauer Narrativ, dass die Regierungen in Europa den Wunsch nach Frieden in ihrer Bevölkerung ignorieren würden, greift das US-Dokument auf. „Eine große europäische Mehrheit wünscht sich Frieden, doch dieser Wunsch findet keine Umsetzung in die Politik, vor allem weil diese Regierungen demokratische Prozesse untergraben“, zitierte die „Washington Post“ eine entsprechende Passage.
Die US-Regierung kündigt darin zudem an, ihr militärisches Engagement weltweit, auch in Europa, zu verringern. Stattdessen solle die US-Präsenz in Lateinamerika verstärkt werden, um die Vormachtstellung der USA in der Region wiederherzustellen, heißt es in dem am Freitag veröffentlichten Dokument. Gemäß Trumps „America First“-Agenda wollen sich die USA demnach auf ihre nationalen Interessen konzentrieren.
Aufregung in Europa über neue US-Strategie
Europäische Politik- und Sicherheitsexperten zeigten sich in ihren ersten Reaktionen auf das US-Papier am Freitag mitunter entsetzt. „Das ist das lächerlichste außenpolitische Dokument, das ich je gelesen habe. Und ich habe schon viele gelesen“, schrieb etwa der österreichische Politikwissenschaftler Gustav Gressel auf der Plattform X.
„Die neue US-Sicherheitsstrategie verkündet unter anderem bemerkenswerterweise als Ziel der US-Politik, ‚den Widerstand gegen Europas gegenwärtigen Kurs innerhalb der europäischen Nationen zu fördern‘. Das ist JD Vance auf Steroiden“, kommentierte der ehemalige schwedische Ministerpräsident Carl Bildt derweil das US-Dokument.
„Eines lässt sich sagen: Es gibt kein Versteckspiel mehr“
Der deutsche Russland-Experte Matthäus Wehowski sprach in dem sozialen Netzwerk unterdessen von einer „MAGA-Kriegserklärung an das liberale Europa“. Die neue US-Sicherheitsstrategie richte sich gegen die seit 1989 gewachsene demokratisch-liberale Ordnung, führte der Historiker aus und fügte hinzu: „Dabei gibt es ideologische Überschneidungen mit dem Putin-Regime.“ In Bezug auf die Ukraine werde „Europa und seine Führung gnadenlos vor den Bus gestoßen“, schrieb Wehowski.
Auch aus den USA kamen am Freitag mitunter deutliche Worte: „Eines lässt sich sagen: Es gibt kein Versteckspiel mehr“, kommentierte der amerikanische Historiker Phillips O'Brien die Sicherheitsstrategie bei X. „Es handelt sich um einen Plan, die europäische Einheit zu schwächen, Europa ‚MAGA‘ zu machen, Europa zu zwingen, sich wirtschaftlich den Vorgaben der USA zu unterwerfen, und Russland zu rehabilitieren“, hieß es weiter. (mit afp/dpa)

