Gläschen-AlternativeFrischer Babybrei kommt per Lieferservice

Frischen Brei gibt es jetzt im Supermarkt.
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Bei der Babynahrung gibt es seit Jahrzehnten zwei Alternativen: Entweder die sogenannte Beikost selber kochen oder Gläschen aufdrehen. Deshalb erscheint es wie eine Revolution in dieser Nahrungsmittelsparte, dass jetzt in Deutschland erstmals frischer Brei auf den Markt kommt. Zwei kleine Unternehmen spielen mit auf dem Feld, dass sich bisher Hipp, Nestlé und einige andere Großproduzenten teilen. Zwei Düsseldorfer Jungunternehmer produzieren unter dem Markennamen „Frohkost“ seit einigen Wochen gekühlten Biobrei, der per Lieferservice nach Hause gebracht wird. Und über den Online-Shop von „Babyviduals“ mit Firmensitz in Nürnberg können sich Eltern seit wenigen Tagen tiefgekühlten Brei nach Hause schicken lassen.
Hauptargument beider Hersteller ist neben der Qualität von Frischgekochtem vor allem der Verzicht auf Zusatzstoffe und der bessere Geschmack. „Wer sich selbst frisch und gesund ernährt, wem Geschmack und Genuss wichtig ist, der kann mit Gläschenkost seine Probleme haben“, sagt Frohkost-Mitgründer Oliver Schoofs. Diese Diskussion kennen alle Eltern, die sich selbst wahrscheinlich als kulinarisch aufgeschlossen beschreiben und kritisch, was Inhaltsstoffe, Zubereitungsart und Herkunft der Zutaten angeht. Schon reinsortige Startergläschen Karottenbrei erscheinen aromatisch dumpf und erinnern kaum an das, was drin ist; die Menüsorten aus Gemüse, Nudeln oder Reis, Fleisch oder Fisch bringen nur wenig mehr Geschmack, der bisweilen mit erlaubten Mengen Salz gehoben wird. „Das Herstellungsverfahren ist ein Geschmackskiller“, sagt Babyviduals-Chef und Lebensmittelingenieur Wolfgang Pöhlau. „Die Gläschenkonserve ist ein Verfahren aus der Zeit Napoleons, die sich seither nicht verändert hat. Fertiger Brei wird abgefüllt, verschlossen und über längere Zeit erhitzt, um alles zu sterilisieren, sprich: ein zweites Mal gekocht. Das ist weder für die Inhaltstoffe noch für das Aroma förderlich.“
„Bahnbrechende Neuheiten“
Die Angebote werden in Fachkreisen aufmerksam beobachtet. Professorin Mathilde Kersting, stellvertretende Leiterin des Forschungsinstituts für Kinderernährung Dortmund (FKE) nennt sie „bahnbrechende Neuheiten“. Das Institut ermittelt derzeit sogar in einer eigenen Studie unter dem Titel „Babygourmet“, ob und wie Tiefkühlung die Beikost für Säuglinge optimieren kann, etwa ob so der Geschmack der Kinder positiv geprägt wird. Dabei werden verschiedene ernährungsphysiologisch und sensorisch optimierte Tiefkühlbreie entwickelt und in Tests erprobt. Ein Fokus liegt auch auf den Marktmöglichkeiten. Laut FKE haben es Innovationen in Deutschland schwer. Abgesehen von den Hürden, die der Handel riskanten Neuprodukten aufstellt, sind auch Eltern zu vertraut und gewöhnt an den praktischen Brei aus dem Glas, den laut Statistik ein Großteil der Säuglinge im Alter zwischen sechs und zwölf Monaten bekommt. Zu etabliert sind Marken und Hersteller, die diese Sparte des Ernährungsmarkts sicher und mit großem Sortiment abdecken.
Zusatzstoffe und Zutaten
„Das Gefühl von Eltern mit der herkömmlichen fertigen Babyernährung eine Sicherheit zu haben, ist sehr stark. Um das aufzubrechen, brauchen Neuprodukte überzeugende Vorteile bis hin zur Praktikabilität“, sagt Kersting. Da kommen wieder der Geschmack und Zusatzstoffe ins Spiel. Die Rezepturen, die sich an den Beikost-Rezepten des FKE orientieren, verzichten auf Zusatzstoffe und Zutaten wie Reismehl zur Verdickung, Zucker, Salz oder Saftkonzentrat für Fruchtbreie. Eine Geschmacksprobe der Magazin-Redaktion zeigte, dass die Breie deutlich nach Gemüse und schwach fleischig schmecken. Das Aroma ist wie bei selbstgekochtem Brei ohne Würzmittel mild, er schmeckt natürlich und hat eine angenehme Sensorik. Die Fruchtbreie sind ohne Stabilisatoren recht flüssig und schmecken klar nach den verarbeiteten Obstsorten.
