Kinder und WaffenWaffenspiele fördern keine Gewalt

Kaum ein Junge experimentiert nicht gerne mit Waffen - das ist kulturell bedingt.
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Frau Dreiner, ich kenne kaum einen Jungen, der in einer bestimmten Phase nicht jedes Stöckchen zu einer Waffe umfunktioniert hat – das kindliche Faible für Waffen, woher kommt es?
Monika Dreiner Kinder saugen alles auf, was in ihrer Lebensumgebung geschieht, und nutzen es als Vorlage für ihre Spielhandlungen. Zu dieser Umgebung gehören eben auch Waffen – sie tauchen überall auf, in Büchern, in den Fernsehnachrichten, auf dem Computerbildschirm. Im Spiel handeln Kinder im „Als ob“-Modus – als ob sie im Sandkasten einen echten Kuchen backen, mit der Puppe eine echte Familie nachstellen oder jemanden mit einem Ast oder dem ausgestreckten Finger erschießen würden.
Eben dieses Erschießen sorgt bei vielen für Unbehagen
Dreiner Während wir Erwachsenen mit Waffen vor allem Gewalt und Verbrechen in Verbindung bringen, sehen Kinder in ihnen ein Symbol für Emotionen und für Stärke – und nicht primär ein Gerät, mit dem man andere verletzen oder vernichten kann.
Das tun aber hauptsächlich Jungen – wie kommt’s?
Dreiner Dieses Faible ist kulturell bedingt. Bei uns sind und waren es schon immer Männer, die Waffen tragen – Waffen gelten in unserer Kultur als Männlichkeitsattribute, sorgen für Sicherheit. Kinder orientieren sich an Erwachsenen des gleichen Geschlechts – und an ihrem Verhalten, das sie dann im Spiel adaptieren.
Um selbst erwachsen zu sein?
Dreiner Alle Kinder haben einen Drang danach, erwachsen, also groß, stark, mächtig zu sein. Da bieten Waffenspiele eine ideale Plattform, auch um verschiedene Rollen einzunehmen und trainieren zu können . Das wappnet sie im Endeffekt fürs spätere Leben.
Brauchen Kinder für ihre Entwicklung also das Experimentieren mit Waffen?
Dreiner Sie bieten Kindern eine Möglichkeit, verschiedene Positionen einzunehmen, können heute der Stärkere und morgen der Schwächere, Unterlegene sein. Dadurch erfahren sie, was es bedeutet, Täter oder Opfer zu sein, erleben die Konsequenzen, die damit verbunden sind. Konkret hilft es ihnen, Empathie zu entwickeln oder Durchsetzungsvermögen. Und sie lernen, wie man sich in Beziehungen miteinander auseinandersetzt, Konflikte löst...
Monika Dreiner ist Dipl.-Psychologin für Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie - u.a. im Zentrum für Trauma- und Konfliktmanagement, Köln.
Pardon, mit der Waffe wohl nicht.
Dreiner Wie gesagt, Kindern geht es beim Waffenspiel nicht um die Verletzung oder die Vernichtung im realen Sinne, sondern darum, verschiedene Rollen auszuprobieren. So wie die Babypuppe ein Symbol für die Mutterrolle sein kann, symbolisiert die Pistole eben Stärke. Außerdem haben Kinder ein anderes Gewaltverständnis. Dass Tod Endlichkeit bedeutet, dass das eigene Leben durch Verletzlichkeiten bedroht ist, können Kinder erst ab dem Grundschulalter begreifen – ebenso wie die Konsequenzen, die es haben kann, wenn sie jemanden verletzen. Deshalb ist es so wichtig, dass wir Erwachsene die Kinder bis zu diesem Alter im Spiel schützen. Den „Täter“ ebenso wie das „Opfer“ – weil der Verletzende eben noch nicht in letzter Konsequenz weiß, was er anrichtet.
Apropos eingreifen, wie soll ich reagieren, wenn mich ein Kind mit einer Waffe bedroht? Ignorieren, mitmachen, verbieten?
