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BeziehungWie viel Liebe braucht die Ehe?

Lesezeit 5 Minuten

Sie fand: Sein Dialekt ist komisch. Er fand: Sie ist nicht mein Typ. Doch beide wollten ein Kind.

Als Susanne Wendel ihrem Partner das erste Mal „Ich liebe Dich“ gesagt hat, waren beide schon seit zweieinhalb Jahren ein Paar und ihr gemeinsamer Sohn ein knappes Jahr alt. Die 41-jährige Gesundheitsexpertin führt eine Beziehung, über die viele verwundert den Kopf schütteln. Sie hat sich für das Leben mit einem Mann entschieden, in den sie anfangs kein bisschen verliebt war.

Nach jahrelangem Singlefrust und der zehrenden Suche nach dem Richtigen ist sie heute überzeugt: Schmetterlinge im Bauch werden überschätzt. Wendel findet: „Eine gute Partnerschaft braucht keine Verliebtheit, sie braucht ähnliche Wertvorstellungen. Wenn man sich füreinander entscheidet und die gleichen Dinge im Leben will, kommt die Liebe von allein.“ Für sie und ihren Partner Frank-Thomas Heidrich zumindest war das offenbar der richtige Weg. Heute sind sie ein glückliches Paar mit Kind und gemeinsamer Firma.

„Der? Niemals!“

Als beide sich das erste Mal begegnen, war an eine gemeinsame Zukunft nicht im Traum zu denken. „Der? Niemals“, fährt es Susanne durch den Kopf als sie Frank-Thomas bei einem Seminar in Südafrika 2008 das erste Mal sieht. Nach einer gescheiterten Ehe und als langjähriger Single mit diversen On-Off-Beziehungen ist sie es gewohnt, Männer in den ersten Minuten auf Partnerschaftstauglichkeit abzuscannen. Sein ostdeutscher Dialekt geht ihr auf die Nerven und sie findet auch, dass Frank-Thomas ein paar Kilo zu viel hat. Zack, durchgefallen.

Susanne Wendel und Frank-Thomas Heidrich: „Wie wär’s mit uns beiden?“, Horizon, 15,90 Euro

Christian Thiel: „Wieso Frauen immer Sex wollen und Männer immer Kopfschmerzen haben. Populäre Irrtümer über Beziehung und Liebe“, Südwest, 14,99 Euro

Genau das ist das Problem der meisten heutigen Singles, sagt die Münchnerin rückblickend. „Wie viele andere hatte auch ich jahrelang viel zu hohe Ansprüche an meine potenziellen Partner, die ich mir aber selber nicht eingestanden habe.“ Ein Mann, der keine Verliebtheitsgefühle in ihr wecken kann, hat keine Chance. Und auch sie selbst wirkt auf den schüchternen Bauingenieur Frank-Thomas anfangs nicht gerade wie die Traumfrau schlechthin. Er sagt rückblickend: „Susanne entsprach nicht meinem Beuteschema, meine Frau sollte eher dunkelhaarig und größer und auf jeden Fall irgendwie anders sein.“

Liste mit fünf Männernamen

Drei Jahre lang treffen sie sich immer mal wieder auf Seminaren, verstehen sich auch gut, harmonieren und lachen viel miteinander, kommen aber nicht auf die Idee, dass etwas Ernstes aus ihnen werden könnte. Bis zum Sommer 2011. Beide nehmen wieder gemeinsam an einer Tagung über Persönlichkeitsentwicklung teil, als Susanne auf Anregung der Leiterin beschließt, sich innerhalb der nächsten Woche zu verloben. Ernsthaft. „Du kennst doch genug Männer. Stell eine Liste auf mit fünf Namen und ruf sie an“, lautet der abgefahrene Tipp.

Susanne steigt tatsächlich darauf ein, sie war schon immer aufgeschlossen für verrückte Ideen und ist an einem Punkt in ihrem Leben angelangt, an dem sie auf Veränderung drängt. Sie ist Ende dreißig, sie will ein Kind. Und sie weiß, dass sie dafür nicht mehr jahrelang Zeit hat.

Dauersingle wünscht Familie

Auch Dauersingle Frank-Thomas wünscht sich Familie. Am Ende des Seminars nimmt er all seinen Mut zusammen, geht auf Susanne zu und fragt sie: „Wie wär’s mit uns beiden?“ Susanne ist baff und gleichzeitig glücklich, denn Frank-Thomas stand tatsächlich auf ihrer imaginären Männerliste. „Viele in unserem gemeinsamen Bekanntenkreis haben schon lange gesehen, dass wir gut zusammenpassen, nur wir beide waren dafür blind“, sagt sie.

Verliebt sind sie noch immer nicht, trotzdem geht jetzt alles ganz schnell. Er zieht noch am selben Tag von Düsseldorf runter zu ihr nach München, innerhalb einer Woche verloben sie sich. Sie werden ein Paar – auch im Bett.

Alles eitel Sonnenschein also? Nicht ganz, denn so ungewöhnlich wie ihre Beziehung begonnen hat, so typisch geht sie weiter. Mit der Zeit macht sich der Partnerschaftsalltag breit: Er ist genervt, dass sie die Marmeladengläser nie zuschraubt, sie kriegt zu viel, wenn er ihren Toast schon zehn Minuten vor dem Frühstück in den Toaster schiebt und sie dann kaltes Brot essen muss. Er fühlt sich fremd in ihrer sterilen Wohnung, sie wundert sich über seinen Putzplan.

Der Start ist kein leichter. Beide langjährigen Singles müssen sich erst daran gewöhnen, dass da jetzt plötzlich ein anderer ist, auf den Rücksicht genommen werden muss. Und zwar jeden Tag aufs Neue. Trotzdem halten sie an ihrem Ziel Familie fest, auf Verhütung verzichten sie von Anfang an. Nachdem beide in eine größere Wohnung gezogen sind und gemeinsam eine GmbH gegründet haben, kommt im Dezember 2012 Sohn Amadeus zur Welt.

„Was als Vernunftbeziehung begonnen hat, ist heute eine viel tiefere und liebevollere Verbindung geworden als ich mir je vorstellen konnte“, resümiert Susanne Wendel. Ihre heutigen Maßstäbe für eine gelungene Partnerschaft sind nicht mehr Gefühl und Optik, sondern die eindeutige Entscheidung füreinander und die Übereinstimmung von Zielen und Wertvorstellungen. Statt immer darauf zu warten, dass vielleicht „noch etwas Besseres“ kommt, rät sie unglücklichen Singles, ihr Glück ebenfalls selbst in die Hand zu nehmen.

Liebe ist auch eine Entscheidung

Über ihre Geschichte haben die beiden ein Buch geschrieben. Ein sehr offenes Dokument ihrer Beziehung, das ihre Höhen und Tiefen klar beschreibt und Momente tiefster Einsamkeit genauso offenbart wie großes Kleinfamilienglück. Die Reaktionen sind gemischt. „Vor allem Frauen, die selber Single sind und noch auf den Traumprinzen warten, reagieren sehr emotional auf unsere Beziehung,“ sagt Wendel. Viele distanzieren sich und sagen: Das geht ja gar nicht, so etwas würde ich nie machen. „Es kamen aber auch schon Zuschriften von glücklichen Paaren, die sich auf ähnliche Weise gefunden haben.“ Und die froh sind, dass endlich mal einer öffentlich darüber schreibt.

Die Geschichte von Susanne und Frank-Thomas mag abwegig sein, verrückt, mutig und ungewöhnlich. Und vielleicht ist sie gerade deswegen romantischer als viele andere Liebesgeschichten.