LRSDas können Eltern tun, wenn ihr Kind nicht gut schreiben und lesen lernt

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Für Kinder mit einer Lese- und/oder Rechtschreibschwäche wird jede schriftliche Aufgabe zur Qual. 

  • Lernt das Kind einfach nicht dazu oder hat es eine Lese-Rechtschreibschwäche (LRS)?
  • Eine Diagnose vom Kinderpsychiater kann Eltern und Kindern Gewissheit geben und sie entlasten.
  • Aber auch ohne Diagnose haben Kinder Anspruch auf Förderung. Wie das geht, verrät LRS-Expertin Tanja Blum im Interview.

Köln – Wenn Kinder nicht richtig lesen und/oder schreiben können, leidet meist die ganze Familie darunter. Die Kinder fühlen sich dumm und leiden im Unterricht, die Eltern packt zuhause am Küchentisch nicht selten die Verzweiflung, wenn sie versuchen, mit den Kindern zu üben und diese immer wieder die gleichen Fehler machen. Es kann eine Erleichterung sein, wenn klar wird, dass das Kind nicht anders kann, weil es eine Teilleistungsstörung hat. Das kann die Bereiche Lesen, Rechtschreiben und Rechnen betreffen. Was Eltern tun können, deren Kinder ein Problem mit dem Lesen und/oder Schreiben haben, erklärt Tanja Blum im Interview. Sie ist Vorsitzende des Kölner Arbeitskreis LRS und Dyskalkulie e.V.. Der Verein informiert und bietet Eltern Hilfe an. Weitere Infos finden Sie hier

Frau Blum, wie sollte man vorgehen, wenn man das Gefühl hat, dass das Kind Probleme beim Rechtschreiben und/oder Lesen hat?

Tanja Blum: Die Eltern sollten das Gespräch mit der Deutsch-Lehrkraft suchen. Denn die Schule hat die Aufgabe, den Kindern das Lesen und Schreiben beizubringen und individuell zu fördern. Von daher sollte die Deutsch-Lehrkraft besondere Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben lernen feststellen und das Gespräch mit den Eltern suchen. So zumindest die Vorgabe von den meisten Bundesländern. Oftmals sieht die Realität anders aus und den Eltern fällt es zuerst auf.

Wie kann die Schule betroffene Kinder unterstützen?

Tanja Blum leitet den ehrenamtlich tätigen Kölner „Arbeitskreis LRS und Dyskalkulie e.V.“

Tanja Blum leitet den ehrenamtlich tätigen Kölner „Arbeitskreis LRS und Dyskalkulie e.V.“

Tanja Blum: Die Bundesländer haben unterschiedliche schulrechtliche Vorgaben auch für den Umgang mit besonderen Schwierigkeiten beim Lesen und Rechtschreiben. Darin ist unter anderem folgendes festgehalten: Zielgruppe, Feststellung und weitere Unterstützungsmaßnahmen wie z.B. Notenschutz, Nachteilsausgleich und Förderung. Im Vordergrund eines jedes Bundeslandes steht die individuelle Förderung. In NRW gibt es den LRS-Erlass. Unter diesen fällt ein Kind, dessen Leistungen im Lesen oder Rechtschreiben über einen Zeitraum von mindestens drei Monaten den Anforderungen nicht entsprechen. Konkret heißt das, dass jedes Kind, das länger als drei Monate lang nicht ausreichende Leistungen im Rechtschreiben und/oder Lesen hat, unter diesen Erlass fällt. Hierfür braucht man in NRW keine außerschulische Diagnose, da es ja Aufgabe der Deutsch-Lehrkraft ist, besondere Schwierigkeiten festzustellen. 

Aber drei Monate lang immer eine Fünf zu schreiben, ist schon hart. Das betrifft doch sicher gar nicht alle Kinder, die Probleme mit der Rechtschreibung haben. Was ist, wenn das Kind immer eine Vier nach Hause bringt? Tanja Blum: Der Erlass bezieht sich nicht auf die Gesamtnote der Deutscharbeit, sondern auf den Teilbereich des Lesens und Rechtschreibens. Ist zum Beispiel der Rechtschreibanteil einer Arbeit mit der Höchstpunktzahl 10 angesetzt und das Kind hat von diesen 10 Punkten 0 Punkte erreicht, wäre dies gleichzusetzen mit einer 6. Von daher kann auch ein Kind, das eine drei in der Deutscharbeit hat, trotzdem von besonderen Schwierigkeiten betroffen sein. 

Sie sagten vorhin, dass den Kindern Notenschutz, Nachteilsausgleich und Förderung zusteht. Was ist hiermit gemeint? Ich sage das jetzt für NRW. Notenschutz besagt, dass die Rechtschreibleistung nicht in die Beurteilung der schriftlichen Arbeiten und Übungen im Fach Deutsch oder in einem anderen Fach mit einbezogen werden darf. Dies gilt auch für Fremdsprachen und Vokabeltests. Die meisten Bundesländer haben zwar auch einen Notenschutz, aber die Vorgaben für dessen Gewährung sind zum Teil unterschiedlich.

