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Jutta Allmendinger, Menno SmidWie bewahren wir uns den Zusammenhalt in der Krise?

Lesezeit 6 Minuten
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Prof. Dr. h.c. Jutta Allmendinger Ph.D. ist Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB).

  1. Ohne Vertrauen lässt sich Corona nicht besiegen. Vertrauen rettet Leben und hält unsere Gesellschaft zusammen.
  2. Doch was entscheidet darüber, wer als glaubwürdig angesehen wird und wo liegen die Gefahren, wenn das Vertrauen sinkt?
  3. Darüber haben wir mit Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung, und Menno Smid, Geschäftsführer des infas Institut für angewandte Sozialwissenschaft, gesprochen.

KölnFrau Allmendinger, Herr Smid, auf welchem Fundament basiert in einer Zeit wie dieser, in der es um die eigene und die Gesundheit der anderen geht, der gesellschaftliche Zusammenhalt?

Jutta Allmendinger: Das Zauberwort heißt Vertrauen. Vertrauen ist nichts, was Menschen haben oder nicht haben. Es steckt zwischen uns, in unseren Beziehungen. Vertrauen ist auch nicht blind. Es beruht auf einer Kombination von Wissen und Kontrollierbarkeit. Mit den Daten der Vermächtnisstudie haben wir wiederholt festgestellt, dass es um das Vertrauen der Menschen in Deutschland so schlecht nicht steht, darauf konnte man aufbauen. In diesen Wochen wird den Menschen auch viel Wissen zur Verfügung gestellt. Die Lage scheint kontrollierbar, wenn man zusammenhält.

Wem vertrauen die Menschen in solch langandauernden, jeden einzelnen gefährdenden Zeiträumen?

Jutta Allmendinger: Sie vertrauen Menschen, die sich informieren, entscheiden, und ihre Entscheidungen gut vermitteln. Die Bundeskanzlerin stellte sich früh vor die Presse und erklärte uns allen die Exponentialfunktion. Und sie zeigte einen Weg, wie wir die Ausbreitung von Infektionen bremsen können. Sie sprach dabei auch als Naturwissenschaftlerin. Das überzeugte.

Haben Wissenschaftler und Ärzte bedingt durch Corona eine höhere Glaubwürdigkeit und einen anderen Stellenwert als bisher und rangieren sie als Vertrauenspersonen höher als Politiker?

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Menno Smid ist Geschäftsführer des infas Institut für angewandte Sozialwissenschaft.

Menno Smid: In den ersten Wochen der Pandemie waren wir stärker als sonst auf das Wissen der Virologie angewiesen. Und auch in diesen Tagen hat man noch den Eindruck, dass insbesondere die Virologen die Ingenieure des Weltgeschehens sind. Erst langsam kommt die Ökonomie ins Blickfeld, langsam auch die Sozialwissenschaften und die Psychologie. In einer Situation, die unser Leben so radikal verändert, sind die Disziplinen aber nur gemeinsam stark. Die Bevölkerung muss es dabei aushalten, dass wir auch innerhalb der Wissenschaft „streiten“, testen, Ergebnisse verwerfen, Erkenntnislücken offenlegen.

Sie sprechen von Erkenntnislücken?

Menno Smid: In der Tat. Wir wissen sehr viel über das Virus, aber sehr wenig über seine gesellschaftliche Verbreitung und seine tödliche Wirkung. Wir kennen beispielsweise nicht die korrekte Sterblichkeitsrate der Infizierten, weil wir die Zahl der Infizierten nicht bestimmen und auch nicht schätzen können. Daher spiegelt die offizielle Zahl der Infizierten die Testaktivität im Land wider. Und diese ist in Deutschland sehr viel höher als in anderen Ländern. Das ist auch möglicherweise der Grund, warum in Deutschland die Anzahl der Toten geringer ist als in anderen Ländern. Ferner ist unbekannt, ob jemand, der infiziert ist und verstirbt, tatsächlich an Covid-19 gestorben ist oder an anderen Krankheiten, was die höhere Todesrate bei Älteren erklären könnte. Schließlich weiß man sehr wenig darüber, wen es besonders trifft. Wir brauchen dringend bessere epidemiologische Daten.

Es scheint, dass Hilfsbereitschaft und Aufmerksamkeit für andere und das Umfeld zugenommen haben. Geschieht das aus Einsicht oder aus Angst – und wird es Bestand haben?

Jutta Allmendinger: Nun, in vielen Bereichen hat das Wissen um die anderen zugenommen. Nehmen Sie nur die systemrelevanten Berufe. Über diese wird in allen Facetten und mit vielen Beispielen hinterlegt berichtet. Das erzeugt Aufmerksamkeit und Hilfsbereitschaft. Jetzt gilt es, institutionelle Formen zu finden. Dazu gehören entsprechende Tarifabschlüsse, starke Unterstützung einer zweiten beruflichen Ausbildung für Berufe, in denen Fachkräfte fehlen, Werbung für ein soziales Jahr.