Trotzdem – ohne Gläschen geht es bei der deutschen Babykost erstmal nicht, auch wenn die Fachleute vom FKE für Selberkochen plädieren, oder eben für das neue Nischenprodukt: „Unsere Hypothese ist, dass die geschmackliche Variation bei solchen Breien, sprich der Frische-Charakter es ermöglicht, dass Kinder die Lebensmittel natürlicher wahrnehmen. Eine größere Variation an Geschmack soll später auch zu einer größeren Akzeptanz von neuen Lebensmitteln führen“, sagt Kersting. Und das Prinzip der gekühlten oder tiefgekühlten Babykost lasse einen eher natürlichen Geschmack erwarten. Vielfalt und Aufgeschlossenheit als Schlüssel zu gesunder Ernährung. Aber ein großes ernährungsphysiologisches Plus kann bisher noch für keine Zubereitungsart verbucht werden – wie sehr man sich das als Eltern auch wünschen mag. „Wir brauchen noch wissenschaftliche Belege dafür, dass frisch gekochter Brei oder gekühlter oder tiefgekühlter Brei im Vitamingehalt den Gläschen eindeutig überlegen ist“, räumt Kersting ein.
Frisch und bio ist Lifestyle
Um sich vom Massenmarkt abzuheben, setzen Oliver Schoofs und sein Partner Julien Tischer bei Frohkost deshalb auch auf ein bestimmtes Lebensgefühl. Mit ihrem Online-Auftritt wollen sie sich deutlich von der großen Gläschen-Welt abheben. Ihre grafische Fröhlichkeit kündet von einer anderen Stil-Generation als die Großproduzenten mit der etwas betulichen Happy-Family-Optik. Botschaft: Frisch und bio ist eben auch Lifestyle und ein Dauertrend – den man sich leisten können muss. „Wir schaffen ein Premiumangebot für Kunden, die ein frisches und geschmackvolles Produkt in Bio-Qualität wollen“, so Schoofs – und das hat seinen Preis. Ein 220-Gramm-Päckchen Brokkoli-Pastinake-Reis-Hühnchen kostet 2,99 Euro, gut doppelt so viel wie ein Marken-Gläschen. Zudem ist das Frohkost-Sortiment mit nur zehn Frucht-, Gemüse- und Gemüse-Fleisch-Breien noch winzig.
Pürees in Bio-Qualität
Babyviduals hat immerhin 16 Artikel im Programm. Aber Geschäftsführer Wolfgang Pöhlau hat sowieso ein komplett anderes Brei-Konzept geschaffen. Er stellt Pürees in Bio-Qualität her, Gemüse oder Rindfleisch werden dampfgegart, zerkleinert und ohne Zusätze in kleinen Einheiten schockgefrostet. Die Tiefkühlung, so der Lebensmittelingenieur, bewahre Inhaltsstoffe und den Geschmack so natürlich wie möglich. „Wir möchten Eltern, die frischen Brei bevorzugen, aber nicht zum Selberkochen kommen, die größtmögliche Freiheit bieten“, sagt Pöhlau. Babyviduals funktioniert als Baukastensystem, bei dem man selbst kombiniert: Etwa drei Portionen Kartoffel, sechs Zucchini und etwas Rindfleisch werden erwärmt und hochwertiges Öl eingerührt. Auch dieses Angebot liegt im Preis deutlich über dem für herkömmliche Gläschen.
Trotzdem breitet Pöhlau sein Vertriebsgebiet seit dem Markteintritt vor vier Jahren langsam, aber sicher aus; jetzt soll der Online-Shop den bundesweiten Verkauf eröffnen, noch bevor die Handelspartner nachziehen. Auch die Frohkost-Macher wollen in die großen Märkte, kündigt Schoofs an. „Bis dahin soll unser Lieferservice mit dem kleinen Zeitfenster abends auch ein Mehrwert für die Kunden sein.“