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Familie InterviewEltern zwischen Glück und Wahnsinn

Lesezeit 7 Minuten

Viola und Georg Cadeggianini mit Gianna, Elena, Camilla, Lorenzo, Gionatan und Jim. Nicht im Bild: Baby Ada.

Herr Cadeggianini, wie oft gehen Sie eigentlich auf die Toilette?

Georg Cadeggianini: Wieso?

Als siebenfacher Familienvater ist das doch der einzige Ort, an dem Sie Ruhe haben, oder?

Cadeggianini: Ja, das stimmt im Prinzip. Wir sind zum Glück vor einiger Zeit umgezogen und haben jetzt drei Bäder, was die Lage natürlich entspannt. Trotzdem funktioniert es im Familienalltag nicht immer, sich eine Auszeit zu nehmen. Obwohl sich jeder Erziehende solche Auszeiten zugestehen sollte, egal ob er eines oder sieben Kinder hat. Da entwickelt ja auch jeder seine eigenen Strategien. Ich habe schon von Leuten gehört, die sich einen Hund angeschafft haben, um mal öfter von zu Hause wegzukommen.

Sie haben lange Zeit mit ihrer Familie in einer 93 Quadratmeterwohnung gelebt. Statt Wohn- und Schlafzimmer gab es ein Jungs- und ein Mädchenzimmer, Sie und Ihre Frau haben in der Küche geschlafen. Wie geht man mit so wenig Platz am besten um?

Georg Cadeggianini, 36, hat mit seiner Frau Viola, 37, vier Töchter und drei Söhne zwischen 0 und 14 Jahren und lebt in München. Er ist Brigitte-Redakteur (momentan in Elternzeit) und Kolumnist bei WDR 5. Über sein Familienleben hat er das Buch „Aus Liebe zum Wahnsinn“ (Fischer Verlag, 9,99 Euro) geschrieben.

Cadeggianini: Dafür gibt es keine Geheimrezepte, es rumpelt eben oft. Uns hat es immer geholfen, die Kinder selbst zu fragen: Was wollt ihr? Die Töchter wollten zum Beispiel ein Schlafzimmer zu dritt. So konnten wir noch ein extra Spielzimmer rausschlagen. Man muss das Territorium einfach genau abstecken. Wir Eltern haben die Regel eingeführt, dass das Wohnzimmer spielzeugfreie Zone ist. Und inzwischen haben wir tatsächlich so einen kleinen Saugroboter. Der ist super, weil die Kinder dann vorher tatsächlich aufräumen müssen. Das alles klappt mal besser, mal schlechter. Wie in jeder Familie.

Sie haben einen 270-Liter-Laubsack im Flur stehen – für Dreckwäsche. Wie viele Maschinenladungen sind es pro Woche?

Cadeggianini: Seit einiger Zeit haben wir eine neue Waschmaschine mit einer zehn-Kilo-Trommel. Damit bewegen wir uns also schon im gewerblichen Gerätebereich, und tatsächlich kommen wir so meist mit etwa einem Waschtag, also sechs, sieben Ladungen pro Woche hin. Wir waschen nicht getrennt nach Farben, sondern nach Personen, das ist dann leichter beim Zusammenlegen der Wäsche. Und sonst wird eben zwischendurch nochmal gewaschen.

Organisierter Einkauf

Und wie ist der Lebensmittel-Einkauf organisiert?

Cadeggianini: Milch, Karotten und Kartoffeln holen wir auf dem Markt, den Rest einmal die Woche im Supermarkt. Wir haben auch keinen festen Essensplan für die Woche. Die Herausforderung ist doch: Wie flexibel ist das System?

Sie sind mit 22 Vater geworden und schreiben in Ihrem Buch, dass Sie in die Großfamilie ungeplant hineingeschlittert sind. Wie hat das Vatersein Sie verändert?

Cadeggianini: Die größte Sache, die sich verändert ist, dass man mehr Kontinuität im Leben braucht. Das klingt jetzt vielleicht konservativ, aber ein Säugling braucht eben alle drei Stunden etwas zu trinken und ein Kleinkind wacht eben meist um sieben Uhr oder noch früher auf. Diese Kontinuität ist die einschneidenste Veränderung. Bevor ich Vater wurde habe ich mir vorgestellt, dass das Familiewerden alles auf den Kopf stellt, aber das ist nicht so. Ich finde es beruhigend, dass man irgendwo doch man selbst bleibt. Allerdings wird man plötzlich vollkommen anders gefordert.

Was meinen Sie genau?

Cadeggianini: Als Vater erfährt man viel über sich selbst, weil man sich plötzlich in ganz anderen Kontexten erlebt. Die Amplitude geht auf – sowohl ins Positive als auch ins Negative. Plötzlich geht es um mehr, als um einen selbst und das ist spannend. Es wäre verlogen zu sagen, dass im Familienleben nur eitel Sonnenschein wartet. Mit Kindern erlebt man sich brüllend, kommt an die Grenzen seiner Nerven und darüber hinaus. Man wird ständig überfordert.

Was ist ein guter Vater?

Was macht einen guten Vater aus?

Cadeggianini: Viele Väter tappen in die Falle, dass sie nur als Handlanger der Mütter agieren, und das ist dann für beide nicht einfach. Vielen Müttern fällt es aber auch schwer, den Partner einfach mal machen zu lassen, egal wie die Wohnung dann aussieht. Den Familienalltag zu teilen, mehr zu machen als ab und zu die Spülmaschine auszuräumen, ist eine große Entwicklungsaufgabe. Für Väter ist es oft schwer, eine verantwortungsvolle Rolle zu finden.

