Statt schimpfenWenn Sie mit Ihrem Kind so sprechen, wird es später selbstbewusster

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Wie man mit Kindern spricht, wirkt sich maßgeblich auf die weitere Entwicklung aus. 

  • Im Eifer des Gefechts schimpfen Eltern oft los. Das hilft weder der Situation noch den Kindern.
  • Doch wie kann man auch im schwierigen Alltag Konflikte mit dem Kind besser lösen? Und zeigen, dass man seine Bedürfnisse wirklich respektiert?
  • Eine schwedische Erziehungsexpertin erklärt, wie man allein durch die Art, wie man mit seinem Kind spricht, dessen Selbstwertgefühl stärken kann.

Köln – Das Kind weigert sich, zur Schule zu gehen, trödelt herum oder hat wieder unendlich schlechte Laune. Und man ist eh schon spät dran. Da bricht es aus einem heraus: Man schreit los, meckert und kritisiert. Im gleichen Moment merkt man schon, dass das keine gute Idee war. Denn eigentlich wollte man ja nicht laut werden. Und das Kind, es guckt einen bedröppelt an, wendet sich ab oder schmollt noch mehr.

Doch wie kann man in solchen Momenten anders reagieren, besser mit dem Kind umgehen und die Situation gut auflösen? Und wie können Eltern es grundsätzlich schaffen, auch im vollen Alltag die Bedürfnisse ihres Kindes zu respektieren und ihm ein gesundes Selbstwertgefühl zu vermitteln? Die schwedische Erziehungsexpertin Petra Krantz Lindgren zeigt in ihrem neuen Buch „Wenn du mit mir schimpfst, kann ich mich nicht leiden, Mama“ (Trias Verlag, 2019) an ganz praktischen Beispielen, wie allein die Art und Weise, was wir zum Kind sagen, alles verändern kann. Ein Gespräch.

Warum ist es so wahnsinnig wichtig, wie Eltern mit ihren Kindern sprechen? Hängt die Art und Weise, wie das Kind sich selbst sieht, wirklich von so etwas ab?

Wenn ich meinem Kind immer wieder sage, dass es dumm ist, wird es das irgendwann glauben. Wenn ich ihm immer wieder sage, dass es ein Weichei ist, wird es die eigenen Gefühle in Frage stellen. Wenn ich meiner Tochter dauernd sage, Mathe ist nichts für sie, wird sie vermutlich keine Karriere in Mathematik anstreben.

Das bedeutet nicht, wir sollten unseren Kindern immer sagen, dass sie klug, stark oder zukünftige Mathe-Genies sind. Das Beste was wir tun können, ist, sie selbst herausfinden zu lassen, wer sie sind und was sie werden wollen.

Und doch wählen Eltern oft die falschen Worte. Können Sie ein paar Beispiele nennen, wann sie bei der täglichen Erziehung das Falsche sagen – und wie sie es besser machen könnten?

Ob etwas richtig oder falsch ist, hängt davon ab, was man erreichen will. Für mich ist es wichtig, dass meine Tochter lernt, ihre Gefühle auszudrücken und ernst zu nehmen. Deswegen tue ich mein Bestes, ihr zu zeigen, dass ihre Emotionen wichtig für mich sind. Wenn sie sagt: „Ich werde nie wieder zur Schule gehen!” und ich darauf antworte: „Du musst aber, in diesem Land gibt es schließlich eine Schulpflicht!”, dann nehme ich ihre Gefühle nicht ernst. Stattdessen könnte ich zu ihr sagen: „Du wirkst aufgebracht. Ist etwas passiert?”

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Buchautorin Petra Krantz-Lindgren

Wenn mein Kind sagt: „Ich hasse Jake, er ist ein Idiot”, dann sage ich nicht: „So redet man nicht über einen Freund”. Stattdessen antworte ich nur: „Du klingst echt wütend.” Vielleicht sollte man schon irgendwann darüber reden, dass man so etwas nicht über seine Freunde sagt, aber wenn das Kind so aufgebracht ist, ist der Zeitpunkt ganz unpassend.

Noch ein weiteres Beispiel dazu: Wenn das Kind sagt: „Ich glaube, Sophie mag mich nicht mehr” und die Eltern antworten „Natürlich mag sie dich!”, dann drücken sie damit aus: „Deine Gefühle sind falsch”. Stattdessen könnten sie einfach erwidern: „Du klingst traurig. Möchtest du darüber reden?”