Wir haben über Vertrauen gesprochen. In welchen Bereichen stellt sich Misstrauen ein, gegen wen und warum?

Jutta Allmendinger: Im Moment sehen wir wenig Misstrauen. Zwar streitet man sich darum, wann, wie und für wen die Ausgangsbeschränkungen gelockert werden können; das aber ist ein Zeichen für eine funktionierende Demokratie. Wir müssen trotzdem aufpassen. Denn viele gesellschaftliche Gruppen geben einander einen großen Vertrauensvorschuss. Die Jungen verzichten auf Schule und Freunde und vertrauen darauf, dass die Älteren später für das Klima und eine lebenswerte Zukunft auf ihre Dieselmotoren verzichten und sich für die Alterssicherung der folgenden Generationen einsetzen werden. Erwerbstätige Eltern leisten im Moment besonders viel und hoffen, dass sie später entsprechend unterstützt werden. Ärmere Menschen vertrauen darauf, dass sie die gleiche medizinische Behandlung erfahren werden wie die reicheren Menschen, die es in Deutschland zuerst getroffen hat. Jeder Weg aus der Krise muss diese Vorleistungen berücksichtigen.

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Die Bevölkerung wird seit Wochen auf Distanz zu anderen getrimmt – werden wir dieses Verhalten beibehalten?

Menno Smid: Es geht um räumliche Distanz, emotionale Nähe soll ja gerade erhalten bleiben oder sich sogar aufbauen. In einigen Bereichen wird die räumliche Distanz auch nach der Krise bleiben. Wir haben in diesen Wochen gelernt, mit digitalen Techniken umzugehen, wissen, dass wir nicht gleich in den Flieger zum nächsten Termin steigen müssen. Auch Homeoffice wird zunehmen. In anderen Bereichen wird sich emotionale Nähe wieder in körperlicher Nähe zeigen. Wir werden Hände schütteln, uns umarmen, in Restaurants sitzen und auf Veranstaltungen gehen. Das alles dauert noch, aber es wird kommen.

Viele reden sich die staatlich verordnete Isolation schön – weniger Hetze, mehr Zeit für die Familie etc. Wird damit die Angst betäubt oder sind diese Gefühle echt?

Jutta Allmendinger: Na ja, was heißt schon viele. Die Unterschiede zwischen den Menschen sind gravierend. Menschen mit festen Jobs können die neue Zeit sicherlich auch genießen. Was aber ist mit jenen, die in Kurzarbeit sind und um den Verlust ihres Arbeitsplatzes bangen? Was mit den Selbständigen, die nicht wissen, ob sie je wieder auf die Beine kommen? Natürlich versuchen sich diese Menschen zusammenzureißen – wer will schon vor den Kindern jammern? Aber ein dumpfes Gefühl ist da, natürlich.

Entstehen durch diese Krise und die daraus resultierenden Unsicherheiten Zukunftsängste?

Menno Smid: Durch die Kontaktbeschränkungen und die Schulschließungen wird für jede und jeden konkret deutlich: Krise heißt, dass eingeübte Routinen ausgesetzt sind und nicht mehr funktionieren. Das führt zu Kontrollverlusten. Und Kontrollverlust ist genau das, was die Bevölkerung am meisten befürchtet. Die Vermächtnisstudie zeigt immer wieder: Die am weitesten verbreitete Angst ist, „keine Kontrolle mehr über das Leben zu haben“. In der Hierarchie der gemessenen Ängste folgt danach die Angst „krank zu sein“ und die Angst „selbst arbeitslos zu sein oder zu werden“. Die Krise trifft sozusagen in das Epizentrum der Ängste. Umso wichtiger ist es, dass die Politik Handlungskompetenz zeigt.

Wie müssen sich Politik, Wirtschaft und die Gesellschaft aufstellen, um ein funktionierendes Miteinander nach der Krise zu ermöglichen?

Menno Smid: Die Coronakrise und die von der Politik beschlossenen Maßnahmen haben nun Kontroversen um zentrale gesellschaftliche Fragen vertagt, etwa jene um die neue politische Trennlinie zwischen „Rechtspopulismus“ und „kosmopolitischen Liberalismus“. Mit steigender Arbeitslosigkeit wird unter Umständen der herkömmliche sozioökonomische „Links-Rechts“- Konflikt um wirtschafts- und sozialpolitische Fragen wieder aktuell werden. Auf mögliche Brüche zwischen Jung und Alt und Menschen mit und ohne Kinder haben wir bereits hingewiesen. Für den gesellschaftlichen Zusammenhalt entscheidend wird sein, wie sehr es der Politik, Wirtschaft und Gesellschaft gelingt, den Ausstieg aus dem Lockdown so zu gestalten, dass sich alle Gruppen mitgenommen und gehört fühlen. Dafür braucht es breite Diskussionen, viele Anhörungen, viel Kompromissbereitschaft. Auf die Hilfe der Virologen allein kann man sich dann nicht mehr verlassen.