Woran liegt das?

Cadeggianini: Der Anspruch, dass der Mann Karriere macht, ist heute immer noch da. Das Idealbild ist der liebevolle Karrierist, sich davon zu emanzipieren ist nicht leicht. Die große Aufgabe ist, zu lernen, dass nicht alles gerade läuft – und auch nicht laufen muss. Das gilt für Beruf wie für Familie, für Eltern wie Kinder. Perfekt sein kann letztlich jeder, wenn er lange genug Zeit hat. Viel wichtiger ist es, die für sich selbst wichtigen Schwerpunkte zu setzen.

Welche Dinge sollte jeder Vater mit seinem Kind erlebt haben?

Cadeggianini: Wichtig finde ich den echten Dialog eins zu eins. Als Eltern nicht nur Fragen zu stellen, sondern auch von sich selbst zu erzählen. Sich wirklich auf die Beziehung einzulassen, das gelingt natürlich nicht immer. Aber es schafft echte Nähe.

Konkret, gibt es da etwas in Ihrer Familie? Mit jedem Kind einen Staudamm bauen, zum Beispiel?

Cadeggianini: Und den Punkt dann abhaken, oder wie? Nein. Wichtig ist dass Kinder auch mal was ohne die Eltern machen und umgekehrt. Kinder müssen auch mal in Ruhe gelassen werden. Ich habe das Gefühl, dass Eltern heute eher Gefahr laufen, zu viel draufzuhocken auf ihren Kindern. Das ist nicht gut, das Kind nimmt dann irgendwann nur noch eine bestimmte Rolle von mir wahr. Ich möchte, dass meine Kinder zum Beispiel auch den Arbeitnehmer und den Ehemann in mir sehen, und nicht nur den Staudamm-bauenden Vater. Den ganz normalen Menschen eben.

Geheimwaffe Buttermilch mit Mango

Apropos Ehemann. Wie geht man als Mann am besten mit einer Schwangeren um? Nach sieben miterlebten Schwangerschaften müssten Sie auf diesem Gebiet Profi sein.

Cadeggianini: Die Geheimwaffe in unserer Familie ist Buttermilch mit Mangosaft. Die hat meine Frau während ihrer Schwangerschaften geliebt.

Gibt’s die fertig zu kaufen?

Cadeggianini: Nein, Buttermilch aus dem Kühlregal, dazu Mangosaft. Der ist zwar etwas teuer, aber davon braucht man auch pro Getränk nicht viel. Ansonsten behandelt man die Schwangere einfach nett. Dem Mann muss klar sein, dass die Frau für bestimmte Zeit in einem anderen Rhythmus lebt. Im Idealfall sieht man die Schwangerschaft als Chance. Für mehr Nähe, mehr Zweisamkeit.

Wie viel von sich selbst geben Sie für Ihre sieben Kinder auf?

Cadeggianini Wir stemmen die Verantwortung zu zweit und ich sehe das alles nicht als Blockade meines eigenen Lebens. Ob da nicht auch Selbstbetrug mit drin steckt, weiß ich nicht. Natürlich gibt es viel, was einen nervt. Wenn man dreimal am Tag die Spülmaschine ausräumen muss, zum Beispiel, aber solche Momente gibt es auch in jedem Job. Viola und ich versuchen die Freiheiten, die wir haben, zu nutzen. Jetzt am Wochenende gehen wir zum Beispiel zu Freunden auf ein Fest, Baby Ada nehmen wir im Tragetuch mit und zu Hause wird die Babyphone-App eingeschaltet. Natürlich besteht immer die Gefahr, sich selbst oder die Partnerschaft aus den Augen zu verlieren.

Aber das kann auch schon mit einem Kind passieren.

Cadeggianini: Oder sogar ohne Kind. Wer 60, 70 Stunden in der Woche arbeitet, ist auch nicht davor gefeit. Die Frage ist doch immer, wie gehe ich um mit den Talenten, die ich habe? Familie kann den Anspruch an sich selbst fokussieren. Wer wenig Zeit hat, muss sich fragen: Was ist mir wirklich wichtig? Was aber nicht heißt, dass ein verbummelter Sonntagnachmittag ab und zu nicht auch dazu gehören kann.

Was ist das Schönste an Kindern?

Cadeggianini: Ich finde es toll, wenn sie ihren Eigensein entwickeln und wenn man die Zeit hat, das zu bestaunen. Die Persönlichkeit, die Eigenarten. Mein sechsjähriger Sohn Gionatan hat mir zum Beispiel stolz von seinem ersten Basketballtraining erzählt: „Wir haben 0:0 gewonnen.“ Oder Gianna, sie ist 14 und hat gerade ihren ersten eigenen Film gedreht, noch sehr unperfekt. Aber es ist super dabei zu sein, wenn die Kinder plötzlich Kontur bekommen. Natürlich erwische ich mich dabei, dass ich nicht immer die Geduld dafür habe.

Und was ist das Nervigste?

Cadeggianini: Kinder sind oft nervig, vor allem wenn es nicht die eigenen sind. Persönlich nervt mich diese Regelvernarrtheit von Kleinkindern. „Aber ihr habt doch gesagt, dass…“ Das ist eben der Preis, den man für das Aufstellen von Regeln zahlen muss.