Zerstören Eltern manchmal das Selbstbewusstsein ihrer Kinder, obwohl sie es eigentlich gut meinen?

Ich würde hier nicht das Wort „zerstören” benutzen, das klingt zu hart. Ich glaube aber schon, dass das wohlmeinende Verhalten der Eltern nicht immer so günstig ist für Kinder.

Phrasen wie „gut gemacht” oder “lieber Junge” tun Kindern zum Beispiel nicht gut. Wenn wir ein Kind nur danach beurteilen, was es tut, hat es das Gefühl, dass es nur darüber definiert wird - und nicht über das, was es ist, also was es fühlt, denkt und hofft. Wenn ihm dann etwas nicht gelingt, bekommt es schnell den Eindruck, ein Versager zu sein.

Eltern sollten ihr Kind also nicht ständig für etwas preisen, sondern sich einfach ernsthaft für es interessieren. Natürlich darf auch mal gelobt werden. Aber warum sollten Eltern Kinder bewerten? Kinder werden durch andere Dinge angetrieben. Sie malen und bauen, weil sie sich kreativ ausdrücken wollen. Sie klettern, weil sie Bewegung und eine Herausforderung brauchen. Sie lernen mit Messer und Gabel zu essen, um selbständig zu werden. Wir Eltern können einfach teilnehmen an ihren Erfahrungen. Und dann mit ihnen jubeln, wenn ihnen etwas gelingt oder mit trauern, wenn es einmal nicht gelingt.

Wie wichtig ist es, dass Eltern ihre Kinder dabei genau beobachten und ihnen wirklich zuhören?

Das ist unglaublich wichtig! Wie sollen Kindern lernen, ihre Bedürfnisse und Gefühle ernst zu nehmen, wenn die Eltern das nicht tun? Heute gibt es so viele Menschen, die unglücklich sind, weil sie den Traum anderer Leute leben statt ihren eigenen. So viele sind ausgebrannt, weil sie zu den Forderungen anderer nicht Nein und zu den eigenen Bedürfnissen nicht Ja sagen gelernt haben.

Unseren Kindern Aufmerksamkeit zu schenken heißt aber nicht, sie machen zu lassen, was sie wollen. Sondern es geht darum, ihre Gefühle und Bedürfnisse anzuerkennen – genau so wie wir unsere eigenen und die des Partners anerkennen. Eltern sollten sich deshalb immer fragen: Wie würde ich mich fühlen, wenn mich jemand so behandeln würde, wie ich mein Kind behandele?

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Wenn Kinder von den Eltern Verständnis bekommen, können sie auch Freunden gegenüber einfühlsamer sein.

Es ist wichtig, ihnen beizubringen, dass sie die Gefühle anderer berücksichtigen und eine Lösung finden, die für alle Beteiligten funktioniert. Sie sollten lernen, wie sie kooperieren und Konflikte lösen können. Das sind entscheidende Überlebensstrategien in unserer heutigen Gesellschaft.

Und wie kann man dem Kind im Alltag zeigen, dass man seine Gedanken und Gefühle für wichtig hält?

Man könnte dem Kind zum Beispiel Fragen stellen, zu dem, was es tut – und zwar ohne zu bewerten oder loben. Das könnten Fragen sein wie: „Erzähl mir etwas über dieses Bild.” oder „Wie fühlt es sich an, wenn du so hoch schaukelst?” oder „Was denkst du über die Ergebnisse des Mathe-Tests?” Solche Fragen stoßen weitere Gespräche an und zeigen, dass man sich für die Gedanken und Gefühle des Kindes interessiert. 

Dabei sollten Eltern nicht immer die gleichen Fragen stellen. Täglich geäußerte Sätze wie „Wie war’s in der Schule?” oder „Mit wem hast du gespielt?” hören sich eher wie ein Pflichtprogramm an. Stattdessen könnten Erwachsene einfach mal Neugier zeigen und Neues fragen. „Wenn du unsichtbar sein könntest – was würdest du tun?” Oder: „Heute habe ich in der Zeitung gelesen, dass Lehrer Jungs und Mädchen anders behandeln. Wie ist das an eurer Schule?”

Manche Eltern loben ihr Kind nur, wenn es etwas Besonderes erreicht. Wie können sie ihm stattdessen auch im Alltag immer wieder Bestätigung geben?

