In Sachen LiebeMuss ich unangekündigten Familienbesuch erdulden?

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Der Arm einer Person, die an einer Haustür klingelt

Und schon wieder klingeln die Verwandten ohne Ankündigung. Wie verhalte ich mich in einer solchen Situation am besten?

Plötzlich steht die Familie vor der Tür. Und das passiert ständig. Psychotherapeutin Désirée Beumers erklärt, wie wir damit umgehen.

Mein Bruder kommt mit seiner Großfamilie oft unangekündigt zu Besuch. Meist bleiben sie sehr lange, so dass wir manchmal unsere eigenen Pläne über Bord werfen – wie kann ich ihm sagen, dass das zu viel für mich ist?

In Familien gelten oft unausgesprochene Regeln für das Miteinander, die nicht alle Familienmitglieder gutheißen. Trotzdem werden sie regelhaft einfach so hingenommen. Warum tolerieren wir bei Familienmitgliedern oft ein Verhalten, das wir Freundinnen und Freunden nicht durchgehen lassen würden?

Désirée Beumers

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Es ist von Mensch zu Mensch individuell, wie viel Rückzugs- und Schonraum er oder sie braucht, eine „richtige Menge“ davon gibt es nicht. Wenn Ihnen die Art und Weise, wie Ihr Bruder Sie besucht, zu viel ist, dann ist es zu viel. Es gibt keine Notwendigkeit, sich zu rechtfertigen oder sich gar schuldig zu fühlen, denn Ihre Wohnung oder Ihr Haus ist Ihr „safe space“, also der Ort, an dem Sie und alle, die sonst noch dort wohnen, sich geborgen und sicher fühlen sollten. Dazu gehört es auch, dass dieser Ort ein Rückzugsort ist, an dem die Bedürfnisse aller Bewohnerinnen und Bewohner beachtet werden müssen. Dies kann nur passieren, indem Sie den Ort schützen, an dem sich alle geschützt fühlen sollen.

Unangekündigte Dritte, die sich ungefragt Zutritt verschaffen, können diese Atmosphäre der Geborgenheit stören. Unangekündigte Besuche sind so zu behandeln wie Telefonanrufe: Nur weil es klingelt, haben Sie noch lange nicht die Verpflichtung, auch zu antworten. Das nächste Mal, wenn Ihr Bruder einfach so vor der Tür steht, seien Sie mutig und sagen Sie ihm, dass es Ihnen gerade nicht passt. Das ist völlig legitim. Erfinden Sie keine Ausreden, weichen Sie nicht aus. Kommunizieren Sie Ihre Grenzen klar und direkt.

Viele Leute scheuen sich davor, dies zu tun aus Angst, ihr Gegenüber zu verletzen. Doch ein klares Kommunizieren der eigenen Grenzen hat zur Konsequenz, dass wir den Personen in unserem Leben, die uns wichtig sind, klarmachen, auf welche Art und Weise wir gerne mit ihnen in Kontakt bleiben möchten – Spielregeln im persönlichen Umgang sozusagen. Das führt dazu, dass wir sie wohlwollend an unserem Leben teilnehmen lassen können.

Grenzen kommunizieren, Karten auf den Tisch legen

Das gilt nicht nur dafür, dass Sie sich von Ihrem Bruder wünschen dürfen, seine Besuche in Zukunft anzukündigen – eine treffendere Formulierung wäre hier sicher: dass Ihr Bruder in Zukunft mit Ihnen abstimmt, wann er Sie besuchen kommt. Es ist zudem auch Ihr gutes Recht, seine Besuchszeit zu beschränken. Ein Kaffeetrinken am Nachmittag ist okay, aber zu Abend würden Sie gerne wieder alleine essen anstatt mit ihm und all seinen Familienmitgliedern? Es ist in Ordnung, das so zu empfinden und auch auszusprechen. Auch Ihr Bruder möchte sicherlich, dass Sie sich mit seinem Besuch wohlfühlen, und ich wage zu behaupten, dass jeder Mensch lieber für ein paar Stündchen herzlich willkommen ist, als über einen ganzen Abend lediglich toleriert zu werden.

Laden Sie Ihren Bruder doch mal ein. Nur er und Sie, in ganz entspannter Atmosphäre. Vielleicht beginnen Sie damit zu sagen, wie sehr Sie es schätzen, dass Ihr Bruder sich solche Mühe gibt, einen guten Kontakt zu Ihnen zu pflegen und dass Sie dankbar sind, so eine enge Beziehung zueinander zu haben – in der es eben auch gestattet ist anzusprechen, was schwierig ist. Wenn Sie es sich dann trauen, Ihre Grenzen zu kommunizieren, liegen die Karten auf dem Tisch, und alle wissen genau, woran sie sind. Das entspannt alle Beteiligten. Also: Geben Sie sich die Erlaubnis, nach Ihren eigenen Regeln zu leben. Nur Mut!

Unser Team von Expertinnen und Experten beantwortet Ihre Fragen in der Zeitung. Die Psychotherapeuten Désirée Beumers, Carolina Gerstenberg und Daniel Wagner sowie die Diplom-Psychologinnen Elisabeth Raffauf und Katharina Grünewald sind versiert in der Beratung rund um Liebe, Beziehung und Partnerschaft. Der Urologe Volker Wittkamp kennt sich mit allem aus, was Liebe mit unserem Körper macht – und umgekehrt. Schreiben Sie uns, was Sie in der Liebe bewegt! Ihre Zuschriften werden anonymisiert weitergegeben. Schicken Sie Ihre Frage an: in-sachen-liebe@dumont.de.

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