„K nnt ih mich hö en?“Comedian Herr Schröder über Online-Unterricht während Corona

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Der Online-Unterricht war nicht nur für die Schüler und Schülerinnen nervig. Auch die Lehrer hatten Probleme. 

Köln – Herr Schröder ist zurück. In seinem ersten Buch „World of Lehrkraft“ gab Johannes Schröder bereits einen amüsanten Einblick in den Schulalltag. Mit „Instagrammatik. Das streamende Klassenzimmer“ arbeitet er nun die Zeit des Distanzunterrichts während Corona und die mehr oder weniger voranschreitende Digitalisierung an den Schulen humorvoll auf. Schröder ist tatsächlich Deutschlehrer und hat zwölf Jahre unterrichtet, bevor er die Schule verließ und Comedian wurde. Für seine fiktiven Geschichten bedient er sich aus seiner Erfahrung. 

Vorneweg: Es tut irre gut, einmal über den Wahnsinn der vergangenen anderthalb Jahre lachen zu dürfen. Kinder zuhause, Eltern auch, wer bringt den Kids nun alles bei? Distanzunterricht. Was war das für eine seltsame Zeit.

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Herr Schröder: Instagrammatik. Das streamende Klassenzimmer, Ullstein Verlag, 10 Euro

„Nach dem lauten Gong letztes Jahr haben hoffentlich alle die 'große Pause' einigermaßen unbeschadet überstanden. Das Leben hat uns einen unangekündigten Test vor die Nase gelegt, und wir kamen alle mächtig ins Schwitzen. Schließlich hatten wir niemanden zum Abschreiben. Stifte raus, alles weg vom Tisch und 1,50 Meter Abstand vom Sitznachbarn. Keinen Lektüreschlüssel, keinen Spickzettel", schreibt er im Prolog des Buches. Und weiter: „Zugegeben: Dieser Test wurde gründlich in den Sand gesetzt, und wir sind immer noch alle stark versetzungsgefährdet. Ein 'Mangelhaft‘ in den entscheidenden Zukunftsdisziplinen. Dazu muss man wissen, dass vor allem wir Lehrerinnen und Lehrer seit jeher, was die Bereitschaft zur Veränderung angeht, eine gewissen Herdenimmunität aufweisen.“

Frontalunterricht muss live stattfinden!

Vor allem für die Lehrer war der Online-Unterricht eine Herausforderung, denn: „Frontalunterricht muss live stattfinden!“ Gut getroffen ist die Überschrift zum Kapitel Online-Unterricht: „K nnt ih mich hö en?“, in dem es viel um eingefrorene Bilder und ausgestellte Kameras geht. Herr Schröder erzählt von einer fiktiven Deutschstunde im Internet: „‘Hallo? K nntt i r mi h hö nnnnn?‘ 15 mäßig motivierte Quadrate schauen mich an. Ein paar heben den Daumen. ‚Justin, was machst du in Los Angeles?‘ ‚Urlaub, Herr Schröder.‘ ‚Herr Schröder, man kann hier einfach die Hintergründe ändern. Außerdem ist die Golden Gate Bridge in San Francisco.‘ ‚Danke, Anastasia. Bei euren müden Gesichtern würde ich mir wünschen, man könnte den Vordergrund austauschen. Geht das auch?‘ ‚Mega funny, Herr Schröder.“

Er sinniert darüber, was den Schülern und ihm selbst am meisten fehlt: „Gott, euch muss das Rumtollen ja fehlen und alles, so Unterricht ohne Spuckrohr und Tafelschwamm, was soll das sein? So verrückt. Es ist das erste Schuljahr mit digitalem Klassenbuch. Ohne haptische Offline-Version. Nix mehr zum Blättern, Knicken und Wütend-auf-das-Pult-Knallen. Wisst ihr, wie viele Ausdrucksmöglichkeiten mir da verloren gehen?“ Um ein bisschen analogen Zusammenhalt in den Online-Unterricht zu bringen, möchte er Schröder, dass jeder Schüler in seinem Quadrat aufsteht, dem Nachbarn seinen Hand auf die Schulter legt und sagt: „Schön, dass du da bist.“ Ein Schüler schaltet sich ein: „Das geht nicht, wir haben alle eine unterschiedliche Bitrate.“ War echt nicht einfach, diese Zeit des Online-Unterrichts.

Nach den Sommerferien soll es auch an der fiktiven Helene-Fischer-Gesamtschule, an der Herr Schröder Deutsch und Englisch unterrichtet, wieder normal weitergehen. Als das Kollegium, das Schröder konsequent „Cholerikum“ nennt, nach den Ferien wieder zusammen kommt, geht es natürlich um die Lieblingsdisziplin aller Lehrer und Lehrerinnen: „Reiseanekdoten austauschen und vorsichtig den nächsten Urlaub anvisieren. Die beweglichen Ferientage strategisch so legen, dass man über ein Viadukt an Brückentagen direkt in die Adventszeit gleitet.“ Alle erzählen von ihrem Urlaub, die Klischees fliegen nur so durch die Gegend. „Ich schnappe ein paar Gesprächsfetzen auf: ‚Einmalige Ferienwohnung, alles Terrakotta‘. ‚Türkei, aber sauber‘. ‚Diesmal nur Eifel wegen der Kleinen‘. ‚Geheimtipp aus dem Lonely Planet, war aber sehr voll‘. ‚Mallorca, Binnenland natürlich‘.“

