Tausend Dinge im KopfDer wahre Grund, warum Mütter ständig am Limit sind

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Ein weinendes Baby auf dem Arm und dann noch so viel im Kopf – Alltag für viele Mütter. 

  • Turnbeutel mitnehmen, Geschenk kaufen, Wäsche aufhängen: Vor allem Mütter haben den ganzen Tag tausend Dinge im Kopf, an die sie neben ihrem Job noch denken müssen.
  • Dieses Phänomen nennt man Mental Load, mentale Belastung. Das Problem dabei ist vor allem, dass die meisten dieser Aufgaben „unsichtbar“ sind.
  • Die Bloggerin Patricia Cammarata gibt Seminare zum Thema und erklärt im Interview, wie man es schafft, sich vom Overkill im Kopf zu befreien und Aufgaben besser mit dem Partner zu teilen.

Köln – Vor allem Mütter haben meist den ganzen Kopf voller imaginärer gelber Klebezettel: Wer braucht wann seine Turnsachen? Für wen muss man noch ein Geschenk besorgen? Wann steht die nächste Untersuchung beim Arzt an? Wer muss wann wo abgeholt werden? Die to-do-Liste erscheint unendlich lang. Trotzdem gelten die meisten Aufgaben als vermeintliche Kleinigkeiten, die nicht gesehen werden und neben dem normalen Job „einfach so“ erledigt werden. Manche Frauen brechen unter dieser Last zusammen. Kein Wunder.

Der Mental Load, also die Belastung im Kopf, ist einfach zu groß. Patricia Cammarata schreibt seit 2004 auf ihrem Blog „dasnuf“ über Familien- und Medienkompetenz-Themen. Zuletzt hat sie sich viel mit Mental Load beschäftigt, sie hält inzwischen Vorträge und gibt Seminare zu dem Thema.  Die 44-jährige IT-Projektmanagerin lebt mit ihren Kindern in Berlin. Im Interview spricht sie darüber, durch welche typischen Mechanismen Frauen in der Mental Load-Falle landen – und wie sie sich daraus wieder befreien können. 

Frau Cammarata, was genau bedeutet für Sie Mental Load? Patricia Cammarata: Mental Load hat für mich zwei Aspekte. Zentral ist, dass eine Person in der Familie, meistens die Frau, die komplette Verantwortung für alle Prozesse und Ergebnisse im Familienalltag trägt. Im Job wäre das klassisches Projektmanagement. Und obendrauf kommt dann noch, einen wesentlichen Teil der anfallenden to-dos auch noch zu erledigen, also die tatsächliche Sachbearbeitertätigkeit, Es geht im Wesentlichen um die Verantwortung, aber auch um diese Doppelbelastung, dass man neben dem Planen, Recherchieren und Leute Einweisen auch noch die normalen Familienaufgaben erledigt. Es ist tatsächlich so, dass unabhängig von ihrer Erwerbstätigkeit ein Löwenanteil der Familienarbeit bei der Frau hängen bleibt.

Das heißt also, die Frau ist nicht nur für den ganzen täglichen Kleinkram – Turnbeutel, Schwimmsachen, Geburtstagsgeschenk – zuständig, sondern muss auch alleine die größeren Entscheidungen für die Familie treffen? Patricia Cammarata: Genau. Man hört ja ganz oft, Frauen seien zu perfektionistisch und es wäre alles viel weniger schwierig, wenn sie sich mal locker machen würden. Aber gerade weil sie die Verantwortung für die Kinder tragen, sind es oft Entscheidungen, die mit der Gesundheit, dem Wohlergehen, der Bildung und der zukünftigen Entwicklung von Kindern zu tun haben. Da fällt es natürlich sehr schwer zu sagen: „Ich mach‘ mich mal locker und warte einfach mal ab, was passiert.“

Warum ist das denn so? Reißen die Frauen diese Verantwortung an sich? Patricia Cammarata: Zu einem sehr großen Teil liegt das an Rollenbildern, was man vorgelebt bekommt und welche gesellschaftlichen Vorstellungen es gibt. Also so ein Glaube wie: „Die Kinder gehören nun mal zur Mutter“ oder „Frauen können das besser“. Wenn man sich entschließt zu stillen, gibt es am Anfang natürlich biologische Gründe für eine stärkere Bindung oder mehr Kompetenzaufbau in diesem Bereich. Der Fehler passiert danach. Dass die Eltern sich nach dieser Zeit nicht davon los machen und sich nicht sagen: „Komm‘, jetzt verhandeln wir das anders“, sondern dass man sich darauf ausruht. Männer übernehmen ganz stark die Vorstellung, dass sie selbst ja Verantwortung in finanzieller Form übernehmen.