Eltern können ihren Kindern zeigen, dass sie ihnen wichtig sind, wenn sie Zeit mit ihnen verbringen. Und sie auch spüren lassen, wie sehr sie das genießen. Gerade Müttern und Vätern, die viele Konflikte mit ihren Kindern haben, empfehle ich, jeden Tag 10 bis 15 Minuten Spaß zu haben mit ihren Söhnen oder Töchtern. Verstecken spielen, Tanzen, ein Spiel spielen – eigentlich egal, was es ist. Entscheidend ist, dass sie jeden Tag etwas tun, dass Liebe und Zusammengehörigkeit ausdrückt.

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Oft kommt es so rüber, als würden Eltern ihrem Kind einen Gefallen tun, wenn sie Zeit mit ihm verbringen. Wenn sie etwa sagen: „Ich kann dir jetzt ein Buch vorlesen, wenn du willst?” Dabei sollten sie es umdrehen und ausdrücken, dass sie gerne Zeit mit dem Kind verbringen wollen: „Ich würde furchtbar gerne ein Buch mit dir lesen. Bist du dabei?” Das schafft ein Gefühl von Gemeinschaft.

Sie sagen: Die Art und Weise, wie Eltern mit Kindern umgehen, beeinflusst maßgeblich, wie diese sich selbst wahrnehmen. Kann man dieser riesigen Verantwortung überhaupt jemals gerecht werden?

Natürlich spielt es eine riesengroße Rolle, wie wir unsere Kinder behandeln. Allerdings sind sie nicht einfach leere Leinwände, die von den Eltern bemalt werden. Es gibt viele andere Faktoren in ihrem Leben, von denen sie beeinflusst werden. Sie haben immer noch ihren eigenen Willen und ihre eigene Persönlichkeit.

Ich glaube nicht, dass Eltern hier einer Verantwortung gerecht werden müssen. Meine Tochter hat einmal zu mir gesagt: „Eltern sollten ihren Kindern nicht beibringen, perfekt zu sein, sondern dass sie gut genug sind, genau so wie sie sind.” Auch Kinder brauchen nämlich keine perfekten Eltern, die immer mit allem zurecht kommen. Sie brauchen echte Vorbilder. Menschen, die ihr Bestes geben, Ideale und Ziele haben, aber auch die Fähigkeit, sich selbst zu vergeben, wenn sie diese nicht immer erreichen. Viel wichtiger als perfekt zu sein ist es, Kindern in echten Lebenssituationen zu zeigen, dass man sie bedingungslos liebt.

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Und trotzdem haben Eltern oft ein schlechtes Gewissen, weil sie ihre Kinder nicht so gut behandelt haben. Wie können sie besser mit den Schuldgefühlen umgehen?

Wenn wir uns schuldig fühlen, hängt das in der Regel damit zusammen, dass wir uns um etwas kümmern, dass uns wichtig ist, aber in der gleichen Zeit etwas anderes Wichtiges vernachlässigen. Wenn ich zum Beispiel mein Kind anschreie, weil es noch aufs Klo muss und wir fast den Bus verpassen, dann kann ich mich natürlich nachträglich als schlechte Mutter fühlen. Ich kann es aber auch so sehen: Ich habe mein Kind respektiert. Wenn ich wirklich eine schlechte Mutter wäre, würde ich mich gar nicht erst schlecht fühlen, weil ich es angeschrien habe.

Wir sollten also Schuldgefühle nicht als etwas Schlechtes betrachten: Es ist einfach nur eine Nachricht unseres Unterbewusstseins, dass wir Gutes wollen, aber eben nicht perfekt sind, und manchmal scheitern.

Wenn Eltern sich schuldig fühlen, dann können sie Verantwortung für ihre Fehler übernehmen. Sich etwa fragen: Was könnte ich morgen besser machen, um allen Bedürfnissen gerecht zu werden? Und sie könnten sich bei Ihrem Kind entschuldigen: „Tut mir leid, dass ich dich heute Morgen angeschrieen habe. Ich war gestresst und wollte den Bus nicht verpassen. Deshalb hab ich dich so behandelt. Morgen früh werde ich dich früher daran erinnern, nochmal aufs Klo zu gehen. Okay?“

Buchtipp: Petra Krantz Lindgren: „Wenn du mit mir schimpfst, kann ich mich nicht leiden, Mama", Trias Verlag, 2019

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