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Und dann steht – ein Glück – der oft geübte Präsenzunterricht wieder an. Herr Schröder freut sich, dass er sein Wissen wieder besser und widerstandsfreier verbreiten kann: „Wenn es dir vor der Webcam zu viel wird, kannst du den Laptop einfach zuklappen und behaupten, deine Verbindung wäre instabil. Im Präsenzunterricht bleibt dir allerhöchstens die innere Emigration. Heimspiel für mich.“ Blöd nur, dass die neue, junge Schulleiterin Anne Windkamp den Unterricht und die Abläufe gegen den Willen der etablierten Lehrkräfte modernisieren und digitalisieren will. Sie lässt zum Beispiel auch die Türen aus dem Lehrerzimmer entfernen und macht es so zur Begegnungslounge für Schüler und Lehrer, ganz ohne Absperrung sozusagen. „Als hätte man bei einem Computer die Firewall rausgenommen“, meinen die Kollegen zu dieser Idee der Durchmischung. 

Warum gibt’s den Link in Bio – und nicht in Deutsch oder Geschichte?

Auch sonst hat sich einiges geändert an der Helene-Fischer-Gesamtschule. Vor allem soll alles digitaler werden. Herr Schröder, der gerade zum ersten Mal eine Dienst-E-Mail verfasst hat, hat Fragen: Was ist eigentlich TikTok? Warum gibt’s den Link in Bio – und nicht in Deutsch oder Geschichte? Was ist eine Fail Compilation? Und was ist ein Shitstorm? Er lernt viel von seinen Schülern, zum Beispiel wie die Sozialen Medien funktionieren. Über der ganzen Schulgeschichte liegt noch eine Art Verschwörung der neuen Direktorin mit zwei anderen Lehrern, die Schröder mit seinen Schülern aufdeckt. Auch hier spielt die unerwünschte Digitalisierung eine große Rolle.

Angeheizt von den neuen Möglichkeiten des Internets will Herr Schröder selbst Klickmillionär werden. Um zu erfahren, wie das geht, trifft er sich mit den Oberstufenschülern an der Bushaltestelle neben der Schule, ein bisschen unsicher, wie er sich „in freier Natur“ mit ihnen zu verhalten hat und welche Regeln außerhalb des Schulgebäudes gelten. „Als ich mich nähere, sitzen die Teenager stumm da, als würden sie für eine Langzeitbelichtung posieren. So viel ist klar: Der Anführer ist immer der, der auf der Lehne sitzt, also höher als alle anderen und natürlich mit den dreckigen Sneakern auf der Sitzfläche.“

Schröder versucht, sich bei den Schülern einzuschleimen, weil er auf ihre Hilfe angewiesen ist. Sie sollen ihm ein Instagram-Profil anlegen, mit dem er viele Follower gewinnen kann. Weil er denkt, dass er so mit den Jugendlichen auf Augenhöhe kommt, sagt er so peinliche Dinge wie „Lol, Jan, ganz großes Thema. Das große ROFL meinerseits.“ (ROFL ist die Abkürzung für rolling on floor laughing, die man seit Jahren nicht mehr benutzt). Das ist so eine Stelle, wo man einfach nicht genau weiß, wie sehr Johannes Schröder und Co-Autor Simon Slomma sich über die vermeintliche Jugendsprache lustig machen oder ob sie vielleicht tatsächlich denken, die jungen Leute benutzten diese Ausdrücke. Solche Momente gibt es im Buch öfter. Im Großen und Ganzen bleibt der Tonfall aber ironisch-subtil und es macht Spaß, der Geschichte zu folgen.

Auf Instagram findet man ihn unter #korrekturensohn

Als er immer weiter in die digitale Welt vordringt, erkennt Herr Schröder schließlich, dass er die Schüler auf die neue Welt und die neue Sprache vorbereiten muss. Er vergleicht sich dabei mit Sokrates und der Erfindung der Handschrift. „Wir Lehrer können doch bei der Erfindung der zweiten Handschrift nicht einfach hingehen und sagen: ‚Unterstreicht mal die Adjektive!‘ Es braucht ein neues Regelwerk für den digitalen Raum. Eine neue Grammatik. Eine Instagrammatik“ – womit dann auch der Titel des Buches erklärt wäre.

Mit seinem Deutsch-Grundkurs nimmt er schließlich am Wettbewerb der Schulen um „Die Goldene Webcam“ teil, der besonderen digitalen Fortschritt würdigen soll. Bei dieser Veranstaltung kommt es zu einer Enthüllung und zu einem spannenden Showdown mit der ambitionierten jungen Direktorin. Und Herr Schröder ist auf dem Weg, wirklich zum Klickmillionär zu werden. Einen Namen auf Instagram hat er schon: #korrekturensohn (den Account gibt es wirklich). 

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