Ein Nachteilsausgleich muss individuell gewährt werden, die Vorgaben sind in den Bundesländern unterschiedlich geregelt. Der Nachteil, den das Kind hat, muss ausgeglichen werden. Dies können zum Beispiel eine Zeitverlängerung bei Arbeiten, die mündliche Abfrage von Vokabeln aber auch technische Hilfsmittel wie etwa die Verwendung einer Vorlesesoftware oder eines Laptops sein. Bei der individuellen Förderung gibt es zwei verschiedene Arten: Förderung im Unterricht und Förderung in Zusatzstunden. Erst wenn die Förderung im Unterricht nicht ausreicht, sind die Schulen dazu angehalten, Förderung in kleineren Gruppen (LRS-Kurse) anzubieten. Oftmals kann die Schule diese Kurse jedoch aus den verschiedensten Gründen nicht anbieten.

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Wenn die Schule den Verdacht auf LRS nicht bestätigt und die Eltern trotzdem das Gefühl haben, dass das Kind besondere Schwierigkeiten hat, wo und wie können sie dann das Kind testen lassen? Tanja Blum: Die Eltern können die Testung beim Kinder- und Jugendpsychiater, in manchen Bundesländern in sozialpädriatischen Zentren (SPZ) oder beim schulpsychologischen Dienst, aber auch bei Instituten und Lerntherapeuten durchführen lassen. Die Testung beim Kinder- und Jugendpsychiater oder beim SPZ umfasst auch einen Intelligenztest. Erst,  wenn die Lese- und Rechtschreibleistung in einer bestimmten Diskrepanz zur Intelligenz steht, spricht man von einer Teilleistungsstörung. Diese Testung wird von den Krankenkasse übernommen. Die Testung bei Instituten oder Lerntherapeuten beinhaltet keinen Intelligenztest und ist in der Regel kostenpflichtig. Bei dieser Testung wird geschaut, wo das Kind steht und wo die Förderung angesetzt werden muss. 

Wann ist eine Testung beim Kinder- und Jugendpsychiater notwendig? Tanja Blum: Wenn die schulische Förderung nicht mehr ausreicht, kann man beim Jugendamt einen Antrag auf Eingliederungshilfe (Kostenübernahme Therapie) stellen. Für diesen Antrag muss das Kind jedoch von einer seelischen Behinderung bedroht sein bzw. diese bereits haben (Versagensängste, Schulangst, Prüfungsangst) und das über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten. Für diese Antragstellung benötigt man ein Gutachten von einem Kinder- und Jugendpsychiater oder dem schulpsychologischen Dienst, zumindest in NRW. Die Verfahrensweise in den einzelnen Bundesländern können beim zuständigen Jugendamt erfragt werden.

Für die betroffenen Eltern und Kinder ist es sicher auch ganz entlastend, ein Attest zu haben. Tanja Blum: Oftmals haben betroffene Kinder und deren Eltern einen langen Leidensweg hinter sich und einige der Kinder kommen sich dumm und minderwertig vor. Wird eine LRS/Legasthenie bescheinigt, zeigt der Intelligenztest, dass das Kind eben nicht dumm ist. Dies ist oft eine große Erleichterung für alle Beteiligten, und man kann ein weiteres Vorgehen planen.

Wenn Kinder eine Lese- und/oder Rechtschreibschwäche haben: Nützt es etwas, selbst mit ihnen zuhause zu üben? Tanja Blum: Jein. Jedes Kind hat eine unterschiedliche Ausprägung. Ohne professionelle Begleitung ist es schwierig den richtig Ansatz zu wählen, denn das Kind muss da abgeholt werden, wo es stehen geblieben ist. Die Unterstützung zu Hause sollte folgendes umfassen: Rückhalt in der Familie, Lernmotivation wecken, spielerisches lernen, angenehme Lernatmosphären schaffen, dem Kind Mut machen, aufzeigen was es kann und was es schon geschafft hat, Fleiß und Mühe anerkennen und auch für kleine Fortschritte loben und vor allem Druck reduzieren. Als Elternteil ist man emotional viel zu sehr eingebunden und baut aus Unwissenheit zum Teil Druck erst auf. Da rollen oft Tränen am Küchentisch. Zudem macht das Kind die Erfahrung, dass es so viel üben kann, wie es will, ohne dass es etwas bringt. Wenn man die Hilfe von Lerntherapeuten in Anspruch nimmt, ist es wichtig, dass Schule, Eltern und Lerntherapeuten gemeinsam nach derselben Methode arbeiten und einen Förderplan erstellen, sonst wird das Kind überfordert. 

Und dann ist es irgendwann ganz vorbei. Tanja Blum: Jein, viele sind ein ganzes Leben lang betroffen. Betroffene entwickeln jedoch Strategien und Wege, damit umzugehen. Aber auch für die Ausbildung und das Studium gibt es Regelungen bezüglich eines Nachteilsausgleichs.

Weitere Infos:

Homepage Dachverband Legasthenie Deutschland e.V.

Kostenfreie Arbeitsmaterialien finden Sie hier

Antrag auf Eingliederungshilfe

Hier finden Sie eine Linkliste zu den Erlassen der verschiedenen Bundesländer.

Zum Weiterschauen:

„I wonder“, Kurzfilm zum Thema Legasthenie: 

„Louise funktioniert nicht“. Interview mit Louise Jacobs, hineingeboren in die bekannte Kaffeeröster-Dynastie, die schon als Achtjährige an den Anforderungen ihrer Familie scheitert. 

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