... und ruhen sich dann darauf aus, dass sie mehr verdienen und die Familie so am Laufen halten. Ein weiteres Problem könnte sein, dass Frauen zu selten nach Hilfe fragen. Sehr anschaulich ist in diesem Zusammenhang der Comic „Du hättest doch bloß fragen müssen“ Wie sehen Sie das? Patricia Cammarata: Männer sehen sich ganz oft als Zuarbeiter. Die erkennen die Rolle der Projektmanagerin in der Frau an und warten dann darauf, dass kleine Aufgabenpakete aus dem großen Ganzen herausgeschnitten werden, die dann abgearbeitet werden. Wenn es zu einer Überlastung kommt, ist es oft schwierig, in eine Kommunikation zu treten.

Bei den meisten ist es ja nicht so, dass die Männer gar nichts machen, sie übernehmen einen Teil der to-dos. Aber für die Frau kann es noch mehr Mental Load sein, herauszufinden, was sie eigentlich delegieren kann. Außerdem muss sie nachhalten, ob die Aufgaben abgearbeitet wurden, das hat sie dann natürlich immer noch im Kopf. Das muss verstanden werden, dass an dieser Stelle wirklich Verantwortung für einen Prozess geteilt wird und dass auch der Mann Verantwortung übernimmt, nicht nur die to-dos.

Was das „Ich arbeite Vollzeit und du nicht“-Argument angeht, könnte die Frau ihre für die Familie aufgebrachte Zeit einfach mal aufschreiben. Selbst wenn sie „nur“ Hausfrau und Mutter ist, hat sie ihre 40 Stunden in der Regel ziemlich schnell voll, weil sie auch nachts oft für die Kinder im Einsatz ist. Da kann man mal danach fragen, wann die Frau eigentlich Feierabend hat. 

Wie können Frauen aus dieser Falle heraus kommen? Welche Tipps geben Sie in Ihren Seminaren? Patricia Cammarata: Das erste ist, dass man mal über die unsichtbaren Teile spricht. Man kann ja davon ausgehen, dass man sich als Paar wohlwollend gegenüber steht. Das Problem ist die Unsichtbarkeit der ganzen Aufgaben, was man alles so nebenher macht, ohne darüber zu sprechen. Ich empfehle immer, dass man eine umfangreiche Liste macht, wo beide ihre Aufgaben, die sie erfüllen, möglichst kleinteilig aufschreiben. So sieht man schwarz auf weiß, was eigentlich so irre viel erledigt wird, ohne dass man darüber spricht. Dann sollte man eine Wochenbesprechung machen, wo man Verantwortlichkeiten hinterlegt und Aufgaben nach einer kurzen Einweisung verteilt. Das heißt, man kann sagen: „Ich habe die und die Erfahrung gemacht, dass es so gut läuft“, aber dann muss man den Mann eigenverantwortlich ziehen lassen und nicht ständig nachfragen. Das ist dann seine Aufgabe. Mindeststandards sollten erfüllt werden.

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Beispiel Kinderschuhkauf: Die Aufgabe wäre dann erledigt, wenn der Schuh nicht drückt, ein bestimmtes Budget nicht überschreitet und wenn er jahreszeitengemäß ist. Diese Sachen sollten erfüllt sein, da muss man gar keine 200 Punkte aufstellen. Wenn mal was schief geht, sollte die Frau nicht nachsteuern, sondern sagen: „Das war deine Verantwortung, du musst dich jetzt auch darum kümmern, dass es klappt.“ Manchmal sind das ja nur Kleinigkeiten, Beispiel Buffet im Kindergarten. Wenn der Mann gesagt hat, dass er sich darum kümmert, aber es dann verbummelt, dann geht er halt nochmal in den Supermarkt und holt ein paar Kekse oder Brezeln.

Der größte Fehler wäre demnach zu sagen: „Der Mann kriegt es nicht hin, also backe ich selber noch einen tollen Kuchen“? Patricia Cammarata: Genau. Dass man ständig die Verantwortung wieder an sich nimmt. Man meint natürlich, durch diesen Kompetenzvorsprung, den man ja hat, dazu zu sagen: „Ich mach das jetzt schnell, das dauert sonst zu lange.“ Solche Mechanismen muss man identifizieren und sich dann zurückhalten. Nicht so engmaschig überwachen, sondern der anderen Person zutrauen, dass sie selbst ihren Weg findet. 