DReiner Das kommt auf den Kontext an. Solange sich das Kind im Spielmodus befindet, können Sie problemlos mitspielen. Wichtig ist, dass Sie sich dabei auf Augenhöhe des Kindes begeben und verschiedene Rollen einnehmen – also auch mal diejenige sind, die die Waffe hat. Fallen Sie ruhig um, wenn Sie getroffen wurden – aber bleiben Sie nicht zu lange liegen. Das Kind wird Ihnen signalisieren, wann Sie wieder aufzustehen haben. Es begreift den Tod ja als etwas Vorübergehendes.
Und wie erkenne ich, ob sich das Kind nicht im Spielmodus befindet? Anders gefragt: Wann sollte ich mich nicht erschießen lassen?
Dreiner Dann, wenn Sie spüren, dass es dem Kind nicht ums Spiel geht, sondern darum, Sie zu entwerten, zu kränken oder Ihnen bewusst wehzutun. Würden Sie mitmachen, würden Sie signalisieren, dass Sie sich verletzen lassen. Man erkennt diesen Punkt, an dem es kippt, an der Atmosphäre, die dabei entsteht. Ich arbeite in meiner Praxis mit Kindern, die körperliche Gewalt erfahren haben. Man spürt die Bedrohlichkeit, wenn sie sich im Spiel in eigenen Gewalterfahrungen wähnen.
Sollte ich – und wenn ja, wann – intervenieren, wenn Kinder untereinander mit Waffen spielen?
Dreiner Wenn Sie beobachten, dass ein Kind ausschließlich die Rolle des Stärkeren einnimmt, immer die Waffe hat, dann könnte das ein Hinweis darauf sein, dass es Probleme hat, die es meint, ohne Waffe nicht mehr lösen zu können. Oder wenn ein Kind den anderen weiter Schmerzen zufügt, obwohl sie ihm längst signalisiert haben, dass es wehtut. In der Regel wäre einem Kind dann sofort bewusst, dass es damit aufhören sollte.
Kann man lernen, richtig mit Spielzeugwaffen umzugehen?
DReiner Die meisten Kinder machen das automatisch richtig, also instinktiv. Diejenigen aber, die das Spielerische, Fantasievolle nicht beherrschen, haben eventuell selbst Gewalt erfahren oder befinden sich in einem realen Überlebenskampf – weil sie zum Beispiel den Existenzkampf ihrer Eltern miterleben. Und der ist für sie bedeutender als der spielerische Umgang mit der Realität. Sie haben andere Probleme als zu spielen, erwachsen zu sein.
Fördern Waffenspiele aggressives Verhalten, Gewaltbereitschaft?
Dreiner Aggressionen sind zunächst nichts Schlimmes – problematisch wird’s erst, wenn sie dazu führen, sich und anderen Schaden zuzufügen. Wenn ein Kind also Probleme damit hat, den Spielmodus beizubehalten, kann man nicht ausschließen, dass Waffenspiele bei ihm Vorbild für gelebte, destruktive Aggressivität sein können.
Originalgetreu oder entfremdet – welche sind die besseren Spielzeugwaffen?
Dreiner Meiner Meinung nach sind diejenigen die besseren, die die Fantasie des Kindes beim Spielen fördern – auch wenn es aus Erwachsenen-Perspektive die schlechteren, nicht gut nachgebildeten Gerätschaften sind.
Sind PC-Gewaltspiele problematischer als Spiele mit der Plastikpistole?
Dreiner Sie sind insofern diskutabel, als man am Computer nie spüren wird, dass es auch körperlich wehtun kann, der Unterlegene zu sein. Deshalb ist es so wichtig, die Kinder altersgemäß zu schützen – auch vor der Bilderflut, die sie selbst eventuell nicht verarbeiten können. Da helfen die Altersangaben der Hersteller, noch mehr aber die eigene Einschätzung seines Kindes. So manch Sechsjährigem hat der dreiköpfige Hund aus Harry Potter keine Angst gemacht – während ein anderer Achtjähriger anschließend eine Hundephobie entwickelt hat.