Und klappt das Ihrer Erfahrung nach? Patricia Cammarata: Es ist gut, diesen ganzen Prozess auch noch einmal auf der Meta-Ebene miteinander zu besprechen, bevor Konflikte aufkommen. Einmal im Monat sollte man zurückblicken und bilanzieren, was gut und was nicht so gut gelaufen ist und woran das lag. Auch die Verteilung der Aufgaben sollte immer wieder überdacht werden, damit nicht einer nur die blöden Sachen machen muss. Das Geheimnis ist, dass man über den gesamten Prozess spricht und immer zu besseren Lösungen kommt.

Bei dieser strukturierten Vorgehensweise hat Ihnen wahrscheinlich Ihre Erfahrung als IT-Projektmanagerin geholfen, oder? Patricia Cammarata: Ja, das war total naheliegend. Wir würden ja im Job niemals damit anfangen, bei einem Projekt, das sich über 18 Jahre erstreckt und Hunderttausend Euro kostet, zu sagen: „Joa, wir gucken mal, wie es läuft.“ Da schaut man natürlich, welche Ressourcen es gibt, welche Ziele man hat und wie die Prioritäten sind. Im Grund muss man das in einer Familie auch so machen, weil das eben ein langfristiges Projekt ist, hinter dem auch viel Geld steckt. Deswegen finde ich es naheliegend, dass man das nicht einfach so macht, sondern auch darüber spricht. 

Das ist naheliegend, aber die Erfahrung zeigt, dass es meistens in Familien doch nicht so läuft. Frauen machen neben ihrem Job trotzdem noch den Großteil der Familienarbeit, und zwar genau so lange, bis sie wirklich nicht mehr können. Am besten fragt man schon mal um Hilfe, bevor man endgültig zusammen bricht, aber das fällt den meisten Frauen schwer. Patricia Cammarata: Immerhin hat sich durch die ganze Mental-Load-Diskussion der Begriff etabliert und man spricht überhaupt darüber. In meiner eigenen Biografie war es genauso. Ich war irgendwann kurz vor dem Burnout und wusste gar nicht so genau, was da los ist. Ich fand immer, dass meine Rahmenbedingungen eigentlich sehr gut sind. Ich hatte die Kinder in einem super Kindergarten betreut, die Wege waren kurz, ich hatte einen super Arbeitgeber und mein Mann hat auch immer brav geholfen, wenn ich was gesagt habe. Trotzdem war es dann irgendwann mit dem dritten Kind so, dass ich dermaßen schlimme Erschöpfungszustände hatte, dass ich mich am liebsten auf die Straße gelegt hätte. Das war ständig mein Impuls. In diesem Zustand hat mir der Begriff Mental Load extrem geholfen zu verstehen, was einen eigentlich so stark belastet. 

Das ist wahrscheinlich genau das Problem: Die tausend Dinge, die man im Kopf behalten muss und ein Großteil der Hausarbeit sind einfach unsichtbar und werden eigentlich gar nicht als Aufgabe gesehen. Darum ist es sicher gut, einfach mal zu protokollieren, was man den ganzen Tag alles macht. Patricia Cammarata: Es gibt sogar Studien, die zeigen, wenn diese Sachen in Beziehungen gewertschätzt werden, es der Frau psychisch viel besser geht und sie nicht so schnell in eine Erschöpfung kommt. Es hat wirklich ganz viel damit zu tun, wie undankbar all diese Dinge sind, die man in der Familie den ganzen Tag erledigt. Und dann kommt am besten noch am Ende des Tages der Mann nach Hause und fragt: „Na, was hast du denn gemacht, Schatz?“. 

Haben Sie auch schon mal Männer getroffen, denen das so geht? Die sich von all den Alltagsaufgaben überlastet fühlen und auch einen Overkill im Kopf haben? Patricia Cammarata: Tatsächlich ist mir das in heterosexuellen Beziehungen noch nicht begegnet. Ich kenne das aber aus homosexuellen Beziehungen. Bei den schwulen Männern ist es interessanterweise so, dass auch ein Mann ganz oft den Mental Load übernimmt. Das finde ich insofern spannend, als dass es anscheinend bei den lesbischen Paaren nicht so ist, da wirkt es, als sei die Arbeit gerechter verteilt. Aber das sind nur meine persönlichen Eindrücke. 

Reden wir da jetzt von Beziehungen mit Kindern? Patricia Cammarata: Mental Load gibt es auch in Beziehungen ohne Kinder, wenn man Kinder hat, ist der Umfang natürlich drastischer und größer. Aber dieses typische, dass die Frau den Mann erinnert, dass die eigene Mutter Geburtstag hat oder die Blumen gegossen oder die Betten neu bezogen werden müssen, für dieses Ungleichgewicht braucht man keine Kinder.  

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